i W nn ie Aienseo), ein furchtlioser Pil
von Eigenschaften, die man Charakter nennt, ein un¬
politischer Politiker des Gefühls, des Anstandes,
der unweigerlichen Instinkte. Er hat aus ärzt¬
licher Ueberzeugung einem Geistlichen den Zutritt¬
zum Krankenbette einer ahnungslos Sterbenden ver¬
weigert und trägt kompromißlos alle Konsequenzen.
Da er Jude“ ist, wird er wegen Relizions¬
störung verurteilt. Da er den öffentlichen, ärm,
haßt, verzichtet er auf Berufung an eine hoheee
Instanz, da er stolz ist, verschmäht er den Gnadenweg
und läßt sich auf zwei Monate einsperren, und als er#
umjubelt von Anhängern den Kerker verläßt und eine
Kronzeugin sich des Meineides anklagt, möchte er aus
Verachtung lauter Triumphe am liebsten davonfliehen,
um den Schwindel einer Gerichtsverhandlung nicht
noch einmal „in anderer Beleuchtung“ zu sehen.
Ueber diesen Mann sammeln sich im Zuschauer
alle möglichen Urteile. Man wird seiner erst habhaft,
bis man ihn durch alle Stationen seines Rechtskampfes
hindurchwinden sah. Man glaubt ihn anfangs als
einen nahen Verwandten von Ibsens „Volksfeind“ zu
agnoszieren, man wird an ihm etwas irre, wenn er
in einer zu theaterhaften Pose dem Geistlichen als
Direktor des Spitals die Hausherrenrechte betom,
man hält ihn eine Weile für eigensinnig und in naive
Rechtsgefühle verrannt wie etwa den braven Gymnasial¬
Direktor in „Traumilus“ wenn er die Menschen bei
längst überholten Verfehlungen und kleineren Ge¬
sinnungsschwächen verhaftet. So in der ersten Unter¬
redung mit dem Kultusminister, dem er, statt sich
über Wandlungen und Entwicklungen zu freuen,
die Sünden gemeinsamer Schulzeit ins Gedächtnis
ruft.
Aber die Züge, die im einzelnen stören,
stehen unter einem höheren Gesetze und wir
erleben den
Aufschwung einer Persönlichkeit,
die wahrhaftig aus Bedürfnis ist und gegen jede
Versuchung, gegen alle Reize der Situationen mit dem
Temperamente eine unbestechbarer Natur reagiert.
Selbst als der Geistliche nach der Gerichtsverhandlung
kommt und in einer menschlich schönen Wallung sich
dem Standpunkt des Professors nähert, weist er ihn
zurück mit Bitterkeiten der Gesinnung, mit Ironieen
eines aus seinen Weltbegriffen nicht Entreißbaren.
Und der Dichter verstärkt den Glauben an diesen
Gefühlspropheten durch die prachtvolle Schilderung
des Gegenspiels. Der Minister, der uns in der Be¬
urteilung von Recht und Unrecht und von höheren
Zwecken schwankend machte, kompromittiert seine Welt¬
klugheit, die Schärfe der Gegner nutzt sich in den un¬
ruhigen politischen Zeiten ab, und selbst die Leiden¬
schaft der Freunde ist Ballast für einen Selbständigen
und Freien, der die große Affäre als eine Episode
seines Lebens empfindet.
Es ist nicht der Rechtkampf des Professor Bernardi
allein, nicht die Sensationshandlung, was uns für
den neuen Schnitzler so einnimmt. Wahrscheinlich ist
es vom Standpunkte des Dramas gesehen garnicht
ein so einwandfreies und durchknetetes Stück, wie es
sich beim ersten Aeußern gibt. Es wird darin
zuviel gesprochen und verteidigt und aufge¬
rollt, was in Polemiken über Religions= und Rassen¬
fragen gehört und sich in seiner rhekörischen Wirkung
mit der Zeit abschwächen muß. Aber das Uebermaß
an Worten und kürzer faßbaren Auseinander¬
setzungen hat Schnitzler nicht gehindert, lauter
gesehene Menschen zu schilder
sie bei ihren
Funktionen aufzunehmen,
ihre
Liebenswürdigkeit,
ihre Verstellungen, ihr Strebertum, ihre Ab¬
hängigkeit, ihre Korruption, ihre Reserve und ihr
Draufgängertum schlagend zu treffen. Er schildert ein
Stück Oesterreich, die Donauresidenz der Konfessionen
und Parteien, der kleinen und großen politischen
Händel. Und das gelang ihm so gut, daß sich der
Grundton seiner aufregenden Komödie wandelte, daß
seriöse Konflikte ihren Ausklang in sehr heiteren, sehr
boshaften Situationen finden. Daß aus einn Er¬
regung ein Gelächter entsteht über Verhältnisse und
Menschlichkeiten.
