in
Freie
Der We
23.
box 3/1
D E enen een
S. FSCHER, VERLAG
Digiane erfane
28 AG
Der Wegins Freie. Roman von Arthur Schnitzler. (Verlag
S. Fischer, Berlin.)
Dieses Buch lebt in der Welt der verfeinerten Kultur, aus der die
Schmerzen ausgeschlossen scheinen. Oder besser: das Eingeständnis
der Schmerzen gilt hier als eine Todsünde, als eine Sünde wider den
heiligen Geist des guten Geschmackes, die schwerer wiegt als ein Verbrechen.
Sentiments werden mit leichter Mühe besiegt. Man lebt, wie man
will, nicht, wie man sollte. Liebenswürdiger Zynismus, die Rück¬
sicht auf die eigene Forientwicklung — ein paar sehr bösartige, verkappte
Zwillingsbrüder des Nietzsche=Egoismus — treten hilfreich ein, sobald das
Pflichtgefühl gegen die anderen das leitende Motiv eines Lebens zu
werden wünscht. Und diese Menschen sind sich alle so unheimlich klar über
sich selbst! Der Held des Romans nimmt einmal aus der Unterhaltung
zweier Freunde, deren Konversation er beiwohnt, diese Vorstellung mit:
„Die Zwei saßen sich gegenüber; jeder hielt dem anderen einen Spiegel
vor, darin sah der andere sich selbst mit einem Spiegel in der Hand und
so fort in die Unendlichkeit.“ Auch Schnitzlers neuer Roman ist so ein
grenzenlos weites Abspiegelungskabinett der Seele. Die schonungslos
kritischen, wahrheitsfanatischen Neigungen des Arztes und des modernen
Pfychologen, die sich bekanntermaßen in Schnitzlers Persönlichkeit ver¬
einen, wirken hier nebeneinander. Das Morto des antiken Gnostikers
„Erkenne Dich selbst“, steht in gewaltiger Letternschrift als Wegweiser an
den Lebenspfaden dieser Menschen, die zu klug sind, als daß ihnen das
über die eigenen Schwächen täuschende Dunkel als beglückendes Geschenk
beschert sein könnte. Sie kommentieren ihr eigenes Leben, sein Auf und
Ab nicht mit Worten, wie es etwa bei Sudermann Sitte ist. Aber mit
den bohrenden Blicken und der starken Intelligenz ihrer durch ausschlie߬
lich intellektuelle Beschäftigungen verfeinerten Rasse — Schnitzler malt
fast ausschließlich die semitische Gesellschaft seiner Vaterstadt Wien —
legen sie sich im stillen Kämmerlein ein amer Stunden wortlos ihre grau¬
samen Selbstbeichten ab. Mit der Wildheit von Flagellanten zerfleischen
sie die eigene Seele. Man weiß ja, wie Worte eine Last tragen helfen,
unter deren Bürde man zusammenbricht, wenn man sie stumm, mit zu¬
sammengepreßten. Lippen durch das Dasein schleppt. Kurz: hier spricht ein
Lebensrichter, vor dem es keine Geheimnisse mehr gibt. Und erschreckt,
erregt fühlen wir uns in den geheimsten Tiefen unseres Seins erkanni unv
beobachtet.
Auf dieser seiner Forschungsreise treibt Schnitzler Individualitäts¬
und Rassenpsychologie zugleich. Im Kern des Romans liegt das Porträt
einer Liebe; einer Liebe, die aufschießt wie eine üppige, farbige Blüte
aus dem sonnenreichen Boden des Glückes, um dann armselig und kläglich
zu verkümmern. Ein junger Musiker und eine „anständige junge Dame“
finden sich. Ein Pfand ihrer Neigung scheint zwischen den beiden das ewig
verknüpfende Bindemittel werden zu sollen. Aber gerade vor dem Zeichen¬
brett, auf dem er die krausen Linien dieser an= und abschwellenden Leiden¬
schaft festholten möchte, erreicht Schnitzler den Gipfel seiner Unerbittlichkeit.
