I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 148

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10. Leutnant Gust.

Sehine aber die Glaubiger mient, au die A.
jenen Ziffern eingeschlossenen Getreidezölle, welche dies¬
mal mit nur Milr. 42,843 gegen Milr. 453,420 im gleichen
Vorjahrsmonat, d. h. Milr. 410,577 weniger ausgewiesen
erden, dem Convenio nicht unterliegen. Der genaue
uf die Auslandsanleihen entlallende Betrag, welcher
nömlich jetzt nicht mehr von der „schmalen Sichel des Mon¬
des“, sondern wer etwas auf Modernität hält, kann nur noch
von einer „sehr schmalen Sichel“ reden. Man sagt nicht
mehr: die schwarzen Schatten, sondern: die sehr schwarzen
Schatten. Beide Beispiele finden sich auf der ersten Seite
jener Erzählung. Immer schien mir schon bei David Intuition
und Reflexion miteinander im Kampf zu liegen. Es scheint
fast, als würde letztere immer meyr Herr über den Dichter.
Das wäre sehr schade bei seinem Talent, das man auch in
diesem Band oft genug bewundern muß.
Bei den „Frühlingsblumen“.*) Novellen von
Johannes Schlaf, bedauert man auch, daß lange Stellen
dürrer Reflexion mitten zwischen den intimsten, anheimelnd¬
sten Stimmungen stehen. Mitten zwischen Worten, Bildern,
Sätzen, auf denen man ruhen und träumen möchte, so weich
sind sie. Diese Reflexionen wollen Perspektive geben, Hori¬
zonte öffnen, aus der Enge in Weiten und Tiefen deuten,
aber sie stehen doch nur mitten zwischen den Blüthen dieser
Dichtungen wie ein pedantischer Magister mit großmächtiger
Brille auf einer blühenden, bunten Wiese. Schlaf strichelt
mit schalkhaftem Lächeln und stillem Behagen reizende Idyl¬
len, seinen feinen Augen entgeht das Kleinste nicht. Und
wenn es nöthig ist, hat er immer noch vom „Meister Oelze“
her den festen, grausamen Griff, wie z. B. in der Novelle
„Gerechtigkeit“. Wenn er sich nur den naturphilosophischen
Mummenschanz abthun wollte. Er steht den Dichtungen
nicht, er stört nur. Es muß ja nicht jeder „Wilhelm Böl¬
scheln“.
Auch von Wilhelm v. Polenz liegt ein Bändchen Ge¬
schichten vor, Dorfgeschichten. Es nennt sich „Lugins¬
land".**) Polenz hat einmal wieder von seinem Gut aus
mit hellen Augen Ausschau gehalten nach allerhand Bauern¬
wolk ringsum und dabei Manchen für sein Buch eingefangen,
den es lohnt, kennenzulernen. Namentlich gilt das von den
ersten Geschichten. Ihr Hauptwerth liegt in der Zeichnung
der Charaitere. Das dürfte überhaupt die Stärke dieses
Schriftstellers sein, dessen lyrisches Vermögen, dessen Gabe
zu fabuliren ziemlich gering ist. Ich habe wenigstens stets
seine kürzeren Sachen am höchsten gestellt. Da fallen diese
Mängel nicht auf, wie bei langen Romanen. Auch der
Stil seiner Dorfgeschichten ist farbiger, kräftiger als der
seiner letzten Romane, deren Sprache geradezu konventionell
werden kann. An dem Großbauer Kumack, der Leichenfrau
Mauksch, dem alten Wrack Bierlich, der Familie Riegel und
als Gegenstück dazu die leichte Sippe der Krapse, an ihnen
*) Berlin W., F. Fontane & Co. 1901.
**) Berlin W., F. Fontane & Co. 1901.
D. Grundschld.4-
42.—b
41.90b 1 Pr. Centr. v. 50
33.200
9.200
Charieet
10. 3¼
10.—
10.—b
do. V. 96 3½
92.505
92.505
ContGes
Goth.Gr-Präm.3½
16.—
15.60
do. Comm.-Obl.3½
95.25
95.50b
Consolic
Meining.Pr.-Pfd.4
30.—a
do. Hyp. A.-B. 4
80.
80.—

