I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 128

Der Neg ins Freie
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beck: das hohe Lied von der Menschen ergreifen und mit sich fortreißen kann, zu
Nichts ist natürlicher, als daß Sprache. Wie in einem Kaleidoskon die Figuren, wechseln
Brüche ging. Aber die reine in dem Buche vielfarbig die Ideale, die unsere Studenten¬
notwendig, denn der Roman
schaft und weit darüber hinaus auch die breitere Oeffent¬
sch, so merkwürdig das klingen
lichkeit bewegen. Von Naturreligion und Philosophie, von
Grundstimmung; alles ist auf
Kunst jeder Art und Zeit, von Nationalitäten und Rassen¬
en. Es liegt viel Träumerisches
hader, von der Liebe in den verschiedensten Erscheinungen,
und Ahnungsvolles; und doch
von Naturmenschen, von Sozialdemokraten und Ana#chisten,
In Kantilener und Wigram,
von Sanotorien, von Wilhelm dem Zweiten und Uniform¬
des Romans — deren Namen
deutschland und von der „stillen Größe der innerlich freien
ewählt sind — finden wir den
Heimat“, von allem möglichen ist die Rede: ein ganzes
mäßigen Grundton verkörpert.
altes holländisches Kirchweihfest voll Gestalten und Ge¬
ossen haben viel gärende und
danken. Alle Torheiten und Seligkeiten der himmelstürmen¬
mit all ihren Licht= und
den Jugend werden vorgeführt, vom zähen Festhalten an
ichende und irrende Naturen,
der heimatlichen Scholle über Naturmenschentum und Theo¬
tsleben Riesensprünge machen.
sophie hinaus bis zur erhabenen Torheit des Träumers,
„Vorrechte einer ästhetischen
der durch Briefe Wilhelm den Zweiten, „diesen einzigen
um „engherzige herkömmliche
Kaiser, der seit Napoleon dem Ersten die Erde unruhig
ergebräuche“ nicht viel. Aber
macht", in seinen Handlungen belehren und die Welt ver¬
haltlos, sind keine Verfalls¬
befsern zu können glaubt. Wir stehen in einem Sprühregen
ihere Zeit mit Vorliebe ge¬
von Vorwürfen und Gedanken und Gegensätzen. Und das
zwar auch und fallen, aber sie
Ganze wird umfangen von einer glühenden Liebe zur
in liegt viel Kräftiges, etwas,
steierischen Heimat. In kraftvollen, klaren, oft freude¬
ht.
Gerade in der Darstellung
jauchzenden Worten wird ihre eigentümliche Schönheit ge¬
Sie ist nicht unverhüllter
schildert. Und gerade darin finde ich die Bedeutung und
Phantasielebens, nicht bloß
die Größe des Romans. Denn er gehört zu den schönsten,
die Abspannung folgt, ob¬
die ich seit langem gelesen habe. Der Dichter
einen
wird. Sie ist mehr. Sie ist! solchen müssen wir Bartsch nach diesem gehaltreichen Buche
sündhaft ist. Sie führt zur
nennen
— dringt mit ganzer Seele in die Tiefe des
innerlichen Einkehr.
An
Minschenherzens ein und holt eine Fülle farbenprächtiger
fast etwas antik Klares und
Bilder daraus hervor. Noch tiefer aber dringt er in die
ht in den Gedanken, vielmehr
Scönheit der Landschaft ein. Wir sehen das wunderbare
elden. Darin alterdings sind
steierische Land sich vor unseren Augen ausbreiten in
auch in nationaler Beziehung
blauende Fernen. Förmlich greifbar wird alles. Und so
befriedigt bleiben.
wird der Roman auch zum hohen Liede des mittel= und
etwa zwei Jahren durch junge
südsteierischen Landes und damit ein Heimatroman ersten
den verschiedensten Berufen
Ranges.