Das lyrische Schlagwort von der „ewigen Liebe“ wird in der Retorte
seiner Kritik in ein Nichts aufgelöst. Auch gegen die anderen idealen Vor¬
stellungen des Liebeskatechismus geht er an: vielleicht mit dem geheimen
Nebengedanken, daß das spezifisch bürgerliche Leben der Liebe doch
festeren Boden und längere Dauer gönnen mag, als das Terrain der großen
und reichen Kulturwelt. Denn in dieser wird der Konnex zwischen Mann
und Weib hergestellt und gelöst, wie ein Wölkchen, das am Himmel auf¬
taucht, um schnell wieder zu zerfließen. Schon im Momenie des Voll¬
igenusses wird der Gedanke an die Trennung geboren. Es gibt Frauen,
sdie sich dann stolz und schämig zurückziehen und sich nicht mit dem
[Gnadenbrot der Liebe begnügen wollen, deren prächtigste, reichste Frucht
ssie kosten durften. Aber sie sind selten. Die meisten sind bereits zu guten
Genossinnen der polygamen Veranlagung des Mannes erzogen. Auch sie
sehen bereits im Berufsleben ein von Liebeswunden heilendes Medikament
oder schon den aufwachsenden Schatten des zweiten Geliebten
hinter dem verschwindenden Schatten des ersten. Nur den Zwang ver¬
mag diese zu einander treibenden und von einander reißenden Gewalten
zu einer dauernden Einheit zusammenzukitten. Aber gerade der Zwang
schändet die Liebe. Georg von Werkenthin und Anna Rosner, die Liebes¬
kleute des Schnitzlerschen Romans, erkennen das. Gleich nach Annas
selbstloser Hingabe ist das große Gefühl in dem Herzen des Mannes
zusammengeschrumpft. Zu einem „Respekt“ vor der Frau, die sein Kind
zur Welt bringen wird. Zur Dankbarkeit für ein Opfer, das am Ende
mit einem Ehering nicht zu teuer bezahlt wäre. Zu einem sacht glimmen¬
den Funkenherd, dessen Feuer zuweilen leise wieder auflodern, dessen
stärkste Flammen dann aber in fremden Frauenherzen zünden. Henrik
Ibsens Hand hat dann Schnitzlers Schreibfeder dirigiert, als sie das End¬
kapitel unter diese Geschichte setzte. Das Kind, die Frucht dieser mürben,
verdorrenden Liebe, stirbt, als es eben geboren ist. Georg v. Werkenthin
geht, fast beglückt, in einen neuen, Anna Rosner in ihren alten Beruf.
Man sieht sich dann noch wieder: aber man ist aufrichtig genug, den Kitt
dieser Neigung, Briefe, Zukunftspläne, Verheißungen als lockere, bröckelnde
Masse zu erkennen. Man nimmt für kurze Zeit Abschied und weiß, daß es
für immer sein wird. So bekommt der Titel „der Weg ins Freie“ seinen
herben, schneidenden, disharmonischen Nebenklang.
Es sind zwei Arier, der A# rat und die Bürgerliche, die sich zu
dieser spontan geschlossenen, stolz u#nd unbekümmert gelösten Allianz zu¬
sammentun und sich scharf von der Fläche der semitischen Kontrastwelt ab¬
heben, in deren Mitte sie existieren. Doch auch mit den Leuten dieses
Kreises, Künstlern, Gesellschaftsmensechn, Parlamentariern, Zionisten
und Renegaten geht Schnitzler nicht glimpflich um. Er stellt sie vielleicht
um ein Weniges weicher hin als die „anderen“, läckt sie tiefer
unter Eindrücken leiden, aus denen jene energisch die Konsequenzen
ziehen. Aber er verhüllt auch nicht die anderen Fundamentaleigenschaften
der jüdischen Rasse, die sich in ihre Qualen verbeißt, wie in eine wohl¬
schmeckende Speise, die sich nicht an ihrem Glück, sondern an ihren Leiden
zum Leben und zum Wirken anregt. Diese Genießer ihrer Schmerzen
verbreitern noch den Abstand zwischen ihrer Kaste und der anderen Gemein¬
schaft, in deren Mitte sie leben, weil sie sich entweder sklavisch unterwerfen,
oder die Schimpfworte, mit denen sie der Pöbel bedeckt, vor sich her tragen,
wie einen Ehrenschild. An einen Ausgleich dieser tief wurzelnden Gegen¬
sätze scheint der Verfasser nicht zu glauben. Diese Ansicht dürfte freilich
mehr der Tatsache entspringen, daß Schnitzler in seinem Roman öster¬
reichische Heimatskunst getrieben hat und so die leise Assimilierung der
Konfessionen, wie sie der norddeutsche Boden zeigt, nicht zu sehen brauchte.
Sonst aber ist sein Roman Kulturbild und Seelenbild zugleich. Ein
Buch von unendlichem Reichtum, für dessen Aufbau die meisten unserer
Poeten nicht genug Material haben würden. Ein Buch von unheimlicher,
Scharfsichtigkeit, wie es nur aus der Werkstatt eines gereiften Künstlers
servorgehen kann.
Walter Turszinsky.
