I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 191

10.
Leutnant Gust
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Ausschnitt aus:
WENa
vom
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A0

Der Schriftsteller Dr. Arthur Schnitzler.
dem bekanntlich das Wiener Officiers=Ehrengericht die
Officierscharge nahm, weil er in einer Novellenfigur,
dem Leutnant Gustl, den Officiersstand verhöhnt haben
soll, hatte als Oberarzt nach Absolvirung des Landwehr¬
dienstes auf eigenen Wunsch die Officierscharge behalten
sich jetzt jedoch geweigert, vor dem Ehrengericht zu er¬
scheinen. Er reagirte auch nicht auf einen beleidigenden
Angriff in der „Reichswehr: Die Militärs meinen
daher, daß sie einen Eingriff in Schnitzler's Künstler¬
rechte nicht beabsichtigt hätten. Seine Verurtheilung
sei übrigens selbverständlich gewesen. Anderseits wird
dem Kriegsminister vorgeworfen, daß er überhaupt die
Verweisung einer anstötzigen Novelle vor das Officiers¬
gericht betrieben habe.
Es
ist ein empfindlicher
Schaden für Schnitzler, daß seine Stücke hinfort nicht
Für 50
mehr im Burgtheater aufgeführt werden können.

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Verwärte (Gerlis)
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vom

Ausland.
Dichter und Reserveoffizier.
Aus Wien wird uns vom 21. Juni geschrieben: Eine
Ek. östreichische Dichtkunst hat es immer gegeben, aber daß man
nach dem militärischen Dienstreglement zu dichten habe,
ist sicherlich etwas Neues. Und doch ist diese Regel gestern hoch¬
amtlich verkündet worden: Ein Schriftsteller ist wegen
einer Novelle vom Ehrenrat seiner Offiziers¬
charge verlustig erklärt worden. Der Held dieser Tragi¬
komödie ist Arthur Schnitzler, unter den Schriftstellern der so¬
genannten Wiener Schule sicherlich der begabteste. Schnitzler ver¬
beentlichte in der Weihnachtsnummer der „Neuen Freien Presse“ eine
Studie „Lientenant Gustl“, die nicht nur dichterisch äußerst
wertvoll, sondern sicherlich eine der schärfsten Satiren ist, die
je gegen den Offiziersstand geschrieben worden sind.
Die
Stärke der Satire liegt darin, daß der Dichter
asive
den
Lientenant nicht verhöhnt, sondern schildert — als einen im
Grunde genommen gutmütigen und nicht ungünstig veranlagten
iar
Menschen, dem jedoch der äußerliche Ehrbegriff des Portepees den
Oraus
Kopf verdreht, das Herz ausgehöhlt, die echte Sittlichkeit vertrieben
hat. Es ist nicht gerade der Offizier, den Schnitzler schildert, sondern
st das
der Lientenant, der halbwüchsige Junge, den der Müßiggang
es der
des Solbatentums zu den Weibern treibt, dessen centrales Empfinden
der geschlechtliche Genuß ist. Die kleine Novelle ist ein einziger
Monolog; Lientenant Gustl ist in ein ernstes Konzert geraten, wo
er sich furchtbar langweilt, und gerät beim Ausgang mit einem
Pgen¬
Bäckermeister in Streit. Dieser beschimpft ihn, der Lientenant will den
leitung“
Säbel ziehen, doch der Bäckermeister hält den Säbel fest und nennt ihn
ie Leben
einen dummen Buben. Nun entwickelt sich in dem verrückten Burschen
eilung
die ganze groteske Gedankenweite des Offiziers, die damit schließt
daß er sich töten müsse; die ,Schmach“ könne er auf sich nicht sitzen
lassen. Er geht in den Prater, um sich die Kugel in den Kopf zu
schießen, tritt aber vor dem entscheidenden Augenblick noch in sein
Stamcafé ein. Dort erfährt er, daß den Bäckermeister in der Nacht
der Schlag getroffen hat, der Verüber und Zeuge seiner „Schande“
tot ist. Hier ist der Kern der blutigen Satire: der Lieutenant
ob der Nachricht selig, überglücklich: „O, herrlich, herrlich!
Am
End' ist das alles, weil ich in der Kirchen g’wesen bin.
Tot
ist er — tot ist er! Keiner weiß was, und nichts ist geschehen!
Und das Mordsglück, daß ich in das Kaffeehaus
gegangen,
sonst hätt' ich mich ja ganz umsonst erschossen!
Wohl¬
gemut zündet er sich die Cigarre an, bestellt sich seine
Geliebte für abends und ist wieder der ritterliche, schneidige
ehrenhafte Offizier, als der er sich und den andern gilt. Das, was
in der kleinen Skizze so wunderbar erfaßt ist, ist die innerliche
Verrohung, die aus dem Offiziersktand hervorgeht:
Jene Ver¬
rohung, der ein äußerlicher, fetischistischer Ehrbegriff
über alles
geht. Die wahnsinnige Freude über den Tod eines Menschen geht
ins Blut.
Herr Schnitzler ist ob dieser Novelle nun in ehrenrätliche Unter¬
suchung gezogen worden — er ist Reserve=Offizier und Regiments¬
unzt — und als er es korrekterweise ablehnte, über sein dichterisches
Schaffen dem Ehrenrate Rede und Antwort zu siehen,
wurde er von dieser muttärischen Behörde des Offiziers¬
charatters für verlustig erklärt.
Die Sache ist für Herrn
Schnitzler wohl ohne jede Bedeutung; schließlich ist man
lieber ein Dichter, denn ein Regimentsarzt, und wenn die
östreichischen Offiziere vermeinen, daß das Dichten mit dem Dienst¬
reglement unverembat ist, so wird wohl jeder auf das fragwürdige
Vergnügen, seine Muse von dem Offiziersbegriff inspiriren zu lassen,
gern verzichten. Der Ehrenrat hat sich ja nicht zum erstenmale
blamiert. Als er seiner Zeit dem Genossen Leuthner wegen einer
wissenschaftlichen Rede über Marx den Offizierscharakter entzog,
bezeugte er vor der Wissenschaft denselben Respekt, den er jetzt vor
der Kunst offenbart. Das Interessante an dieser „Maßregelung
nes Dichters liegt aber darin, daß der Offiziersstand damit
bekräftigt, wie wenig er die wahrheitsgemäße
Schilderung seiner Mitglieder verträgt.
Der
Dichter hat uns den Typus des Lientenants gezeigt, den Typus
einer Kaste, die ihr sittliches Fundament, ihre sociale Notwendigkeit
verloren hat und deshalb ganz aufs Aeußerliche angewiesen ist.
Der Militarismus verträgt aber nicht das grelle Licht, mit dem der
Dichter das aufgedonnerte Nichts dieses Standesgefühls beleuchtet
hat. Herr Schnitzler mag sich trösten: der den Lientenant Gustl
unbarmherzig porträtiert hat, kann nicht wünschen, sein Standes¬
genosse zu bleiben.