II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 158

weder der Arzt noch der Pfarrer haben ihren Zweck er¬
stellen, um so mehr naturlich alle
reicht; sie starb ohne Euphorie und ohne Sterbesakramente.
gläubigen Gemüter. Euphorie ist ein Lebensgut; der Güter
Dem Professor ader bricht die Sache den Kragen; sofort
höchstes ist es nicht. Also hat bei dieser scharfen Problem¬
legt das Kuratorium des Elisabethinums seine Würde
stellung gewiß die Kirche das geringste Recht, sich über
nieder, und im Parlament draht eine Interpellation;
Parteilichkeit, über Unrecht und Aushetzung zu beklagen,
der Minister will zunächst ausgleichen; der Verwandte
eher der Arzt, hinter dem niemand steht als sein Fachwissen.
eines führenden Politikers bietet seine Vermittlung an
Es wäre also nicht die Art und Weise zu beanstanden,
und Bernhardi könnte den Sturm beschwören durch eine
wie das Problem behandelt wurde, sondern nur die Frage
entschuldigende Erklärung und durch Ausübung einer
aufzuwerfen, ob es überhaupt auf der Bühne ange¬
Protektion für einen Unwürdigen. Die Erklärung würde
schnitten werden darf. Und diese zweite Frage ist sehr
er abgeben, da er keineswegs ein Kulturkämpfer ist,
n
einfach zu beantworten: Die ganze kirchliche Komödie des
sondern nur im Einzelfall nach seinem Gewissen gehandelt
Mittelalters, insbesondere die in Kirchen und Kloster¬
hat, die rettende Protektion auszuüben, verbietet ihm seine
gebäuden aufgeführten Jesuitenkomödien, haben mit Vor¬
Ueberzeugung; die Interpellation kommt, und der
liebe den Konflikt zwischen Dies= und Jenseits, zwischen
Minister, der ausgezogen ist, ihn zu decken, merkt mit
ti
Sinnenlust und Seelenfrieden behandelt und ganz speziell
feinem Ohr, daß die Stimmung im Parlament gegen
ei
den Kampf um die Menschenseele in der Stunde des Ab¬
Bernhardi ist; also opfert er ihn und beantragt selbst die
de
sterbens in allen denkbaren Varianten aufgeführt. Die
gerichtliche Untersuchung. Vor Gericht behauptet die
he
Behandlung dieses Problems und seine öffentliche Dar¬
hysterische Krankenschwester, Bernhardi habe dem Pfarrer
ri
bietung hat die Kirche nie gescheut, konnte auch an ihm
einen Stoß versetzt, ein falscher Zeuge unterstützt diese
ve
nicht stillschweigend vorübergehen, weil es ja einen
Einbildung und selbst der Protest des wahrheitsliebenden
V
Kardinalpunkt ihrer Lehre bildet.
Pfarrers hindert nicht die Verurteilung zu zwei Monaten.
Also weshalb diesmal eine so große Empfindlichkeit
Nach überstandener Strafhaft zeigt die Krankenschwester
5
der Zensur, die kirchlicher sein will als die Kirche? Etwa
sich selbst wegen falscher Zeugenaussage an. Bernhardi
zu
weil nicht bloß der Priester pflichtgemäß handelt, sondern
könnte durch Wiederaufnahme des Prozesses re¬
R
auch der Arzt; weil er, obwohl Jude, nicht der Teufel
habilitiert werden, aber er verschmäht den neuerlichen
ist, sondern gleichfalls ein Ehrenmann?
Gerichtsgang, ihn drängt es nur, zu seiner Arbeit als
Aus diesem Grunde wäre das Stück schwerlich zu ver¬
Arzt zurückzukehren, denn er wollte ja nur in einem
de
bieten, sonst müßte mit gleichem Rechte „Nathan der
Einzelfalle seine Pflicht erfüllen.
u
Weise“, „Faust“, „Der Pfarrer von Kirchfeld“ und eine
Liest man das Stück genau, so muß man sagen,
de
ganze Reihe Perlen von unserer Bühne verschwinden;
es gibt in neuester Zeit wenig Dramen mit so wenig an¬
in
wenn wir die ernsten Probleme nicht mehr miterleben
stößigen Stellen wie der Bernhardi, und Artur Schnitzler
ke
dürfen, weil wir wie Kinder behandelt werden, dann
dessen erotische Probleme bei aller Feinheit der Psycho¬
de
bleiben als Probleme wohl nur die des Ehebruches, die
logie nicht immer Wohlgefallen ausgelöst haben, hat
na
von der Zensur mit solcher Liberalität durchgelassen
sich auf der Höhe ernster Behandlung gezeigt.
