I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 146

Wisorocad= Zivil.
„ Die Beziehungen zwischen Militär
und Zivil
einer ein¬
sind bishernoch nie zum Gegenstand
gehenden Derstellung gemachtworden.“ Mit diesen
Waeten begründet der anonyme Verfasser eines
eben (bei Wilhelm Brgumüller) erschienenen
Buches „Militär und Zivil. Zeitgemäße
Betrachtungen von einem Oesterreicher“, die Ab¬
fassung seines Werkes. Offen gibt er in der Vor¬
rede zu, daß er durchaus nicht „sine ira et
studio“ geschrieben habe. Die Sympathie für die
Armee habe ihm die Feder geführt. Freilich macht
hn seine Sympathie nicht blind für die Schwächen
Das Buch des unbekannten Verfassers ent¬
spricht in der Tat diesem Vorsatz. Es ist eine der
objektivsten Schriften, die aus den Kreisen der
unbedingten Anhänger der Armee geschrieben

wurde. Der Verfasser sieht mit klarem Auge die
Schäden am Körper des Heeres und bespricht sie
mit rücksichtslosem Gleichmut. Er sucht die Ge¬
brechen menschlich zu erklären, eher sie zu ver¬
teidigen.
Der bürgerlichen Welt steht der Verfasser frei¬
lich ziemlich verständnislos gegenüber. So wenn
er auf die angebliche erbitterte Gegnerschaft der
Intelligenz gegen die Armee zu sprechen
kommt. Er führt sie darauf zurück, daß das
Offizierskorps die festeste Stütze des monarchi¬
schen Prinzips ist. Dies mache sie allen jenen
verhaßt, die unter dem Deckmantel „liberal“,
„freisinnig", „sozialpolitisch“ eine „mehr oder
weniger republikanische Gesinnung“ verbergen
Diese Charakterisierung der intelligenten Berufe,
die in ihrer Simplizität das Gegenstück in der
von sozialdemokratischer Seite geprägten Pau¬
schalbezeichnung „reaktionäre Masse“ hat, ist
natürlich ebenso naiv wie die Behauptung
des Verfassers, die Abneigung der Intelligenz
habe ihre geheime psychologische Quelle in dem
Neide über die Erfolge des bunten Rockes.
Der Autor steht eben dem bürgerlichen Denken
viel ferner als dem militärischen. Eine Wendung
ei als Beispiel zitiert. Er bezeichnet die „natio¬
nale Frage“ als eine der „Errungenschaften
des Jahres 1848. Diese Verwechslung von
historischer Ursache und Wirkung zieht sich durch
alle Betrachtungen, so weit sie das nationale
und politische Leben berühren.
Trotzdem ist das Buch sympathisch zu begrüßen.
Denn wo es auf Armeeangelegenheiten zu sprechen
kommt, offenbart der Autor eine nicht gewöhn¬
liche Vorurteilslosigkeit. Er geht die „Sunden
des Militärs“ der Reihe nach durch, be¬
ginnend bei dem „Militarismus“, den er kurz
als den Inbegriff aller Schattenseiten des Heer¬
wesens bezeichnet. Wenn er den Gegnern
Militarismus auch gegenüberhält, daß
die
„allgemeine Wehrpflicht“ das gleiche Recht
alle gebracht habe, und start die erzieherische
Wirkung des Militärdienstes betont, so verkennt
er nicht, daß die wirtschaftlichen Lasten ganz be¬
deutende sind und der Eingriff der Wehrpflicht in
das Privatleben ein ungeheurer ist. Angesichts
der allgemeinen Tendenz ist ihm der Militarrs¬
mus ein notwendiges Uebel, ein Uebel auch des¬
halb, weil er vom monarchischen Standpunkt das
alte kleine Söldnerheer vorziehen würde.
Daß die so intensive Heranziehung des Volkes
zum Dienste den Militärkreisen Pflichten auf¬
erlege, erkennt der Autor in dem Kapitel
„Soldatenmißhandlungen“ an.
bezeichnet die Besprechung dieser traurigen Vor¬
kommnisse als eine Pflicht des Parlaments und
tadelt es, daß die offiziösen Blätter ihnen ängstlich
aus dem Wege gehen. Psychologisch erklärt er
sich die Mißhandlungen aus der allgemeinen Ab¬
nahme der Humanität in unserem Zeitalter. Die
Erscheinung der progressiven Dienstgrobheit ist
ihm tief in der menschlichen Natur begründet,
leider sei nirgends der feste Wille zu be¬
merken, der Rauheit der militärischen Dienst¬
prache entgegenzuwirken. Scharf verurteilt
vird die tätliche Mißhandlung Untergebener.
