box 5/3
31. Fraeulein Else
—
„Fräulein Eise.
Capitol.
Richt ohne Augst sah man der Verfilmung von Schnitzlers un¬
vergleichlicher psychologischer Nobelle entgegen. Wie leicht konnte
dies kostbare und so biegsame, zerbrechliche Material von ungeschickten
Händen verbogen und zerbrochen werden! Wie leicht konnte das
Seelisch=Hintergründige dieser Scficksalsnovelle zu leerer Kulissen¬
pracht erstarren! Aber unsere Besorgnis war töricht: Einer der
chönsten, zartesten, dichtesten und erschütterndsten Filme ist dies
geworden, die je in Deutschland entstanden sind.
Fräulein Else: Elisabeth Bergner. Ein kleines, junges
Rädchen ist das erst, das Klavier spielt, wenn die Eltern Gesellschaft
geben, das nachher, wenn die Gäste längst gegangen sind, sich schnell
noch ein Butterbrot aus der Küche holt, das mit dem Vater Be¬
forgungen macht, und das nach St. Moritz reist. Glückliches, zartes,
chönes Kind, wie es sich strahlend das alles entdeckt, die Berge und
den Schneezauber und alle Seligkeit des Auf=Reisen=Seins. Aber
dann steht vor diesem Kind mit den blitzenden Augen (und dem selt¬
amen Schimmer von Melancholie darüber) plötzlich das Opfer
heischende Schicksal. Dann wird aus dem heiteren Lebensgeschöpf der
geängstigte, gehetzte, in viele Qual verstrickte Mensch, der endlich
keinen anderen Ausweg mehr weiß als diesen: zu sterben. Wie Eli¬
abeih Bergner diese schicksalhaft=tragische Verwandlung eines
Renschen spielt, der sich erst mit aller Kraft gegen das Unabänder¬
liche aufbäumt, und der dann doch plötzlich einsieht, daß er ganz
machtlos ist, wie sie aus dem kleinen, freundlichen, kindhaften
Fräulein Else die große Leidende, die tragisch=dunkle Märtyrerin
werden läßt: ja, was sollen wir wohl dazu sagen? Daß es große
Kunst sei, daß sich ein Genie hier vim neuem bestätige, daß es uns
erschüttere, bewege, beglücke, bezaubere, daß es uns ehrfürchtig
mache? Ja, das alles wohl, und doch nur dies eine: Dank, Elisabeth
Bergner, immer wieder Dank!
Und dann steht uns einen Augenblick das Herz still. Gruß eines
Toten an die Lebenden: Albert Steinrück als Dorsday. Diese
Noblesse, dieses vergeistigte Spiel. Ach, wie viel haben wir mit ihm
verloren! Außerordentlich auch und von umheimlicher Suggestivität
Bassermann als der Vater. Sympathisch einfach: (Ise Heller,
die Mutter, und Jack Trevor, der Better Paul. Ur wunderbar,
in majestätischer Grandezza: Adele Sandrock als Tanie.
Paul Czinner führt die Re#ie, behutsam, eindringlich, sein¬
Diese dunkle Szene des „Verfalls einer Familie“ glitzernd
nervig.
kontrastiert von der wohlig sanften A'mosphäre des Hytel= und
Wintersportleens. Dieses Finale vor allem: Aufregender Zwischen¬
fall im Hotel, Fräulein Else tot — wie st das alles beobachtet, ge¬
staltet, erlebt! Wie sind hier immer Dinge und Menschen in lebendige
Beziehung zueinander gebracht!
Weniger erfreulich, oft hart, leer und unklar ist die Photographie
(Karl Freund). Es liegt, wie man hört, vor allem am Material,
das hier erstmalig zur Verwendung kam. Aber das kann nur sehr
bedingt als Entschuldigung gelten. Man hätte schon bei den Probe¬
aufnahmen erkennen müssen, daß dies: Art von panchromatischem
Material nicht verwendbar sei. Fur technische Experimente solcher
Art ist ein Film wie dieser just am ungeeignetsten.
Hausjürgen Wille.
„Ich hab' für Sie ein wenig Sympathle.
Tauentzien=Palast.
In diesem Film der Lämmle=Produktion, der in Amerika zweifel¬
los ein Tonfilm ist, handelt es sich um ein sogenanntes Schlagerlied,
das seinen Weg macht. Vom Autokarren des Straßensängers in die
große Revue. Man bekommt es bei uns fünf= bis zehnmal vor¬
gespielt und sieht dazu die drolligsten Mundbewegungen der samosen
Laura la Plante, die eine lustige Tanzlehrerin gibt. Das Original¬
31. Fraeulein Else
—
„Fräulein Eise.