Den sieghaften Eindruck der Komödie half eine
mustergiltige Aufführung bestärken, die um tüchtige
Diglektiker eine kleine Armee von Maskenkünstlein
gruppierte. Das war alles so Wienerisch und so ein¬
gefühlt in österreichische Lebensart, daß man bekannte
Schauspieler erst mir Hilfe des Theaterzettels er¬
mittelte.
Sehr
gelungen und
wirksam in
jeder Nuance
verkörperte der aus Leipzig
berufene Bruno Carei die Gestalt des Professor
Bernardi. Nan sah einen Professor und man fühlte
einen Menschen. Und die anderen
ich nenne
Klein=Rhoden, Salfner,
Herzfeld,
Landa, Adalbert
schufen Physiognomien,
agierten die Sprache des Lebens, erinnerten in jedem
Zuge an die Welt.
Der Dichter, der oft gerufen wurde, kann zufrieden
sein: mit seinen Darstellern, mit dem Publikum, mi
den Energiequellen seines„Werkes.
Emf Paltor“
usschnitt aus WOR WARTS, BERLIN
30 HUVEHBER 1912
vom:
Thenter.
Kloines Theater: Professor Bernhardi, Komödie
von Artur Schnitzler(Die Buchausgabe erschien bei S. Fischer,
Berlin.) Ein recht wenig Schnitzlersches Stück. Auf dem Theater¬
zettel zählt man über ein Dutzend Medizinprofessoren, während das
schönere Geschlecht, um das der Dichter seine männlichen Geschöpfe
sonst kreisen ließ, nur durch ein einziges Exemplar, die Episoden¬
figur einer simplen Krankenschwester, vertreten ist. Nicht mal ge¬
sprochen wird von den Frauen. Indem Schnitzler dem weiten und
doch so engen Land der flirtenden und sentimentalen Liebeleien den
Rücken wandte, ließ er leider auch das Feinste und Intimste seiner!
künstlerischen Eigenart dort zurück. In Wien, wo eine mit
dem Klerikalismus liierte Zensur die Komödie verbot, hätte die!
Aufführung bei der satirischen Zuspitzung der Komödie auf öster¬
reichische Verhältnisse gewiß ein starkes aktuelles Interesse gehabt.
Wo diese Art von Interesse fehlt, ist die Bühnenwirkung nur gering.
Die Breite der Ausführung ermüdet. Der Beifall, den die aus¬
gezeichnete Darstellung fand, galt weniger dem Werk als der Tendenz
und der Person des Dichters, den das Publikum durch vielfache
Hervorrufe ehrte.
Professor Bernhardi, der Held des Stückes, ist ein aufrecht
wockerer Mann, der, den offenen und verkappten Antisemiten von
vornherein als Jude verhaßt, Gegenstand eines reaktionären, mit
christlichen Redensarten heuchlerisch verbrämten Kesseltreibens
wird. Sein Verbrechen besteht darin, daß er, um einer
Sterbenden, die zuversichtlich an Genesung glaubt, ihre tröstende
Hoffnung zu erhalten, dem zur Erteilung der Sterbesakramente
herbeigerufenen Priester den Einlaß in das Krankenzimmer ver¬
weigert hat. Er fühlte sich als Arzt dazu berechtigt und verpflichtet.
Der Gedanke an irgend eine Art Demonstration lag ihm völlig fern.