Der Autor schreibt sie der großen Macht¬
vollkommenheit zu, die dem Vorgesetzten ein¬
gerämmt ist. Hier der Versuchung zu wider¬
stehen, sei schwer. Mit Recht tadle aber Bebel
in seinen Reden über dieses Thema die auffallend
milden Strafen von Soldatenschinderei
In Oesterreich sind in den letzten Jahren beson¬
ers erschreckende Ziffern von dem 10. Korps be¬
kanntgeworden. Es sei den Ministern, die den par¬
amentarischen Angriffen entgegentraten,
nicht
vollständig gelungen, den Korpskommandanten
Galgotzy zu entlasten. Ein trüber Bodensatz
sei übriggeblieben. Ebenso zu mißbilligen wie
die direkten Mißhandlungen sei die Gleichgültig¬
eit gegen das Wohl der Untergebenen. Es sei er¬
reulich, daß man im Falle des Bileker Todes¬
marsches von dem üblichen Vertuschungssystem
abgekommen sei.
Ein weiteres Kapitel ist den Säbel¬
affären gewidmet. Der Verfasser leugnet nicht,
daß manchen jungen Offizieren der Säbel allzu
lose in der Scheide sitze, weist aber andererseits
darauf hin, daß der oft sinnlos grausame mili¬
uen!
Rnum WAADRWFEIEEREEMNEEEN
tärische Ehrenkoder die Offiziere zwinge, zur
Waffe zu greifen, wollen sie nicht ihre Existenz
aufs Spiel setzen. Der Ehrenkoder leitet zur
ielbesprochenen Duellfrage hinüber. Das
Militär sei zweifellos ein Förderer dieser nichts
weniger als guten alten Sitte. Das Vorgehen
der Kriegsverwaltung gegen die Anti=Duell=Liga
ei keineswegs geschickt gewesen. Es müsse über¬
haupt konstatiert werden, daß die älteren Offi¬
ziere wenig Neigung zeigen, die bei den jüngeren
Kameraden erklärliche Raufluft zu dämpfen.
Der Fall Ledochowski offenbart geradezu
eine krankhafte Hypertrophie des militärischen
Ehrbegriffs.
Unter dem Titel „Verschiedenes“ bespricht
der
Autor eine Reihe kleinerer Sünden
des
Militärs; so die falsch verstandene „Schneidig¬
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kenn, die in den militärischen Erziehungs¬
anstalten mehr als notwendig betont werde. Die
Geringschätzung gegen geistige Arbeit nicht¬
militärischer Natur, die bis in die höchsten Ränge
zu konstatieren sei, die Verquickung des außer¬
dienstlichen Verhältnisses mit dem dienstlichen
die falsch verstandene Solidarität 2c.
Den Beschluß des Buches macht ein Kapiteb
über die Reserveoffiziersfrage. Der Autor ver¬
kennt nicht die schwierige Stellung, in die ein
Mann des öffentlichen Lebens, der Reserve¬
offizier ist, geraten kann. Man könne einem
Offizier, schon des Präjudizes halber nicht ge¬
tatten, gegen die Regierung aufzutreten, auch
wenn dies im konservativsten Sinne geschieht.
Auch Künstler und Schriftsteller geraten oft in ein
peinliches Dilemma zwischen ihrer Ueberzeugung
und dem Portepee. Der Autor zitiert den be¬
kannten Fal
Aus diesem Zwie¬
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als die Einschränkung der Reserveoffizierscharge
nach deutschem Muster. Man müsse nur Leute zur
Reserveoffizieren ernennen, deren Loyalität
einem Zweifel unterliegt. Dieser Vorschlag des
lutors zeigt freilich wieder sein eingangs charakte¬
risiertes Unverständnis
für das bürgerliche
Leben. Wenn man die jungen Leute zum Dienste
verhält, so muß man ihnen auch die ihrem Wissen
und
ihrer Eignung entsprechende misitärische
Würde geben. Der Ausweg des Verfassers würte
das Militär dem Zivil noch mehr entfremden,
würde geradezu eine militärische Kaste züchten.