Freie
Der We
23.
box 3/1
D E enen een
S. FSCHER, VERLAG
Digiane erfane
28 AG
Der Wegins Freie. Roman von Arthur Schnitzler. (Verlag
S. Fischer, Berlin.)
Dieses Buch lebt in der Welt der verfeinerten Kultur, aus der die
Schmerzen ausgeschlossen scheinen. Oder besser: das Eingeständnis
der Schmerzen gilt hier als eine Todsünde, als eine Sünde wider den
heiligen Geist des guten Geschmackes, die schwerer wiegt als ein Verbrechen.
Sentiments werden mit leichter Mühe besiegt. Man lebt, wie man
will, nicht, wie man sollte. Liebenswürdiger Zynismus, die Rück¬
sicht auf die eigene Forientwicklung — ein paar sehr bösartige, verkappte
Zwillingsbrüder des Nietzsche=Egoismus — treten hilfreich ein, sobald das
Pflichtgefühl gegen die anderen das leitende Motiv eines Lebens zu
werden wünscht. Und diese Menschen sind sich alle so unheimlich klar über
sich selbst! Der Held des Romans nimmt einmal aus der Unterhaltung
zweier Freunde, deren Konversation er beiwohnt, diese Vorstellung mit:
„Die Zwei saßen sich gegenüber; jeder hielt dem anderen einen Spiegel
vor, darin sah der andere sich selbst mit einem Spiegel in der Hand und
so fort in die Unendlichkeit.“ Auch Schnitzlers neuer Roman ist so ein
grenzenlos weites Abspiegelungskabinett der Seele. Die schonungslos
kritischen, wahrheitsfanatischen Neigungen des Arztes und des modernen
Pfychologen, die sich bekanntermaßen in Schnitzlers Persönlichkeit ver¬
einen, wirken hier nebeneinander. Das Morto des antiken Gnostikers
„Erkenne Dich selbst“, steht in gewaltiger Letternschrift als Wegweiser an
den Lebenspfaden dieser Menschen, die zu klug sind, als daß ihnen das
über die eigenen Schwächen täuschende Dunkel als beglückendes Geschenk
beschert sein könnte. Sie kommentieren ihr eigenes Leben, sein Auf und
Ab nicht mit Worten, wie es etwa bei Sudermann Sitte ist. Aber mit
den bohrenden Blicken und der starken Intelligenz ihrer durch ausschlie߬
lich intellektuelle Beschäftigungen verfeinerten Rasse — Schnitzler malt
fast ausschließlich die semitische Gesellschaft seiner Vaterstadt Wien —
legen sie sich im stillen Kämmerlein ein amer Stunden wortlos ihre grau¬
samen Selbstbeichten ab. Mit der Wildheit von Flagellanten zerfleischen
sie die eigene Seele. Man weiß ja, wie Worte eine Last tragen helfen,
unter deren Bürde man zusammenbricht, wenn man sie stumm, mit zu¬
sammengepreßten. Lippen durch das Dasein schleppt. Kurz: hier spricht ein
Lebensrichter, vor dem es keine Geheimnisse mehr gibt. Und erschreckt,
erregt fühlen wir uns in den geheimsten Tiefen unseres Seins erkanni unv
beobachtet.
Auf dieser seiner Forschungsreise treibt Schnitzler Individualitäts¬
und Rassenpsychologie zugleich. Im Kern des Romans liegt das Porträt
einer Liebe; einer Liebe, die aufschießt wie eine üppige, farbige Blüte
aus dem sonnenreichen Boden des Glückes, um dann armselig und kläglich
zu verkümmern. Ein junger Musiker und eine „anständige junge Dame“
finden sich. Ein Pfand ihrer Neigung scheint zwischen den beiden das ewig
verknüpfende Bindemittel werden zu sollen. Aber gerade vor dem Zeichen¬
brett, auf dem er die krausen Linien dieser an= und abschwellenden Leiden¬
schaft festholten möchte, erreicht Schnitzler den Gipfel seiner Unerbittlichkeit.