Brühwarm wird die Geschichte dem hohen Kuratorium des Kranken¬
hauses übermittelt, und die Antisemiten bereiten auf der Stelle eine
Interpellation im Parlamente vor. Ein Amtsgenosse des Professors
nutzt die Gelegenheit zu dem Versuche, ihm unsaubere Kon¬
zessionen abzupressen. Da er gründlich abgewiesen wird, macht er
mit der Majorität der Kollegen den Entrüstungsrummel in
desto lauterem Brustton der Ueberzeugung mit. Der die stürmische
Sitzung des Professorenkollegiums, das Aufeinanderprallen der
Streberclique und Bernhardis treuer Gefolgschaft schildernde dritte
Akt ist der verhältnismäßig wirksamste. Besonders drastisch tritt ins
der Partei der Mantelträger der Typus eines getauften, mit seinem
neugebackenen Nationalismus protzenden Juden, in der Opposition
die Figur eines biederen kraftmeiernden Alldeutschen hervor, Nach
der gerichtlichen Verurteilung Bernhardis zu zwei Monaten bemüht
sich Schnitzler das sinkende Interesse durch die Kontrastierung
des Priesters, der das Prinzip katholischen Kirchentums in Reinheit
repräsentieren soll, mit seinem Helden als Vertreter weltlich wissen¬
schaftlicher „Denkart wieder zu beleben. Der Geistliche sucht den
Verurteilten auf, um ihm privatim zu versichern, daß er an die
böse Asicht die die Anklage unterstellte, selbst nicht glaube. Die
Rückicht auf das Heil der Kirche bat ihn in der Oeffentlichkeit
schweigen lassen. Ein nachdenklicher Parallelismus. Aber darüber
chinaus bringt es das Gespräch zu keiner drataatischen Steigerung;
der Dialog verflüchtigt sich ins Unbestimmte, Nebulose.
Wie dieser Szene fehlt auch dem ganzen Stück die Pointe.
Bernhardi, dem sich nach seiner Haft die beste Aussicht bietet, mit
der reaktionären Sippe gründlich abzurechnen, hat die Geschichte
bereits satt bekommen. Er will einzig an seine Arbeit denken und
scheint beinahe dem skeptisch anarchistelnden Hofrat — einem in
seiner liebenswürdig ironischen Gesinnungslumperei gewiß recht gut
getroffenen Wiener Typ — beizustimmen: daß es sich kaum lohne,
mit dem Rechttun anzufangen. Denn dies in allen sein n Kon¬
sequenzen durchzuführen, sei ja, wie die Dinge liegen, doch un¬
möglich. Eine ganz äußerlich dem Stücke aufgeklebte, zu seiner
Wesensart im Widerspruch stehende Schlußwendung!
Von dem Ensemble, das seine Sache vortrefflich machte, wären
in erster Reihe Herr Decarli (Bernhardi), Klein=Rohden¬“
Herzfeld und Salfner (Professoren) zu erwähnen.—
von Eigenschaften, die man Charakter nennt, ein un¬
politischer Politiker des Gefühls, des Anstandes,
der unweigerlichen Instinkte. Er hat aus ärzt¬
licher Ueberzeugung einem Geistlichen den Zutritt¬
zum Krankenbette einer ahnungslos Sterbenden ver¬
weigert und trägt kompromißlos alle Konsequenzen.
Da er Jude“ ist, wird er wegen Relizions¬
störung verurteilt. Da er den öffentlichen, ärm,
haßt, verzichtet er auf Berufung an eine hoheee
Instanz, da er stolz ist, verschmäht er den Gnadenweg
und läßt sich auf zwei Monate einsperren, und als er#
umjubelt von Anhängern den Kerker verläßt und eine
Kronzeugin sich des Meineides anklagt, möchte er aus
Verachtung lauter Triumphe am liebsten davonfliehen,
um den Schwindel einer Gerichtsverhandlung nicht
noch einmal „in anderer Beleuchtung“ zu sehen.
Ueber diesen Mann sammeln sich im Zuschauer
alle möglichen Urteile. Man wird seiner erst habhaft,
bis man ihn durch alle Stationen seines Rechtskampfes
hindurchwinden sah. Man glaubt ihn anfangs als
einen nahen Verwandten von Ibsens „Volksfeind“ zu
agnoszieren, man wird an ihm etwas irre, wenn er
in einer zu theaterhaften Pose dem Geistlichen als
Direktor des Spitals die Hausherrenrechte betom,
man hält ihn eine Weile für eigensinnig und in naive
Rechtsgefühle verrannt wie etwa den braven Gymnasial¬
Direktor in „Traumilus“ wenn er die Menschen bei
längst überholten Verfehlungen und kleineren Ge¬
sinnungsschwächen verhaftet. So in der ersten Unter¬
redung mit dem Kultusminister, dem er, statt sich
über Wandlungen und Entwicklungen zu freuen,
die Sünden gemeinsamer Schulzeit ins Gedächtnis
ruft.
