I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 17

10. Leutnant Gustl
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Ihnen sein! — Habe die Ehre, Herr Lieutenant, hat mich
sehr gefreut — habe die Ehre!" Und bevor der Lieutenant
noch recht zu Bewußtsein gekommen ist ist der Herr
Bäckermeister verschwunden. Nun kommt dem Offizier
Alles zum Bewußtsein. Seine Standesehre ist verletzt.
Er hot sich „dummer Bub“ neunen, an den Säbel greifen
lassen — er ist verloren. Er darf als Offizier nicht weiter¬
leben, er müßte quittiren. Und da ihm jede Lebensform
außerhalb dieses Berufes verhaßt ist, ja ausgeschlossen er¬
scheint, beschließt er, ja es bedarf keiner Entschließung, es
weist sich ihm als der einzig notürlich=ehrenvolle Ausweg, sich
am nächsten Morgen eine Kugel durch den Kopf zu schießen.
Eine letzte Nacht vergeht, bringt alle Bilder des jungen,
nicht allzu reichen bisher verlebten Lebens, weckt Gedanken
an die Heimath, lichte Familienbilder, und jede Vorstellung
endet kaum begonnen, die Linie reißt ab — morgen soll er
sich ja den Lebensfaden selbst abschneiden. Das Gebot der
Offiziersehre heischt das. Der Morgen naht, schwerfällig
mühsam kommt der Tag. Lieutenant Gustl nimmt im
Café sein letztes Frühstück ein, da sagt ihm der Marqueur:
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„Haben Herr Lieutenant schon gehört?“
— der Bäcker¬
meister ist gestorhen. Ein Schlaganfall hat dem Leben des
hochgradig erregten Menschen, der wohl am Tag vorher
schon nicht mehr in geistiger Ordnung war, ein Ende ge¬
macht. — Und Lieutenant Gustl darf weiterleben. Niemand
weiß ja von alledem Gestrigen etwas, wie ein Traum ist es
nun. Sein junges Leben freut ihn. Nichts ängstigt ihn
mehr. Nun geht ja alles gut. Das Duell, das er vor
sich hat, ängstigt ihn nicht. Er ist ja tapfer, der Lientenant
Gustl.
Das ist, peinlich objektiv nacherzählt, der Inhalt und
auch der Stimmungsgehalt der Novelle. Wo liegt da die
Schmähung der Armee? Ist es denn die Aufgabe des
Dichters nur die sozusagen moralischen Formen des Lebens
darzustellen? Oder soll für die Zukunft die Charakterisirung
von Offizieren, die psychologische Analyse ihrer Schicksale
überhaupt verboten sein, für österreichische Reserveoffiziere
wenigstens? Dabei ist Lieutenant Gusti keineswegs ein ver¬
kommener Mensch. Wäre er es, dann könnte ja eine Kommis¬
intelligenz vielleicht auf den Gedanken kommen, die Armee
verlange von ihren Mitgliedern, auch von denen der Reserve,
daß sie ihre Genossen auch dichterisch nicht in bösem Lichte
darstellen. Schließlich darf man ja an Hoftheatern
Richard III. aufführen, ohne daß man von einem Kartell der
gekrönten Häupter gegen diese Aufführung, weil sie geeignet
sei, die Achtung vor diesem Stande zu verwischen, ge¬
hört hätte. Aber, besinnt man sich nur recht, so ist der
Lieutenant Gustl zwar kein. großes Geisteskind, aber er er¬
füllt doch alle Bedingungen des ehrenhaften Normal¬
menschen, ja er ist in seiner strengen Auffassung des Berufes
sogar in gewissem Sinne sympathisch. Daß er sich schließlich
freut, nicht sterben zu dürfen, ist doch am Ende entschuldbar.
Muth wirk, iym von Schnitzler auch nicht abgesprochen,
denn das scharfe Duell am nächsten Tage macht ihm
keine Angst.
Man versteht das Verdikt darnach von keinem Stand¬
punkte aus. Der Ton der Novelle ist ebensowenig gehässig,
wie der Inhalt. Es ist eine ununterbrochene Aufeinander¬
folge aller Gedanken des Lieutenants in dieser Nacht —
wo liegt da die Herabsetzung der Armee? Auch von einer
Tendenz ist nichts zu merken. Ein Dichter hat ganz einfach
eine Seelentragödie aufgeschrieben, ohne eine Moral, eine
Tendenz auch nur anzudeuten. Was bleibt von der litterarischen
Freiheit übrig, wenn selbst die ungehässige Darstellung eines
Schicksals aus irgend einem Berufskreise die gesellschaftliche
Ausstoßung zur Folge haben soll. Die Offiziere machen
den Anfang. Die Beamten oder Lehrer werden folgen,
dem Unverstande ist Macht zu tausend Thorheiten und Be¬
schränktheiten gegeben. Deshalb ist hier der eine Fall genau
auseinandergesetzt worden. Er ist symptomatisch, vielleicht
nur der erste einer nun folgenden Reihe, sicher aber ein
charakteristisches Zeichen der gesellschaftlichen und kulturellen
Stellung des Dichters in unserem Lande.
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Ausschnitt aus:
d AG
vom
401
72
= Zur Maßregelung Arthur Schnitzler's wird noch
gemeldet: Das Vorverfahren gegen Schnitzler war bereits vor
einigen Monaten eingeleitet worden; Schnitzler hatt
edoch ab¬
gelehnt, die Tendenz seiner Novelle „Leutnant G
or dem
Ehrenrat zu verteidigen, und ist aus diesem Gri
ich vor
dem Ehrenrate, der ihn vorgeladen hatte, nicht erschienen. Ein
empfindlicher Schaden für Schnitzler ist es, daß seine Stücke
hinfort nicht mehr im Burgtheater aufgeführt werden können.)
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