Dannen!
2.255
Pr. Bor.A-BS 163½
92.25
do. do. 3½
11.25
Dessaue
do.S.14 4
98.60b
93.50g
Rheinprov.Obl.3½ 98.10b
99.—
D. Wafl.
allen kann man nur seine ästhetische Freude haben. Sie
ür die
alle stehen fest und sicher, wohlgetroffen vor uns. Nur zwei
umgel
Gestalten wollen mir nicht recht behagen. Der „rothe“ Run¬
G
zel aus Gerechtigkeitsgefühl nicht. Wäre ich Mitglied der
von 2
ozialdemokratischen Partei, würde sie mich direkt verletzen,
denn dieser Runzig, der als Typus gehalten ist, ist nicht
iren,
typisch für den Sozialdemokraten seiner Art und Lage. Die
oscha
andere Gestalt behagt mir aus rein ästhetischen Gründen
Men
nicht recht, denn Zittelgusts inna, die Heldin der letzten
daß si
Erzählung, steht durchaus nicht so im Vordergrund des In¬
alles
teresses, wie man es nach der ganzen Anlage der Geschichte
irt,
erwarten sollte.
kann.
schicht
Ebenfalls hauptsächlich durch die dargestellten Charaktere
einen
esseln die vier Geschichten in dem Bändchen: „Die
wiede
chwarze Madonna“*), von Hans Weber=Lut¬
wirkli
kow. Es sind Geschichten aus dem österreichisch=ungarischen
Kleinrußland, deren Menschen zuml Theil in ganz ähnlichem
chütte
Milieu leben wie die Menschen in „Luginsland“. Aber welch'
noch :
weite Rassen= und Kulturunterschiede! Bei Weber=Lutkow
o klu
finden sich fast nur dumpfe Triebmenschen, die von den aller¬
hat si
primitivsten Trieben beherrscht werden. Da ist z. B. die
Einfa
gutkatholische Martha, die des Geldes wegen einen alten,
ihm
vertrunkenen Kerl geheirathet hat, während sie einen jungen
gleich
übschen Burschen liebt. Sie wartet und wartet, daß der
r ist,
Alte endlich stirbt, und wenn sie ungeduldig wird, tröstet sie
Fehler
hre Mutter: Gott werde schon gnädig sein und bald ein Ein¬
gebore
sehen haben. Aber es dauert ihr doch zu lange, viel zu lange
chnelle
und sie fleht zur schwarzen Madonna, die im Zimmer hängt,
„Gesch
ie möge doch helfen, ohne aber gleich zu wissen, wie sie denn
konpen
helfen soll, nur aus dem dumpfen Instinkt heraus, daß sie
Ha
das Leben an der Seite des Alten nicht mehr lange aus¬
her vor
halten kann. Plötzlich kommt ihr der Gedanke, sie müsse den
sind,
Alten todtschlagen. Sie erschrickt, sie kämpft gegen den Ge¬
jetzt
danken, aber die schwarze Madonna an der Wand siehl sie
es von
o freundlich an, gerade als billige sie den Gedanken. Ja sie
leicht?
chaut fast so aus, als wäre sie selbst es, die ihr den Ge¬
wir D
danken eingegeben. So führt sie ihn denn aus und wird von
„Feier
den bäuerlichen Geschworenen freigesprochen, denn was die
Buch:
Madonna wünscht, muß man thun, das fordert die Frömmig¬
dageac
keit. Krasse Brutalitäten dieser Triebmenschen versteht Weber
net, fel
Lutkow so darzustellen, daß sie verständlich werden, daß man
schichte
nicht nur Grauen empfindet vor diesen Wesen. Und darin
blutvol
zeigt sich eben, daß Weber=Lutkow ein Dichter ist. Das trifft
unbedin
ür alle vier Geschichten zu. Darin und in der Fähigkeit, die
#t
**).
)Linz, Wien, Leipzig, Oesterreichische Verlagsanstalt,
1901
1901.
* Vortrag Edouard Dujardin. Im Romanischen Seminar
sprach Edouard Dujardin, einer der wenigen heute noch lebenden
Symbolisten, die in Frankreich vor mehr als fünfzig Jahren
Epoche machten, über das Thema: Der innere Monolog im zeit¬
genössischen Roman (Le monologue intérieur dans le roman con¬
temporain). Der Monolog schlechtweg, der traditionelle Mono¬
log, der vom Theater stammt, ist etwas Grundverschiedenes von
dem inneren Monolog, dessen genialster zeitgenössischer Ver¬
treter James Joyce ist, und der mit der kategorischen Anwen¬
dung des inneren Monologs in seinem Roman „Ulysses“ eine neue
literarische Form ins Leben gerufen hat. Doch ist Joyce der
eigentliche Erfinder? Es scheint nicht. Zum ersten Male wurde
diese Form des Romans in Frankreich vor fünfzig Jahren ange¬
wandt, und zwar vom Redner selbst in einem Roman, den er
unter Schopenhauers Einfluss 1882 schrieb. Die Liebe und die
exakte Detaillierung, mit der Dujardin das Thema behandelte,
sind also leicht erklärlich. Er definierte in einer langen Reihe
von Formulierungen den inneren Monolog, der eine Expression
der Gefühle und Gedanken des Unterbewusstseins ist, charakte¬
ristisch durch unlogische, unordentliche, nicht organisierte
Wiedergabe eben dieser Gedanken und Gefühle. Proust und
Dostojewski, die analysieren und erklären, nicht aber die Ge¬
danken im Werden wiedergeben, dürfen nicht zu den Vertretern
dieser literarischen Form des inneren Monologs gerechnet wer¬
den. Dagegen wies Dujardin auf „Leutnant Gustl“ von Schnitz¬
ler und auf mehrere junge Franzosen hin, und zwar hauptsächlich
L. R.
Surrealisten.