or allem geistige Bedürfnisse,
Noch in einer anderen Beziehung ist er bemerkens¬
lt des Buches. Dabei kommt wert und hervorragend: in sprachlicher Hinsicht nämlich.
s Herz und die Sinne des! Und gerade hier ist heutzutage Besinnung und Hinweis
angebracht, ja notwendig. In einer Zeit, da die sprachliche tieften und bis
Unbildung überhendnimmt und hinaufgreift in die Kreise, gründeten, ja fö
die sprachlich auf den Hönen der Menschheit gehen sollten, gesellschaftliche,
in einer solchen Zeit müssen wir eine kräftige, ursprüng= fragen den nötig
liche und volkstümliche (das heißt von fremden Bei= bildet ungefähr
mengungen freie) Sprache doppelt freudig begrüßen. Da
Pferdebahn fähr
geht nun Bartsch nicht auf ausgetretenem Pfade, er schreitet
noch nicht vorko
selbst wegbahnend voraus: er wird sprachschöpferisch, bei¬
Seiten hin Hie
nahe ließe ich mich verleiten, zu sagen: sprachgewaltig.
des Verfassers
Das ist er im guten Sinne. Seine Neuschöpfungen und
einem Wiener
seine auf den ersten Blick manchmal überraschenden Zu= geordneten, sowi
sammenstellungen und Vergleiche sind wirksam und oft Dies und das
von einer köstlichen Schalkhaftigkeit. Selten nur werden sie
Dichters aus ga
gesucht oder barock und symbolistisch. Hie und da atmen
echtes Zeitbild
sie den kräftigen Waldgeruch des steierischen Landes oder
wie es Schnitzle
sind sie übermütig und burschikos.
mehrere geschaffen
Der Gesamteindruck, den ich von dem Romane mit¬
deutschen
nehme, ist durchaus günstig. Es fließt lebenskräftiges Blut
jüdische Gese
durch die Erzählung; und wie von den zwölf Freunden,
sicht übel aufge
die sich um die lichte, schöne Frau von Karminell sammeln,
kilweise von blei
nur die Tüchtigen und Gesunden übrig bleiben, so möge mal recht schema
das Buch aus der Masse der Neuerscheinungen als Weizen„Hereneinmaleins
ausgesiebt werden und vielen zur Freude gereichen, be= Schnitzler ja aus
sonders aber denen, die „die singende, lachende, helläugige hannte Stellung
Steiermark und die Traumstadt mit ihrer weichen Um¬
haben ihm die
gebung“ ins Herz geschlossen haben wie der Verfasser der
sinnverwandter K
Geschichte, „von der jedes Blatt ein Votivgeschenk der Er¬
Christen vor aller
innetung und des Heimwehs nach ihr ist“

Darstellung und
Nach der Provinz die Hauptstadt, nach dem Deutsch¬
Lebenserscheinung
ium das Judentum und dessen dekadenter Dichter!
Grindsätze sind
Arthur Schnitzler kann sich von seinen bereits mehr= das zu bedeuten
fach ausgebeuteten Vorwürfen, den „Liebeleien", nicht eigentümlichen W
trennen. Denn auch in dem vorliegenden Romane „Der
ist nicht unsere W
Weg ins Freie“ behandelt er die gleichen Probleme. Be¬
deutscher Die
ginn, Höhepunkt und Ende (das Endo ist der „Weg ins
jüdischer, der,
Freie", in die Ungebundenheit) eines Liebesverhältnisses
deutscher Sprache
bilden die Haupthandlung und dabei laufen als Neben¬
wir ihm die Kre
handlungen andere Liebeleien, auf verschiedener Grundlage
vielleicht allzu up
entstanden und mit anderem Ausgange, her. Diesen an
dieses Romans i
und für sich nicht neuen — Liebe und Tod sind ewige
auch nicht neiden.
Probleme — hier nur nach ihrem seelischen Verlauf ver¬