25. Professor Bernhardi box 30/1
die er die fünf Akte gar nicht füllen könnte; und er erfährt am
Ende der fünf Akte eine Schlichtung, die wahrscheinlich keinen
Zuschauer befriedigt hat.
Die eine Hälfte dieser Zuschauer kam von Gutzkow und
Ibsen und hatte sich nicht schlecht gefreut, mit welcher Kühnheit
der Gesinnungsgenosse Thomas Stockmanns gegen jeden Zwang
für die Ueberzeugung des freien Mannes eingetreten war, mit
welch strömender Beredsamkeit der Glaubensgenosse Uriel Acostas
liberale Apercus gegen die Kirche und für die Wissenschaft ge¬
formt — und zugleich bestritten hatte, daß er das tue. Jetzt war man
bitter enttäuscht, daß Bernhardi unterkroch, klein beigab, sich in
den Quietismus rettete. Er war fälschlich beschuldigt worden,
jenem Priester an der Tür des Sterbezimmers einen Stoß vor
die Brust versetzt zu haben, hatte seine zwei Monate wegen Re¬
ligionsstörung abgesessen, war von seinen Anhängern im Triumph
aus dem Kerker geholt worden und sah nicht ein, warum eine
Krankenschwester, die sich selbst des Meineids bezichtigte, ihn be¬
stimmen sollte, die Unbequemlichkeiten eines Berufungsver¬
fahrens auf sich zu nehmen. Für diese Zuschauer hätte Bernhardi
bis zum letzten Augenblick für ein Prinzip kämpfen müssen und
keiner bessern Einsicht zugänglich sein dürfen. Wir andern aber
kamen zu Schnitzler von Schnitzler selbst. Wir glaubten von
vornherein nicht an die kriegerischen Gebärden dieses Bernhardi.
Wir wußten, daß er am Ende „sei Ruh'“ würde haben wollen.
Es ist ganz oesterreichisch und gar nicht jüdisch, aber vielleicht die
Tragik des oesterreichischen Juden, daß das Erbteil seines
Stammes, ein alttestamentarischer Trotz, schließlich doch immer
aufgeweicht wird; daß er merkt, wie es geschieht, wie Gewissen
ihn feige, überlegend und scheinbar überlegen macht; daß er sich
dessen schämt und seine Scham entweder gar nicht oder nur durch
künstlerische Gestaltung überwinden kann.
Solch ein Akt der Ueberwindung will dieses Stück eines der
besten jüdischen Oesterreicher sein. Es ist sein Vorzug, daß man
spürt, wie ernst es gemeint ist. Es ist seine Schwäche, daß eben
doch ein ganz starker Kerl dazu gehört, um aus diesem Zustand
der Unkraft, aus diesem schmerzlichen Zwiespalt ein Drama; ein
noch stärkerer, um daraus ein Komödie zu machen. Daß eine
Faust dazu gehört — eine, die zupackt, nachdem sie sich oft geballt
hat. Schnitzler hat eine Hand, eine wundervoll weiche, streichelnde
Hand, die Wunden nicht reißt, sondern glättet. Wenn sich sein
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die er die fünf Akte gar nicht füllen könnte; und er erfährt am
Ende der fünf Akte eine Schlichtung, die wahrscheinlich keinen
Zuschauer befriedigt hat.
Die eine Hälfte dieser Zuschauer kam von Gutzkow und
Ibsen und hatte sich nicht schlecht gefreut, mit welcher Kühnheit
der Gesinnungsgenosse Thomas Stockmanns gegen jeden Zwang
für die Ueberzeugung des freien Mannes eingetreten war, mit
welch strömender Beredsamkeit der Glaubensgenosse Uriel Acostas
liberale Apercus gegen die Kirche und für die Wissenschaft ge¬
formt — und zugleich bestritten hatte, daß er das tue. Jetzt war man
bitter enttäuscht, daß Bernhardi unterkroch, klein beigab, sich in
den Quietismus rettete. Er war fälschlich beschuldigt worden,
jenem Priester an der Tür des Sterbezimmers einen Stoß vor
die Brust versetzt zu haben, hatte seine zwei Monate wegen Re¬
ligionsstörung abgesessen, war von seinen Anhängern im Triumph
aus dem Kerker geholt worden und sah nicht ein, warum eine
Krankenschwester, die sich selbst des Meineids bezichtigte, ihn be¬
stimmen sollte, die Unbequemlichkeiten eines Berufungsver¬
fahrens auf sich zu nehmen. Für diese Zuschauer hätte Bernhardi
bis zum letzten Augenblick für ein Prinzip kämpfen müssen und
keiner bessern Einsicht zugänglich sein dürfen. Wir andern aber
kamen zu Schnitzler von Schnitzler selbst. Wir glaubten von
vornherein nicht an die kriegerischen Gebärden dieses Bernhardi.
Wir wußten, daß er am Ende „sei Ruh'“ würde haben wollen.
Es ist ganz oesterreichisch und gar nicht jüdisch, aber vielleicht die
Tragik des oesterreichischen Juden, daß das Erbteil seines
Stammes, ein alttestamentarischer Trotz, schließlich doch immer
aufgeweicht wird; daß er merkt, wie es geschieht, wie Gewissen
ihn feige, überlegend und scheinbar überlegen macht; daß er sich
dessen schämt und seine Scham entweder gar nicht oder nur durch
künstlerische Gestaltung überwinden kann.
Solch ein Akt der Ueberwindung will dieses Stück eines der
besten jüdischen Oesterreicher sein. Es ist sein Vorzug, daß man
spürt, wie ernst es gemeint ist. Es ist seine Schwäche, daß eben
doch ein ganz starker Kerl dazu gehört, um aus diesem Zustand
der Unkraft, aus diesem schmerzlichen Zwiespalt ein Drama; ein
noch stärkerer, um daraus ein Komödie zu machen. Daß eine
Faust dazu gehört — eine, die zupackt, nachdem sie sich oft geballt
hat. Schnitzler hat eine Hand, eine wundervoll weiche, streichelnde
Hand, die Wunden nicht reißt, sondern glättet. Wenn sich sein
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