II, Theaterstücke 29, Komödie der Verführung. In drei Akten (Der Verführer), Seite 95

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29. K#die der erfuchrung
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Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
Husschnitt aus:
Neue Badische bandeszeitung,
Mannheim
27 Okt. 1926

* (Wiesbadener Theater.) Schnitzlers „Komödie
der Verführung“, die im Staatstheater ihre reichs¬
deutsche Uraufführung erlebte, will (offenbar als Schlüssel¬
stück gedacht) einen Querschnitt legen durch die zersetzte,
für den Untergang reife Wiener Gesellschaft der letzten
Vorkriegsjahre. In ihrer dekadenten Kulturmüdigkeit aber
hat sie unserer von Stürmen durchrasten, in Kämpfen hart
gewordenen Zeit nichts mehr zu sagen; selbst das Bemühen
um typisch=zeitgeschichtliche Gestaltung einer vergangenen
Epoche bleibt weitab der Erfüllung. Was sich zwischen den
Menschen der Handlung begibt, hat nichts zwingend All¬
gemeingültiges, sondern ist nur eine Folge lose verbundener.
unerquicklicher Evisodenszenen, ein irrsinniger Tanz von
Mann und Weib zu den Götzen des Geschlechtes. Im
Taumel zügelloser Sinnenlust werden die Menschen zu
Schemen, kein Charakter formt sich, kein Schicksal wird zu
überzeugendem Erlebnis, alles bleibt Laune, Spiel und
Zufall. Flüssiger Dialog kann über Gedankenarmut und
den traurig offenbarten Mangel an dramatischer wie künst¬
lerischer Gestaltungskraft nicht hinwegtäuschen. Die Komödie
wird zur Tragödie für den Dichter Schnitzler, der sich selbst
preisgab um die billige Sensation eines mit gröbsten Mit¬
teln und noch dazu schlecht gemachten Theaterstücks, dem
gar das Hereindrohen gewaltigen Weltgeschehens nur Dra¬
pierung galt für ein mattes und seelenloses Liebesspiel. Es
war nicht Schuld der Regie noch der teilweise Vorzügliches
leistenden Darsteller, daß neben geringen Ansätzen zu gestei¬
gerter Spannung weite Strecken blaß und eindruckslos
blieben im Mangel innerer, seelischer Notwendigkeit. Für
das allgemein in der Auswahl seiner Neuheiten nicht sehr
glückliche Wiesbadener Staatstheater bedeutete die Auf¬
führung keinen Gewinn; der lebhafte, wenngleich nicht un¬
widersprochen bleibende Beifall änderte nichts an dem Ein¬
druck eines Fehlgriffs und künstlerischen Mißerfolges.
Heinrich Leis.
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Dr. Max Goldschmict
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N 4
Husschnitt aus:
Neue Badische bandeszeitung,
Mannheim
2 7, Okt. 1925
(Wiesbadener Theater.) Schnitzlers „Komödie
der Verführung“, die im Staatstheater ihre reichs¬
deutsche Uraufführung erlebte, will (offenbar als Schlüssel¬
stück gedacht) einen Querschnitt legen durch die zersetzte,
für den Untergang reife Wiener Gesellschaft der letzten
Vorkriegsjahre. In ihrer dekadenten Kulturmüdigkeit aber
hat sie unserer von Stürmen durchrasten, in Kämpfen hart
gewordenen Zeit nichts mehr zu sagen; selbst das Bemühen
um typisch=zeitgeschichtliche Gestaltung einer vergangenen
Epoche bleibt weitab der Erfüllung. Was sich zwischen den
Menschen der Handlung begibt, hat nichts zwingend All¬
gemeingültiges, sondern ist nur eine Folge lose verbundener,
unerquicklicher Episodenszenen ein irrsinniger Tanz von
Mann und Weib zu den Götzen des Geschlechtes. Im
Taumel zügelloser Sinnenlust werden die Menschen zu
Schemen, kein Charakter formt sich, kein Schicksal wird zu
überzeugendem Erlebnis, alles bleibt Laune, Spiel und
Zufall. Flüssiger Dialog kann über Gedankenarmut und
den traurig offenbarten Mange' an dramatischer wie künst¬
lerischer Gestaltungskraft nicht hinwegtäuschen. Die Komödie
wird zur Tragödie für den Dichter Schnitzler, der sich selbst
preisgab um die billige Sensation eines mit gröbsten Mit¬
teln und noch dazu schlecht gemachten Theaterstücks, dem
gar das Hereindrohen gewaltigen Weltgeschehens nur Dra¬
pierung galt für ein mattes und seelenloses Liebesspiel. Es
war nicht Schuld der Regie noch der teilweise Vorzügliches
leistenden Darsteller, daß neben geringen Ansätzen zu gestei¬
gerter Spannung weite Strecken blaß und eindruckslos
blieben im Mangel innerer, seelischer Notwendigkeit. Für
das allgemein in der Auswahl seiner Neuheiten nicht sehr
glückliche Wiesbadener Staatstheater bedeutete die Auf¬
führung keinen Gewinn; der lebhafte, wenngleich nicht un¬
vidersprochen bleibende Beifall änderte nichts an dem Ein¬
druck eines Fehlgriffs und künstlerischen Mißerfolges.
Heinrich Leis.