Aber die Züge, die im einzelnen stören,
stehen unter einem höheren Gesetze und wir
erleben den
Aufschwung einer Persönlichkeit,
die wahrhaftig aus Bedürfnis ist und gegen jede
Versuchung, gegen alle Reize der Situationen mit dem
Temperamente eine unbestechbarer Natur reagiert.
Selbst als der Geistliche nach der Gerichtsverhandlung
kommt und in einer menschlich schönen Wallung sich
dem Standpunkt des Professors nähert, weist er ihn
zurück mit Bitterkeiten der Gesinnung, mit Ironieen
eines aus seinen Weltbegriffen nicht Entreißbaren.
Und der Dichter verstärkt den Glauben an diesen
Gefühlspropheten durch die prachtvolle Schilderung
des Gegenspiels. Der Minister, der uns in der Be¬
urteilung von Recht und Unrecht und von höheren
Zwecken schwankend machte, kompromittiert seine Welt¬
klugheit, die Schärfe der Gegner nutzt sich in den un¬
ruhigen politischen Zeiten ab, und selbst die Leiden¬
schaft der Freunde ist Ballast für einen Selbständigen
und Freien, der die große Affäre als eine Episode
seines Lebens empfindet.
Es ist nicht der Rechtkampf des Professor Bernardi
allein, nicht die Sensationshandlung, was uns für
den neuen Schnitzler so einnimmt. Wahrscheinlich ist
es vom Standpunkte des Dramas gesehen garnicht
ein so einwandfreies und durchknetetes Stück, wie es
sich beim ersten Aeußern gibt. Es wird darin
zuviel gesprochen und verteidigt und aufge¬
rollt, was in Polemiken über Religions= und Rassen¬
fragen gehört und sich in seiner rhekörischen Wirkung
mit der Zeit abschwächen muß. Aber das Uebermaß
an Worten und kürzer faßbaren Auseinander¬
setzungen hat Schnitzler nicht gehindert, lauter
gesehene Menschen zu schilder
sie bei ihren
Funktionen aufzunehmen,
ihre
Liebenswürdigkeit,
ihre Verstellungen, ihr Strebertum, ihre Ab¬
hängigkeit, ihre Korruption, ihre Reserve und ihr
Draufgängertum schlagend zu treffen. Er schildert ein
Stück Oesterreich, die Donauresidenz der Konfessionen
und Parteien, der kleinen und großen politischen
Händel. Und das gelang ihm so gut, daß sich der
Grundton seiner aufregenden Komödie wandelte, daß
seriöse Konflikte ihren Ausklang in sehr heiteren, sehr
boshaften Situationen finden. Daß aus einn Er¬
regung ein Gelächter entsteht über Verhältnisse und
Menschlichkeiten.
Den sieghaften Eindruck der Komödie half eine
mustergiltige Aufführung bestärken, die um tüchtige
Diglektiker eine kleine Armee von Maskenkünstlein
gruppierte. Das war alles so Wienerisch und so ein¬
gefühlt in österreichische Lebensart, daß man bekannte
Schauspieler erst mir Hilfe des Theaterzettels er¬
mittelte.
Sehr
gelungen und
wirksam in
jeder Nuance
verkörperte der aus Leipzig
berufene Bruno Carei die Gestalt des Professor
Bernardi. Nan sah einen Professor und man fühlte
einen Menschen. Und die anderen
ich nenne
Klein=Rhoden, Salfner,
Herzfeld,
Landa, Adalbert
schufen Physiognomien,
agierten die Sprache des Lebens, erinnerten in jedem
Zuge an die Welt.
Der Dichter, der oft gerufen wurde, kann zufrieden
sein: mit seinen Darstellern, mit dem Publikum, mi
den Energiequellen seines„Werkes.
Emf Paltor“
usschnitt aus WOR WARTS, BERLIN
30 HUVEHBER 1912
vom:
Thenter.
Kloines Theater: Professor Bernhardi, Komödie
von Artur Schnitzler(Die Buchausgabe erschien bei S. Fischer,
Berlin.) Ein recht wenig Schnitzlersches Stück. Auf dem Theater¬
zettel zählt man über ein Dutzend Medizinprofessoren, während das
schönere Geschlecht, um das der Dichter seine männlichen Geschöpfe
sonst kreisen ließ, nur durch ein einziges Exemplar, die Episoden¬
figur einer simplen Krankenschwester, vertreten ist. Nicht mal ge¬
sprochen wird von den Frauen. Indem Schnitzler dem weiten und
doch so engen Land der flirtenden und sentimentalen Liebeleien den
Rücken wandte, ließ er leider auch das Feinste und Intimste seiner!
künstlerischen Eigenart dort zurück. In Wien, wo eine mit
dem Klerikalismus liierte Zensur die Komödie verbot, hätte die!