Capitol.
Richt ohne Augst sah man der Verfilmung von Schnitzlers un¬
vergleichlicher psychologischer Nobelle entgegen. Wie leicht konnte
dies kostbare und so biegsame, zerbrechliche Material von ungeschickten
Händen verbogen und zerbrochen werden! Wie leicht konnte das
Seelisch=Hintergründige dieser Scficksalsnovelle zu leerer Kulissen¬
pracht erstarren! Aber unsere Besorgnis war töricht: Einer der
chönsten, zartesten, dichtesten und erschütterndsten Filme ist dies
geworden, die je in Deutschland entstanden sind.
Fräulein Else: Elisabeth Bergner. Ein kleines, junges
Rädchen ist das erst, das Klavier spielt, wenn die Eltern Gesellschaft
geben, das nachher, wenn die Gäste längst gegangen sind, sich schnell
noch ein Butterbrot aus der Küche holt, das mit dem Vater Be¬
forgungen macht, und das nach St. Moritz reist. Glückliches, zartes,
chönes Kind, wie es sich strahlend das alles entdeckt, die Berge und
den Schneezauber und alle Seligkeit des Auf=Reisen=Seins. Aber
dann steht vor diesem Kind mit den blitzenden Augen (und dem selt¬
amen Schimmer von Melancholie darüber) plötzlich das Opfer
heischende Schicksal. Dann wird aus dem heiteren Lebensgeschöpf der
geängstigte, gehetzte, in viele Qual verstrickte Mensch, der endlich
keinen anderen Ausweg mehr weiß als diesen: zu sterben. Wie Eli¬
abeih Bergner diese schicksalhaft=tragische Verwandlung eines
Renschen spielt, der sich erst mit aller Kraft gegen das Unabänder¬
liche aufbäumt, und der dann doch plötzlich einsieht, daß er ganz
machtlos ist, wie sie aus dem kleinen, freundlichen, kindhaften
Fräulein Else die große Leidende, die tragisch=dunkle Märtyrerin
werden läßt: ja, was sollen wir wohl dazu sagen? Daß es große
Kunst sei, daß sich ein Genie hier vim neuem bestätige, daß es uns
erschüttere, bewege, beglücke, bezaubere, daß es uns ehrfürchtig
mache? Ja, das alles wohl, und doch nur dies eine: Dank, Elisabeth
Bergner, immer wieder Dank!
Und dann steht uns einen Augenblick das Herz still. Gruß eines
Toten an die Lebenden: Albert Steinrück als Dorsday. Diese
Noblesse, dieses vergeistigte Spiel. Ach, wie viel haben wir mit ihm
verloren! Außerordentlich auch und von umheimlicher Suggestivität
Bassermann als der Vater. Sympathisch einfach: (Ise Heller,
die Mutter, und Jack Trevor, der Better Paul. Ur wunderbar,
in majestätischer Grandezza: Adele Sandrock als Tanie.
Paul Czinner führt die Re#ie, behutsam, eindringlich, sein¬
Diese dunkle Szene des „Verfalls einer Familie“ glitzernd
nervig.
kontrastiert von der wohlig sanften A'mosphäre des Hytel= und
Wintersportleens. Dieses Finale vor allem: Aufregender Zwischen¬
fall im Hotel, Fräulein Else tot — wie st das alles beobachtet, ge¬
staltet, erlebt! Wie sind hier immer Dinge und Menschen in lebendige
Beziehung zueinander gebracht!
Weniger erfreulich, oft hart, leer und unklar ist die Photographie
(Karl Freund). Es liegt, wie man hört, vor allem am Material,
das hier erstmalig zur Verwendung kam. Aber das kann nur sehr
bedingt als Entschuldigung gelten. Man hätte schon bei den Probe¬
aufnahmen erkennen müssen, daß dies: Art von panchromatischem
Material nicht verwendbar sei. Fur technische Experimente solcher
Art ist ein Film wie dieser just am ungeeignetsten.
Hausjürgen Wille.
„Ich hab' für Sie ein wenig Sympathle.
Tauentzien=Palast.
In diesem Film der Lämmle=Produktion, der in Amerika zweifel¬
los ein Tonfilm ist, handelt es sich um ein sogenanntes Schlagerlied,
das seinen Weg macht. Vom Autokarren des Straßensängers in die
große Revue. Man bekommt es bei uns fünf= bis zehnmal vor¬
gespielt und sieht dazu die drolligsten Mundbewegungen der samosen
Laura la Plante, die eine lustige Tanzlehrerin gibt. Das Original¬