werden, als ob unser Liebes= und Eheleben aus lauter ###
Also nicht auf Einzelheiten kann sich das Verbot
solchen Späßen bestünde.
stützen, sondern auf die Tendenz. Natürlich denkt man
Wenn das Drama eine moralische Anstalt sein soll
und der Dichter der Welt einen Spiegel vorhalten soll,
Kind versteht es nicht, es möchte wissen, was es bedeutet,
ha
dann ist ein Drama wie dieses ein Musterstück, und wenn
es geübelt, forscht, eine ungesunde Neugier erwacht unter
es nicht die Scheu vor dem Hauptproblem ist, in dem
der kupplerischen Mithilfe der Natur in der jungen

man zuvörderst den Stein des Austoßes erblicken könnte,
die unbewußte,
Sa
so werden es noch weniger einige Szenen in der Weiter¬
nus,
nid
führung des Konflikts sein, etwa gelegentliche Seitenhiebe
ver¬
des
auf Aerzte, unter denen es wie in jedem Stande
auch
inkt
Streber gibt:
end
noch auch die Behand¬
der
lung, die der Autor dem hinter den Kulissen nor
bot,
spielenden Kuratorium angedeihen läßt, jenen hohen
und
kon
Gönnern, die zwar ihre schönen Namen und ihr gutes
daß
Geld gerne in den Dienst einer humanen Sache stellen,
das
den
die aber in dem Augenblicke sich verkriechen,
der
neh¬
Männer sein sollten. Diese Stützen der Gesellschaft sind in
Gär
sien
anderen Dramen viel schärfer behandelt worden, und der
den
in Baden lebende Prinz — übrigens die sympathischeste
derse
n? Figur in dieser Gesellschaft — ließe sich durch einen
Geg.
simpleren Aristokraten ersetzen. Auch daß Parteiführer mit
zu
Ent
sich handeln lassen und Minister vermitteln und ausgleichen
et,
Wäl
wollen, daß sie ein seines Ohr für Strömungen im Parla¬
ue
des
ment haben, von denen sie sich lieber tragen als weg¬
lb¬
Gese
schwemmen lassen, macht das Stück nicht unaufführbar.
er¬
öffe
Ja, auch in dem ungewollten Martyrium Bernhardis
ide
ent
vor Gericht, das mit einem Fehlurteil: — Justiz¬
and
mord heißt es in der schärferen Tonart — endet,
in
W.
ist kein Hindernis für die Aufführung zu erblicken,
denn in sehr feiner Weise hat der Dichter diese
Verurteilung nicht als eine Folge etwaigen kirchen= geh
feindlichen Verhaltens dargestellt, sondern als einen Irr= ode
tum, hervorgerufen durch das falsche Zeugnis einer Be
Hysterikerin, deren Wahnvorstellungen die Richter, gestützt
Lir.
auf eln zweites falsches Zeugnis, trotz der wahrheitsgemäßen
Aussage des Priesters Glauben schenkten. Daß man den mit voll
Bestimmtheit vorgebrachten Aussagen einer krankhaft ver= zur
anlagten Frau Bedeutung beimißt, ist zwar ein Unglück, Re¬
aber damit ist zugleich jeder Tendenz die Spitze abge¬
zus
brochen, als ob das Urteil auf kirchliche Umtriebe zurück¬
der
zuführen sei, um so mehr, als Bernhardi nach des
We
Dichters Darstellung, sobald man diesen Irrtum erkennt,
vor
rehabilitiert würde, wenn er es selbst gewollt hätte.
Also kirchenseindlich ist das Stück nicht, und da es En
mittlerweile in dem gut katholischen München von der Zu
Zensur freigegeben wurde, wäre eine Freigebung desselben er
durch die höhere Zensurinstanz im Interesse der Auf¬do
führung eines der besten seit lange geschriebenen Dramen ein
zu begrüßen.
W.