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46. Parabeln
SLEE
„OBSERVER
Wien, I., Wollzeile Nr. 11
Telefon R-28-0-43
Nene Proie Presst.
2
18.SEP.
Die eben erschienene „Nummer 4 der Zeitschrift „Das
Blaue Heft“ enthält unter anderm Unveröffentlichtes aus
dem Nachlaß von Arthur Schnitzler, „Ein Chinese macht
Einkäufe“ von Walter Meckaner, „Lese“ von Jacques Deval,
„Probleme moderner Währungspolitik“ von Professor Richard
Kerschagl, „Amerika ist anders“ von Ferry Klebinder, eine Ent¬
gegnung auf Sil-Varas Aufsatz „Warum kommt der Frieden
nicht zustande?“ von Professor K. C. Schneider, „Hamlet in
Moskau von Lina Goldschmidt, „Der Fall Geiringer", „Lapua¬
bewegung in Finnland, „Radio Wien", Theaterkritiken,
Zeichnungen usw.
„OBSERVER
österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Das Slaue Heft, er lin-Nien
Nr 4
vom:
Aus dem Nachlass
von Arthur Schnitzler
Als Symbol der Tiete im künstlerischen Sinn kann weder eine
Strübe, undurchsichtige, wenn auch bewegte Fläche gelten, noch ein
bodenloser Abgrund, in den kein Lichtstrahl zu dringen vermag. Nur
der ist als Künstler lief, der die rauhen Flächen der Wirklichkeit so
Himmeln und Höllen widerspiegelt.
Schicksal des Kunstwerks
Heiliger Augenblick des Empfangs.
Glück- und qualvolle Epoche der Arbeit.
Staunen und Enfläuschung nach der Vollendung.
Schmerzlicher Augenblick des Abschieds vor der Entsendung in
die Oeffentlichkeit.
Wenige warten mit Wohlwollen, in der Bereitschaft, gelten zu
lassen.
Noch Wenigere neigen sich verstehend oder gar in Andacht.
Von allen Seiten rast das Uebelwollen, der Neid, die Erbitterung
hervor.
Epoche des Innewerdens, der Abkehr, der Verwirrung, der Enf¬
fremdung zwischen Dichter und Werk.
Indessen aber vollzieht sich das Schicksal des Werks nach sei¬
nen immanenten Gesetzen. Es wandelt weiter durch die Zeil, un¬
verwundet und unverwundbar, wenn es darnach geschaffen ist, und
stirbl immer nur an sich selbst.
Parabel
An einem schönen Sommertage ritt ein Reiter in heiteren Ge¬
danken seines Wegs, als er am Rande der Landstraße einer
Kapelle gewahr wurde und nach seiner frommen Art sich gedrängt
fühlle darin seine Andacht zu verrichten. Er band sein Roß an einen
Baum, trat in die Kapelle und ließ ein inbrünstiges Gebet zu Golf
aufsleigen, als er merkte, daß sich die rechte Sammlung in seiner
Seele nicht einstellen wollte; und bald entdeckte er zu seinem
Schrecken, daß er, staft seine Gedanken zu Goft emporzurichten,
immer an sein Rößlein denken mußte, das draußen wohl ange¬
bunden, aber doch ohne weitere Bewachung des Herrn wartete.
Und binnen kurzem war ihm wirklich, als hörfe er draußen ein ver¬
dächtiges Geräusch. Rasch erhob er sich von den Knieen und kaum
war er ins Freie getreten, so sah er, wie er beinahe schon gefürchtef,
ein paar hundert Schritte entfernt einen Unbekannten auf dem Roß
ins Weite sprengen. Weit und breit war kein anderer Mensch zu
sehen, und als endlich auf sein Rufen und Schreien einige Landleute
herbeikamen, war der Dieb auf seiner leichtfüßigen Beute längsi
verschwunden. Schon drängte sich ein Fluch dem Bestohlenen auf
die Lippen, als ihm zur rechten Zeit einfiel, daß ihm nur nach Recht
geschehen war, indem Golt ihn auf solche Weise für seine Unauf- 103
46. Parabeln
SLEE
„OBSERVER
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18.SEP.