Das lyrische Schlagwort von der „ewigen Liebe“ wird in der Retorte
seiner Kritik in ein Nichts aufgelöst. Auch gegen die anderen idealen Vor¬
stellungen des Liebeskatechismus geht er an: vielleicht mit dem geheimen
Nebengedanken, daß das spezifisch bürgerliche Leben der Liebe doch
festeren Boden und längere Dauer gönnen mag, als das Terrain der großen
und reichen Kulturwelt. Denn in dieser wird der Konnex zwischen Mann
und Weib hergestellt und gelöst, wie ein Wölkchen, das am Himmel auf¬
taucht, um schnell wieder zu zerfließen. Schon im Momenie des Voll¬
igenusses wird der Gedanke an die Trennung geboren. Es gibt Frauen,
sdie sich dann stolz und schämig zurückziehen und sich nicht mit dem
[Gnadenbrot der Liebe begnügen wollen, deren prächtigste, reichste Frucht
ssie kosten durften. Aber sie sind selten. Die meisten sind bereits zu guten
Genossinnen der polygamen Veranlagung des Mannes erzogen. Auch sie
sehen bereits im Berufsleben ein von Liebeswunden heilendes Medikament
oder schon den aufwachsenden Schatten des zweiten Geliebten
hinter dem verschwindenden Schatten des ersten. Nur den Zwang ver¬
mag diese zu einander treibenden und von einander reißenden Gewalten
zu einer dauernden Einheit zusammenzukitten. Aber gerade der Zwang
schändet die Liebe. Georg von Werkenthin und Anna Rosner, die Liebes¬
kleute des Schnitzlerschen Romans, erkennen das. Gleich nach Annas
selbstloser Hingabe ist das große Gefühl in dem Herzen des Mannes
zusammengeschrumpft. Zu einem „Respekt“ vor der Frau, die sein Kind
zur Welt bringen wird. Zur Dankbarkeit für ein Opfer, das am Ende
mit einem Ehering nicht zu teuer bezahlt wäre. Zu einem sacht glimmen¬
den Funkenherd, dessen Feuer zuweilen leise wieder auflodern, dessen
stärkste Flammen dann aber in fremden Frauenherzen zünden. Henrik
Ibsens Hand hat dann Schnitzlers Schreibfeder dirigiert, als sie das End¬
kapitel unter diese Geschichte setzte. Das Kind, die Frucht dieser mürben,
verdorrenden Liebe, stirbt, als es eben geboren ist. Georg v. Werkenthin
geht, fast beglückt, in einen neuen, Anna Rosner in ihren alten Beruf.
Man sieht sich dann noch wieder: aber man ist aufrichtig genug, den Kitt
dieser Neigung, Briefe, Zukunftspläne, Verheißungen als lockere, bröckelnde
Masse zu erkennen. Man nimmt für kurze Zeit Abschied und weiß, daß es
für immer sein wird. So bekommt der Titel „der Weg ins Freie“ seinen
herben, schneidenden, disharmonischen Nebenklang.
Es sind zwei Arier, der A# rat und die Bürgerliche, die sich zu
dieser spontan geschlossenen, stolz u#nd unbekümmert gelösten Allianz zu¬
sammentun und sich scharf von der Fläche der semitischen Kontrastwelt ab¬
heben, in deren Mitte sie existieren. Doch auch mit den Leuten dieses
Kreises, Künstlern, Gesellschaftsmensechn, Parlamentariern, Zionisten
und Renegaten geht Schnitzler nicht glimpflich um. Er stellt sie vielleicht
um ein Weniges weicher hin als die „anderen“, läckt sie tiefer
unter Eindrücken leiden, aus denen jene energisch die Konsequenzen
ziehen. Aber er verhüllt auch nicht die anderen Fundamentaleigenschaften
der jüdischen Rasse, die sich in ihre Qualen verbeißt, wie in eine wohl¬
schmeckende Speise, die sich nicht an ihrem Glück, sondern an ihren Leiden
zum Leben und zum Wirken anregt. Diese Genießer ihrer Schmerzen
verbreitern noch den Abstand zwischen ihrer Kaste und der anderen Gemein¬
schaft, in deren Mitte sie leben, weil sie sich entweder sklavisch unterwerfen,
oder die Schimpfworte, mit denen sie der Pöbel bedeckt, vor sich her tragen,
wie einen Ehrenschild. An einen Ausgleich dieser tief wurzelnden Gegen¬
sätze scheint der Verfasser nicht zu glauben. Diese Ansicht dürfte freilich
mehr der Tatsache entspringen, daß Schnitzler in seinem Roman öster¬
reichische Heimatskunst getrieben hat und so die leise Assimilierung der
Konfessionen, wie sie der norddeutsche Boden zeigt, nicht zu sehen brauchte.
Sonst aber ist sein Roman Kulturbild und Seelenbild zugleich. Ein
Buch von unendlichem Reichtum, für dessen Aufbau die meisten unserer
Poeten nicht genug Material haben würden. Ein Buch von unheimlicher,
Scharfsichtigkeit, wie es nur aus der Werkstatt eines gereiften Künstlers
servorgehen kann.
Walter Turszinsky.