I, Erzählende Schriften 44, Welch eine Melodie, Seite 2

immer über jenes Thema, welches ein lacher¬
kam, machte ihn müde, er legte den Blaistift
licher Zufall ihm im Wald zugetragen. Seine
aus der Hand und schaute nur so vor sich hin
Finger zauberten eine rächtige Fülle von
mit offenen Augen träumend. Es kam ein
Variationen aus den Tasten hervor. und aus
leiser, ganz leiser Wind... der wehte das
auen tönte jene eine wundersame Melodie.
Notenblatt hinaus, und ohne Bedauern sah
immer herzlicher, immer schoner erklang, je
ihm der Knabe nach . .. wic es sich zuerst in
öfter sie gebracht wurde. Welch eine Melodie!
den Asten verfing und dann langsam auf den
Nur ein Genius hat solche Gedanken! Ein
schmalen Waldweg herunterglitt, an dessen
Genins nur kann durch ein kurzes, einfaches
Saume es liegen olieb. Der Junge kümmerse
Motiv so außerordentlich wirken, daß der Zu¬
sich nicht weiter darum und ging nach kurzer
hörer wie welten. rückt in der höchsten, unver¬
Zeit auf sein Zimmer, setzte sich ans Klavier
gleichlichen. Entzüfung schwelgt...
und übte Stalen.
Welch eine Melodie! Und als sie jetzt, zum
Ein junger Mensch, dessen Außeres auch
letzten Male angeschlagen, allmählich verhallte,
einem flüchtigen Beolachter den angehenden
als der junge Kunstler geendet — wie zitierte
Künstler oder mindestens den Kunstenthu¬
sie nach, als schlürfe die Luft den Wohllaut ein
siasten zu erkennen gab, schritt bald darauf,
und wollte sich daran berauschen.
irgend ein Lied vor sich hinträllernd, über
Und das Mädchen, hingerissen, wie in einen
jenen Waldweg der Hauptstraße zu, als sein
himmlischen Traum verloren saß unbeweglich
Auge auf dem Blatt Papier haften blieb,
da. Nur wenige Sekunden freilich, dann heftete
welches der Wind hergeweht hatte und das
sie die großen Augen auf ihn, und ihr Blick
nun seine beschriebene Seite dem Jüngling
hing an ihm mit dem Ausdruck einer leiden¬
zukehrte.
schaftlichen, rückhaltlosen Bemunderung. Er
Dieser hob es behend vom Boden auf und
wollte eben die Lippen zur Rede auftun, als
betrachtete es neugierig: „Ei, sieh doch!“,
sie ihm schon zu Füßen gesunken war, des Er¬
scherzte er vor sich hin, „also nicht einmal in
staunten Hände an ihren Mund führte und
diesem stadtfernen Wäldchen bin ich der ein¬
mit heißen Küssen bedeckte. Er beugte sich
Nun, rechte Kratzefüße

zige Komponist!
sprachlos zu ihr herab, und nun umschlang sie
das, die mein unbekannter Kollege im Schat¬
ihn seufzend und lachend, mit einer Wildheit,
ten dieser Bäume hergemalt!“ Er versuchte
wie er sie nie von ihr gesehen, nie erwartete.
nun sich zurechtzufinden und summm allmäh¬
Sie lag in seinen Armen, und ihr Atem um¬
stückweise sozusagen, die Melodie vor sich
lich,
flutete den Geliebten
##it betäubender
hin, die er langsam aus dem Exerzitienblätt¬
Seligkeit
chen enträtselte. „Nicht übel, wahrhaftig!
Welch eine Melodie! Sie war das Präli#¬
in diesen Noten da steckt
Ja, zweifellos
etwas! Wer so etwas wegwerfen kann, der
Oh, nicht etwa, daß er sie geheiratet hätte,
muß wohl den Kopf noch voll von ganz an¬
so trivial schließt ein großer Künstler seine
dern Ideen haben .— bei Gott, ich ließe so
nteressantesten Abenteuer nicht ab. Aber er
etwas nicht im Walbe liegen, wenn es mir
blieb ihr lange Zeit treu — ein paar Monate,
überhaupt einfiele.“ — Dabei begann er
und während dieser Zeit schrieb er ein Klavier¬
nochmals, nun im Zusammenhang, die Melo¬
stück und wurde berühmt.
die, welche der Knabe so ahnungslos auf das
Wahrhaftig, das klingt wie ein Märchen!
Blatt gezeichnet, vor sich hinzusingen — schili¬
Es war ein unglaubliches Motiv darin, wie
telte den Kopf und sagte: „Innig. sehr innig,
die Enthusiasten sagten. „Die Ausführung ist
etwas für die Weiber, etwas für Annchen!“
talentvoll, die Idee aber ist die eines Genies“
sagte ein Kritiker. Die musikalische Welt war
Und er eilke zu seinem Mädchen, eilte zu
voll von diesem Stück und die Frauen beson¬
Annchen. Das war nun ein ganz reizendes.
ders. Das hat kein Liebender komponiert, die
süßes Kind, und ihrer Mutter, einer armen
Liebe selbst hat das geschaffen. Ja, es war auch
Witwe, einzige Freude und Seligkeit. Die
— für die Weiber besonders!
ein Thema
helle Unschuld sprach aus den Zügen ihres
Armes Annchen, du hast es an dir erfahren!
Antlitzes, und der junge Künstler liebte sie
Selten war man auf so etwas gespannt wie
mit einem Feuer, mit einer Leidenschaftlich¬
keit, deren eigentliches tieferes Wesen dem auf das nächst größere Werk des Komponisten.
ver kag, Wies
7 0. 0KT. 1936
„Welch eine Komödie!“
Die in unserer Ausgabe vom 30. August d.
erschienene Erzählung
„Welch eine Komödigl“
vor Artur Schultl
ist in dem Novellenband
Die Reite Komoias
Merlag S. Fischer, Ver¬
lin) enthalten gewesen.