Die eben erschienene „Nummer 4 der Zeitschrift „Das
Blaue Heft“ enthält unter anderm Unveröffentlichtes aus
dem Nachlaß von Arthur Schnitzler, „Ein Chinese macht
Einkäufe“ von Walter Meckaner, „Lese“ von Jacques Deval,
„Probleme moderner Währungspolitik“ von Professor Richard
Kerschagl, „Amerika ist anders“ von Ferry Klebinder, eine Ent¬
gegnung auf Sil-Varas Aufsatz „Warum kommt der Frieden
nicht zustande?“ von Professor K. C. Schneider, „Hamlet in
Moskau von Lina Goldschmidt, „Der Fall Geiringer", „Lapua¬
bewegung in Finnland, „Radio Wien", Theaterkritiken,
Zeichnungen usw.
„OBSERVER
österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Das Slaue Heft, er lin-Nien
Nr 4
vom:
Aus dem Nachlass
von Arthur Schnitzler
Als Symbol der Tiete im künstlerischen Sinn kann weder eine
Strübe, undurchsichtige, wenn auch bewegte Fläche gelten, noch ein
bodenloser Abgrund, in den kein Lichtstrahl zu dringen vermag. Nur
der ist als Künstler lief, der die rauhen Flächen der Wirklichkeit so
Himmeln und Höllen widerspiegelt.
Schicksal des Kunstwerks
Heiliger Augenblick des Empfangs.
Glück- und qualvolle Epoche der Arbeit.
Staunen und Enfläuschung nach der Vollendung.
Schmerzlicher Augenblick des Abschieds vor der Entsendung in
die Oeffentlichkeit.
Wenige warten mit Wohlwollen, in der Bereitschaft, gelten zu
lassen.
Noch Wenigere neigen sich verstehend oder gar in Andacht.
Von allen Seiten rast das Uebelwollen, der Neid, die Erbitterung
hervor.
Epoche des Innewerdens, der Abkehr, der Verwirrung, der Enf¬
fremdung zwischen Dichter und Werk.
Indessen aber vollzieht sich das Schicksal des Werks nach sei¬
nen immanenten Gesetzen. Es wandelt weiter durch die Zeil, un¬
verwundet und unverwundbar, wenn es darnach geschaffen ist, und
stirbl immer nur an sich selbst.
Parabel
An einem schönen Sommertage ritt ein Reiter in heiteren Ge¬
danken seines Wegs, als er am Rande der Landstraße einer
Kapelle gewahr wurde und nach seiner frommen Art sich gedrängt
fühlle darin seine Andacht zu verrichten. Er band sein Roß an einen
Baum, trat in die Kapelle und ließ ein inbrünstiges Gebet zu Golf
aufsleigen, als er merkte, daß sich die rechte Sammlung in seiner
Seele nicht einstellen wollte; und bald entdeckte er zu seinem
Schrecken, daß er, staft seine Gedanken zu Goft emporzurichten,
immer an sein Rößlein denken mußte, das draußen wohl ange¬
bunden, aber doch ohne weitere Bewachung des Herrn wartete.
Und binnen kurzem war ihm wirklich, als hörfe er draußen ein ver¬
dächtiges Geräusch. Rasch erhob er sich von den Knieen und kaum
war er ins Freie getreten, so sah er, wie er beinahe schon gefürchtef,
ein paar hundert Schritte entfernt einen Unbekannten auf dem Roß
ins Weite sprengen. Weit und breit war kein anderer Mensch zu
sehen, und als endlich auf sein Rufen und Schreien einige Landleute
herbeikamen, war der Dieb auf seiner leichtfüßigen Beute längsi
verschwunden. Schon drängte sich ein Fluch dem Bestohlenen auf
die Lippen, als ihm zur rechten Zeit einfiel, daß ihm nur nach Recht
geschehen war, indem Golt ihn auf solche Weise für seine Unauf- 103