Aufführung bei der satirischen Zuspitzung der Komödie auf öster¬
reichische Verhältnisse gewiß ein starkes aktuelles Interesse gehabt.
Wo diese Art von Interesse fehlt, ist die Bühnenwirkung nur gering.
Die Breite der Ausführung ermüdet. Der Beifall, den die aus¬
gezeichnete Darstellung fand, galt weniger dem Werk als der Tendenz
und der Person des Dichters, den das Publikum durch vielfache
Hervorrufe ehrte.
Professor Bernhardi, der Held des Stückes, ist ein aufrecht
wockerer Mann, der, den offenen und verkappten Antisemiten von
vornherein als Jude verhaßt, Gegenstand eines reaktionären, mit
christlichen Redensarten heuchlerisch verbrämten Kesseltreibens
wird. Sein Verbrechen besteht darin, daß er, um einer
Sterbenden, die zuversichtlich an Genesung glaubt, ihre tröstende
Hoffnung zu erhalten, dem zur Erteilung der Sterbesakramente
herbeigerufenen Priester den Einlaß in das Krankenzimmer ver¬
weigert hat. Er fühlte sich als Arzt dazu berechtigt und verpflichtet.
Der Gedanke an irgend eine Art Demonstration lag ihm völlig fern.
Brühwarm wird die Geschichte dem hohen Kuratorium des Kranken¬
hauses übermittelt, und die Antisemiten bereiten auf der Stelle eine
Interpellation im Parlamente vor. Ein Amtsgenosse des Professors
nutzt die Gelegenheit zu dem Versuche, ihm unsaubere Kon¬
zessionen abzupressen. Da er gründlich abgewiesen wird, macht er
mit der Majorität der Kollegen den Entrüstungsrummel in
desto lauterem Brustton der Ueberzeugung mit. Der die stürmische
Sitzung des Professorenkollegiums, das Aufeinanderprallen der
Streberclique und Bernhardis treuer Gefolgschaft schildernde dritte
Akt ist der verhältnismäßig wirksamste. Besonders drastisch tritt ins
der Partei der Mantelträger der Typus eines getauften, mit seinem
neugebackenen Nationalismus protzenden Juden, in der Opposition
die Figur eines biederen kraftmeiernden Alldeutschen hervor, Nach
der gerichtlichen Verurteilung Bernhardis zu zwei Monaten bemüht
sich Schnitzler das sinkende Interesse durch die Kontrastierung
des Priesters, der das Prinzip katholischen Kirchentums in Reinheit
repräsentieren soll, mit seinem Helden als Vertreter weltlich wissen¬
schaftlicher „Denkart wieder zu beleben. Der Geistliche sucht den
Verurteilten auf, um ihm privatim zu versichern, daß er an die
böse Asicht die die Anklage unterstellte, selbst nicht glaube. Die
Rückicht auf das Heil der Kirche bat ihn in der Oeffentlichkeit
schweigen lassen. Ein nachdenklicher Parallelismus. Aber darüber
chinaus bringt es das Gespräch zu keiner drataatischen Steigerung;
der Dialog verflüchtigt sich ins Unbestimmte, Nebulose.
Wie dieser Szene fehlt auch dem ganzen Stück die Pointe.
Bernhardi, dem sich nach seiner Haft die beste Aussicht bietet, mit
der reaktionären Sippe gründlich abzurechnen, hat die Geschichte
bereits satt bekommen. Er will einzig an seine Arbeit denken und
scheint beinahe dem skeptisch anarchistelnden Hofrat — einem in
seiner liebenswürdig ironischen Gesinnungslumperei gewiß recht gut
getroffenen Wiener Typ — beizustimmen: daß es sich kaum lohne,
mit dem Rechttun anzufangen. Denn dies in allen sein n Kon¬
sequenzen durchzuführen, sei ja, wie die Dinge liegen, doch un¬
möglich. Eine ganz äußerlich dem Stücke aufgeklebte, zu seiner
Wesensart im Widerspruch stehende Schlußwendung!
Von dem Ensemble, das seine Sache vortrefflich machte, wären
in erster Reihe Herr Decarli (Bernhardi), Klein=Rohden¬“
Herzfeld und Salfner (Professoren) zu erwähnen.—