I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 143

10.
Gust
Leutnant
box 1/12
ereenen.
n. enese

recht wußte, was er sagen sollte. Er hatte sich die Sache viel ein¬
facher vorgestellt und bedenklich den Korf geschüttelt, als er bemerkt
hatte, daß eigentlich allerlei geschichtliche, socialpolitische, wirthschaft¬
liche, statistische und juristische Kenntnisse nothwendig seien, um die
Rednerbühne zu besteigen. Nun, da hatte er eben geschwiegen, bis
ihm der Zufall den rechten Weg gewiesen hatte.
Eines Tages kam ihm nämlich eine giftgeschwollene Broschüre
über Soldatenmißhandlungen in die Hand; er blutterte darin mehr
aus Langeweile als aus Interesse, und da war's ihm plötzlich, als
bräche ein goldiger Strahl durch das dichte Gewölke an seinem
politischen Himmel!
Kurz darauf hielt Wurzinger seine Jungfernrede, indem er
den Kriegsminister fragte, ob ihm bekannt sei, daß in Jungbunzlau
ein Recrut mit dem Titel eines Esels betheilt worden sei und welche
Vorkehrungen er 2c. 2c.
Von diesem Tage an eilte Wurzinger von Interpellation zu
Interpellation und war bald die béte noire des Ministers geworden.
Ganz zufrieden war er aber doch noch nicht. Er hatte sich
bisher auf allerlei ebenso unorthographische als anonyme Schreiben,
auf vage Gerüchte und Klatsch aus zehnter Hand stützen müssen
und dieser peinüche Umstand hatte ihm mehrere empfindliche Nieder¬
lagen bereitet. Sein stiller Wunsch war's, selbst einmal Zeuge einer
möglichst leicht ausschrotbaren Mißhandlung zu sein, und dieser
Wunsch war gestern in Erfüllung gegangen. Ja, Herr Wurzinger
hatte das Glück gehabt, mit eigenen Augen zu sehen, wie ein junger
Lieutenant einen Mann in Reih und Glied gestoten hatte, und zwar
derart, daß der Mann aufs Knie gefallen war.
In Wirklichkeit war die Sache viel zahmer gewesen. Der
Mann hatte beim Formiren der Doppelreihen einen falschen Sprung
gethan und war vom Zugscommandanten zurechtgeschoben worden.
Hiebei mußte er gestolpert sein, da der Stoß allein, wenn man
schon von einem Stoß reden will, nicht dazu angethan war,
Jemand ins Wanken zu bringen, am wenigsten aber einen präch¬
tigen, baumlangen, bärttstarken Bauernburschen, wie's der ge¬
schobene war.
Doch solche Details kümmerten Wurzinger wenig. Vom Fleck
weg eilte er zum Regimentscommandanten, der vor dem Avance¬
ment stehend, über den unangenehmen Zwischenfall erbost, schärfste
Ahndung versprach. Dann ging er in die Stammkneipe, wo er vor
geduldigen Zuhörern eine Generalprobe der Rede hielt, womit
er in der nächsten Parlamentssession den Minister niederdonnern
wollte.
Am nächsten Tage folgten noch verschiedene Probereden und
dann eilte Wurzinger, wie eingangs erwähnt, seinem Nachtmahle
zu, tief in rosige Gedanken versunken.
„Herr Wurzinger!“
Der Gerufene fuhr erschrocken auf. Ein Oberlie#tenant stand
vor ihm, eine etwas gebeugte, hohe Gestalt, mit auffallend bleichem
Gesichte.
„Können Sie mir eine Viertelstunde in meiner Wohnung
5 1
opfern?
Wurzinger's Gesicht zeigte unverkennbar den größten Wider¬
der Einladung zu folgen.
willen,
Sie werden doch nicht annehmen, daß ein kaiserlicher Officier
Sie in einen Hinterhalt locken will?
Wurzinger stammelte eine verlegene Entschuldigung und schloß
sich dem Officier an, der schweigend die Führung übernahm.
Nach wenigen Minuten, waren sie am Ziele. Durch ein schwuch¬
beleuchtetes Vorzimmer traten sie in ein sehr einfaches Zimmer,
das unverkennbar den Stempel der Officiersbude an sich trug.
„Dies ist mein Zimmer,“ unterbrach der Officier das
Schweigen, „daneben wohnt mein Kamerad Weber, derselbe, gegen
den Sie gestern Anzeige erstattet haben. Begeben wir uns hinüber.
Willenlos folgte Wurzinger seinem Führer. Das Gemach, in
das sie traten, war fast ärmlich ausgestattet; ein großer Tisch, den
Bücher und Karten bedeckten, nahm die Mitte ein. Zwei Kästen,
ein Waschtisch, einige Sessel vervollständigten die Einrichtung. Das
Bett stand hinter einer spanischen Wand. Eine kleine Lampe mit
grünem Schirme verbreitete ein spärliches Licht.
„Sie erlauben, daß ich den Führer mache, fuhr der Ober¬
lieutenant mit eintöniger Stimme fort und näherte sich dem Tische.
„Dies ist der Arbeitstisch Weber's. Die Karten verrathen
das Fachstudium; die Titel der Bücher zeigen Ihnen an, daß Sie's
mit Jemand zu thun haben, den hohe Ideale begeistern, also nichts
weniger ale mit einem rohen Landsknechte.
