I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 35

Casanovas
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Edgar Steiger: Aus unserer Bücherei.
Je nach der Neigung einzelner an leitender Stelle Stehender oder über größere
Geldmittel Verfügender ist hier dieser, dort jener Zweig der Fürsorge mehr ge¬
pflegt worden, hier findet sich eine Säuglingsfürsorge, dort eine Tuberkulosefür¬
sorge, hier ist sie kommunal, dort privat, endlich findet sie mancherorts nur in all¬
gemeinen Umrissen öffentlich statt.
Es ist dringend an der Zeit, zusammenzufassen, wohlverstanden zusammenzu¬
fassen, nicht zu verschmelzen ohne weiteres, wir wollen die so segensreiche private
Wohlfahrtspflege nicht ersticken, und dazu ist nokwendig die Schaffung von Wohl¬
fahrtsämtern für jeden Kreis, die neben der wirtschaftlichen Seite auf der gesund¬
heitlichen alle Zweige der Fürsorge erfassen, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge,
Schulkinderfürsorge, Tuberkulosefürsorge, Fürsorge für Geschlechtskranke, Fürsorge
für Alkoholkranke, Fürsorge für Kriegsbeschädigte. Diese Wohlfahrtsämter sind
mit Beratungsstellen und Untersuchungsanstalten zu verbinden, dann wird sich die
Forderung Pachs in der Neuen Zeit, Nr. 19, 9. August 1918, nach einer Neuorien¬
tierung der Krankenkassen mit mehr Prophylaxe verwirklichen.
Staat, Gemeinde und freie Liebestätigkeit müssen in der Einrichtung von
Wohlfahrtsämtern, die eigentlich Aufgabe der Gemeindeselbstverwaltung ist, zu¬
sammenwirken; der Staat muß die Richtlinien bezeichnen, der Liebe ist die Ord¬
nung zugefallen. Die praktische Arbeit der Fürsorge wird durch einheitlich auf
allen Fürsorgegebieten arbeitende Fürsorgerinnen geleistet in umgrenzten Gebieten
mit nicht mehr als 10000 bis 15000 Einwohnern auf eine Fürsorgerin. Ein Neben¬
einanderarbeiten der verschiedenen Fürsorgezweige ist nicht haushälterisch, für die
in Fürsorge Stehenden unzweckmäßig und in den Gesamterfolgen, da die Ge¬
sundung der Familie angestrebt wird, mindestens zweifelhaft.
Die einheitliche Zusammenarbeit wird gewährleistet durch eine gemeinsame
Spitze in der Fürsorge, das Wohlfahrtsamt, und durch die auf allen Fürsorge¬
gebieten arbeitende Fürsorgerin; zwischen beiden fällt die Arbeit in den einzelnen
Fürsorgezweigen besonderen Ausschüssen (für Säuglinge, Schulkinder, Tuber¬
kulöse usw.) zu, die sich durch sachkundige und sonst geeignete Personen ergänzen
und die erforderliche Breite der Berührungsfläche mit allen in Betracht kommen¬
den Kreisen herstellen. Also Zentralisation und gleichzeitig größte Dezentralisation.
Die Zeit drängt. Unserem durch schlechte Ernährung schwergeprüften Volke,
das von Tuberkulose und anderen übeln heimgesucht wird wie nie, muß schleunige
Hilfe werden, systematische Hilfe. Das furchtbare Zuspät darf uns nicht weiter
äffen wie im Kriege. Gesundheitliche geregelte Fürsorge ist eine aus den gesund¬
heitlichen Verhältnissen sich mit Notwendigkeit ergebende Forderung, sie ist aber —
auch eine Forderung der politischen Klugheit.
Aus unserer Bücherei.
Von Edgar Steiger.
Artur Schnikler. Casanovas Heimfahrk. Novelle. Berlin 1918, S. Fischer.
Preis sehefter-4#=# gebunden 6.50 Mark.
Ein letztes Abenteuer des alternden Wüstlings, bevor er als Spitzel in den
Dienst der heimischen Gewalthaber kritt, die ihn ein Menschenalter zuvor unter
die Bleidächer gesteckt haben. Für den Leser der berühmten Erinnerungen ein
würdiger Abschluß der langen Kette von Liebesgeschichten ein- und zweideutiger
Art, die den genialsten Tagedieb des achtzehnten Jahrhunderts bei vielen gut¬
gläubigen Lesern zum Helden gemacht haben. Aber diesmal hat ein Dichter das
Wort, dem diese ausgehöhlte Menschenruine Gelegenheit gibt, seinen Scharfblick
für menschliches Seelenleben zu beweisen. Noch einmal wird das von Runzeln zer¬
wühlte Gesicht des abgebrannten Lumpenkönigs von der Grimasse echter Leiden¬
S
JG