I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 147

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23. Der Nec ins
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Literatur.
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das ungeheure Grauen und den ungeheuren Hohn. Der wissenschaftliche Aufputz seiner
kleiner Sachen ist von einer nihilistischen Verachtung. Indische Mystik ist das einzige,
das er nicht immer ironisch nimmt. Man kann diese Stücke halbverrückt finden,
jedenfalls wird man zugeben müssen, daß sie in ihrer Weise genial erfunden und
glänzend erzählt sind. Männerlektüre sind sie allerdings. Man muß vielleicht über¬
reizte Nerven haben, sie zu schreiben, aber gesunde Nerven, sie zu lesen.
Von Roda Roda hat man den Eindruck eines ursprünglich eigenartigen, sogar
starken Talentes, das sich aber in lauter Scheidemünze ausgibt. Seine größeren
Sachen sind witzig zugespitzte Anekdoten aus dem österreichischen Orient, aus Istrien,
Dalmatien, dem Okkupationsgebiete, Ungarn. Meyrink gegenüber wirkt er harmlos,
denn Meyrink ist oft misanthropisch tief. Daher ist Roda (leider! für ihn) geeignet
zum Liebling des Publikums. Sein Name fällt überall in die Augen wie Leibnitz¬
Cakes. Rosegger hat sich in der Skizze verzettelt, Roda vergeudet sich in der Zehn¬
zeilenanekdote und bringt so die Literatur um eine Begabung, die, in Zucht gehalten,
gestaut, aufs Ganze und Große orientiert und konzentriert, wirklich etwas Starkes,
Neues, Bedeutendes leisten könnte. Er könnte neue Provinzen der erzählenden Kunst
erobern, und ruiniert sein schönes Talent in Eisenbahnlektüre. Kaffeegeschichten müssen
sein. Literarisches Brettl muß sein. Abei daß einer, der das Zeug zu einem Künstler
hätte, Kaffeegeschichten, zwölf aufs Dutzend, hinwirft und Brettl mimt, das muß
nicht sein. Das ist schade.
Der schmale Band Hörschicks entführe uns, noch einmal zu guter letzt, ins
Reine und Künstlerische! „Er liebte die ungebrauchten Worte und wollte sie klingen
lassen, reiner als jene, die dem Alltag die Bücher schenken. Sein Buch sollte wie
ein Sonntag sein, wie ein Sonntagabend in einer Geißblattlaube im Lande der
großen Ebenen, wo die Menschen nur Licht und Klarheit sehen. Und stille Menschen
sollten es besitzen, alle, die eine Sehnsucht in sich haben, Wünsche verschweigen
und darum leiden. Enttäuschte sollten es lesen! Enttäuschte Frauen mit kühlen
Händen und entsagenden Blicken; diese würden es lieben.“ Man könnte diese Zeilen
aus dem Roman als Motto vor das Buch setzen, und als Kritik zugleich. Es ist ein
Buch der Seele, das dieser junge Deutsch=Böhme geschrieben hat; nicht ein Roman,
sondern weniger und mehr: eine Dichtung von schier anämischer Zartheit. Er kommt
vom Stifter der „Feldblumen“ her, und auch von Jens Peter Jacobsen. Was er
erzählt, ist gleichgültig: zwei liebende Paare heiraten, die eine Frau stirbt sehr jung,
— ein Nichts von Geschichte. Alles ist Seele und Stimmung, alles innerliches Er¬
leben. Ein Traum von Reinheit, Höhe, Sehnsucht. Daneben meldet sich schüchtern
ein Kritiker: „Sie machten keine Konzessionen, weil von ihnen keine verlangt wurden.
Aber waren diese Bilder, die sie malten, nicht schon Konzessionen? Waren diese
Bildchen mit den Volksliedmotiven nicht die weitgehendsten Zugeständnisse an den
Zeitgeschmack? War in dem bleichen, silbernen Mondenschein dieser Skizzen die Lieb¬
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lichkeit der Maiennacht nicht bis in das Unerträgliche variiert? Da war der Bau#¬
auf einsamer Höh', die weite Ausschau über flaches Land, eine junge Birke in hartem
Braun des Moores, ein Kreuz im Feld, dann wieder ein Baum auf ragender Höh'
und so fort bis zur endlosen Wiederholung . . . Der Bürger, der sparsame Kauf¬
mann, sprachen von deutscher Kunst und kauften diese nichtssagenden Sächelchen,
denn sie waren billig.“ Solche Stellen lassen hoffen, daß der Verfasser, der die Ge¬
fahr der Manier so klar beschreibt, seine Begabung von ihr reinhalten wird. Diese
seine Begabung aber, eigentümlich und vornehm, läßt ihn als eine Hoffnung unserer.
Literatur erscheinen.
Josef Hofmiller.
Freising.