„Diese verschlossenen und versiegelten Briefe sind, wie Sie
sehen, an die Mutter und die Schwester meines Kameraden sowie
an seinen Obersten gerichtet. Ein vierter, der an mich gerichtet war,
ist bereits erbrochen.“
Der Officier nahm die Lampe vom Tische und schritt gegen
eine Ecke, wo in einfachen Rahmen mehrere Bilder hingen.
„Dies ist der vor einigen Jahren verstorbene Vater Weber's,
ein schlichter, ehrlicher Beamter. Dies ist seine Mutter, die
kümmerlich von ihrer kargen Pension und von dem lebt, was sich
mein Freund vom Munde absparen konnte. Dies ist seine
Schwester, ein hübsches Ding von zwölf Jahren.“
Er wandte den Strahl der Lampe in eine dunkle Ecke, auf
eine bisher unsichtbare Gestalt, ein einfacher Soldat, der, die Hände
zum Gebet gefaltet, still vor sich hin weinte.
„Dies ist der Bursche meines Freundes. In ihm werden Sie
den „Mißhandelten; von gestern erkennen, und dies endlich ist Weber
selbst!“
Herr Wurzinger fuhr mit einem Aufschrei zurück.
Der Oberlieutenant hatte die spanische Wand zurückgeschoben
und stand, die Lampe hochhaltend, aln Bett des Freundes. Weber
lag vollständig bekleidet auf der Ruhestätte; seine Rechte um¬
klammerte den Griff eines Revolvers, aus einem kleinen schwarzen
Loche an der rechten Schläfe lief ein dünner rother Streifen über
das Kissen.
Eine schauerliche Stille folgte den letzten Worten des Officiers
und dem Aufschrei Wurzinger's. Der Officier stand wie eine Bild¬
säule, den tieftraurigen Blick auf das stiere Antlitz des Freundes
gerichtet. Der Abgeordnete starrte mit weit aufgerissenen Augen
den Leichnam an, unfähig zu reden, fast unfähig zu denken.
Nichts unterbrach die schwüle Stille als ein leises Schluchzen
und ein halblautes, oft wiederholtes: „Mei Leitnant! Mei oarmer
Leitnant!
Endlich wandte sich der Officier zu seinem Gaste und unter¬
brach das Schweigen.
„Herr Wurzinger,“ sagte er in ernste.n ruhigen Tone, „gehen
Sie hin und sagen Sie Ihren Gesinnungsgenossen, was Sie ge¬
ehen. Sagen Sie Ihnen, daß dies schauerliche Schauspiel fast
immer der Schluß derartiger Affairen ist. Fragen Sie sich
elbst, ob es gerecht ist, daß ein barsches Wort,
ein Stoß, ein Puff mit dem Tode eines Menschen,
mit dem Jammer, dem Ruin einer Familie
gesühnt wird.
„Glauben Sie mir, der Officier, der sich zu einem scharfen
Wort, zu einer Thätlichkeit hinreißen läßt, ist in neunzig Fällen
von hundert ein beliebter Vorgesetzter, für den die Leute, vielleicht
der Gemaßregelte an der Spitze, gern durchs Feuer gingen.
„Der wirkliche Leuteschinder wird nie mit dem Gesetze in
Conflict gerathen, da er, stets im Rahmen des Nichtverbotenen
bleibend, aus jedem Paragraphen des Reglements ein Marterwerk¬
zeug schmiedet, womit er seinen Untergebenen ohne jede Gefahr zur
Verzweiflung, zum Selbstmord treiben kann.
„Solche verabscheuenswerthe Charaktere gibt es leider, und
könnte man die Welt davon befreien, man thäte ein gutes Werk.
Aber nicht beim Militär allein dürfen Sie nach solchen fahnden,
auch nicht hauptsächlich beim Militär.
„Wo Mensch über Mensch steht, da werden Sie ihn finden.
Im Contor des Kaufmannes, in der Werkstätre, im Gerichtssaal,
im Schulzimmer und im Prüfungssaale der Universität.
„Sagen Sie das Ihren politischen Freunden, und wenn Sie
auch nur einen davon umstimmen, wenn Sie nur einen davon von
blindem Haß zu versöhnlicher Stimmung bringen, so ist das Blut
des armen Jungen da nicht ganz umsonst geflossen!“
Correspondenz der Redaction.
Wir richten hiermit an jene unserer Leser, welche Amateurphotographen sind,
die Bitte, uns bemerkenswerthe Aufnahmen zur Reproduction zu überlassen. Die eingesandten
Bilder werden auf Wunsch unversehrt wieder rückgestellt. Selbstverstandlich werden wir stets
die erwachsenden Kosten begleichen Aufnahmen von den Manövern, von ganzen Officierscorps,
von Festlichkeiten 2c. sind besonders erwünscht. Bei Einsendungen bitten wir, den Bildern stets
eine genaue Legende beizufügen: Ort, Zeit, Anlaß der Aufnahme, Namhastmachung der auf dem
Bilde erkenntlichen Porträts 2c.
Die Redaction von „Danzer's Armee=Zeitung“
Wien, IX/2 Prechtlgasse 7.