Nr. 23
" amt
Berttag
S3•2
Erstes Beiblatt
2
Schnitzlers
12
„Professor Bernhardi“
∆
Theater in der Königgrätzer Straße.
Barnowsky spielt Schnitzler. Noch nicht
#
die neue Produktion des Dichters, sondern ein
2 N igure
Drama von 1912. Den „Professor Bernhardi“
# F.
68).
das Aerztestück des Arztes, das beinahe ein
Tendenzstück ist. Mit heute wie damals leben¬
0
4
digstem Leben.
2
N.
Und dennoch kein Tendenzstück. Wohl steigt
42
2
seine Handlung bis zur Hälfte des Verlaufs in
gerader Linie an; wohl zieht sie uns hinein
in Diskussionen, in politisch=ethische Konflikte,
*
wohl hat der Professor Bernhardi, Direktor des
Elisabethinums im kaiserlichen Wien, von
N.
Schnitzler das besondere Merkmal, daß
er Jude ist. Aber die Linie istge¬
brochen. Während das adlige Kuratorium des
Krankenhauses niederlegt, um die Abteilung für
A1
Hautkrankheiten gekämpft wird, die tumul¬
4
tuarische Versammlung der Elisabethinums¬
Aerzte mit Bernhardis freiwilligem Rücktritt
endet, die Christlichsozialen (von 1900) über den
S
Fall Bernhardi den Minister für Kultus inter¬
SIN
KALSEE
pellieren, das Justizministerium die Strafver¬
* STAHL-NACHBAUR
folgung einleitet, Bernhardi wegen Religions¬
77
störung zwei Monate ins Gefängnis muß: immer
S
ist da, erschütternd, die Anfangssituation. Das
BAFSSART
unsichtbare Bild der jungen Arbeiterin, die ihre
KORTNER
WAMLOCK.
Todesstunde nicht ahnt und aus dem beseligen¬
Zeichnung von F. Meisel.
den Wahn der Euphorie durch den Besuch des
Pfarrers von Sankt Florian aufgerüttelt wird;
und des Zweifels, der Jahrhunderte alten
macht gute Figur, und die Aerzte=Sitzung ist
die jammernd fragt: „Muß ich denn wirklich
sterben?“
Weisheit. Nicht die Manieren des Salon¬
eine Regieleistung Barnowskys. Wieder wenig
echt, unösterreichisch, der Minister Paul Ottos,
arztes, aber die unantastbare Hoheit des
Die Szene lagert über der Komödie, eine
Intellekts.
mit den Bartkoteletts und der geschmeidigen
leise quälende Erinnerung aus der abgeschlos¬
Malice. Rhetorisch wirksam Stahl=Nach¬
Ein einziger Satz fällt auf. Bei Schnitzler
senen Welt der Säle, in denen Arthur Schnitzler
baur, der Sprecher, als Pfarrer.
hat Bernhardi zu Ausgang des zweiten Aktes
zum Menschenbeobachter, zum Deuter der
Sehr belustigend, aber zu rotbäckig und zu
zu sagen: „Nun, wir werden ja sehen.“ Kort¬
„letzten Masken“ wurde. Das gibt dem Debat¬
fiakerisch mit seinen Pepitahosen ist der Hofrat
ner sagt: „Nun, man wird doch da sehen.“ Eine
tierstück die tiefe (mit einem Stichwort Bern¬
Winkler von Hörbiger. Dieser Hofrat des
Nuance, die in keinem seiner Worte sonst, keiner
hardis) Hoffnungslosigkeit. Sie verliert sich
habsburgischen Regimes ist eine Spezialität,
Gebärde zu spüren ist, jedoch etwas mehr in
wenn der
nicht, verstärkt sich nur,
aufzufinden noch bei Max Burkhard und
seiner Umgebung. Vor allem in dem Dr. Lö¬
Chorus von Bernhardis ärztlichen Kollegen,
Hermann Bahr. Mondän und sehr klug,
wenstein Kalsers, der das Achselzucken im
die Klique der Ebenwald, Filitz, Schrei¬
raffiniert klug bei aller äußeren Harmlosigkeit.
Ton von unserem witzigen Paul Morgan borgt.
mann, Adler bis zu Hochroitzpointner, dem
Einer, der heimlich „Anarchist“ ist, weil er
Wie übrigens der vortreffliche Bressart als
streberischen Kandidaten, offenbart, daß die
keinen Wert darauf legt, ein Trottel zu sein.
Professor Cyprian im Auftritt die Persiflage
Menschen Gesindel sind, einbegriffen die Leute der
Darum bringt auch die Aussprache zwischen ihm
unseres Egon Friedell kopiert. Es wird immer
„selbstlosen Gemeinheit“. Verstärkt sich in den
und Bernhardi im fünften Akt den Sinn des
schwer sein, einem solchen Männerdrama (denn
seinen Schattierungen der dialektischen Ausein¬
Dramas.
die Spitalschwester Ludmilla, Victoria Strauß,
andersetzung zwischen dem Arzt und dem Kle¬
Die Regie versucht, das Stück historisch zu
verschwindet rasch) in allen Rollen gerecht zu
riker, die ein Händereichen über den Abgrund
sehen. Die Herren haben die Plastronkrawatten
werden. Zumal hier das Wiener Milieu zur
hinweg ist. Und schwebt noch, skeptisch und
und die Gehröcke von 1900. Aber das Werk
geistigen Luft des Stückes gehört. Einige der
traurig, um den Lustspielakt im Büro des k. k.
siegt über die Zeitdistanz. Es schlägt so ein,
Typen stimmen nicht, einige sind Behelfe: ein
Unterrichtsministeriums, um das Pult des Hof¬
wie früher im Kleinen Theater. Barnowsky
schöner Mann mit Spitzbart, ein gestrichener
rats Winkler, der zu Bernhardi sagt, es sei.
wird hervorgerufen, Kortner feiert einen ver¬
Hängebart. Aber Salfner poltert das greise
schon besser, den Dingen nicht auf den Grund
dienten Triumph.
Naturburschentum seines Professors Pflugfelder
zu gehen, weil man sonst eines Tages lerne,
P. w.
herunter, der Dr. Adler von Harry Hardt
alles zu verstehen und alles zu verzeihen, und
nicht mehr lieben und hassen dürfe.
Es ist die Größe von Kortners Dar¬
Schwester“ verweigerte, hat Frank gegen
stellung, daß sie diese gebrochene Linie einhält.
diese Zensurmaßnahme in der einzig denk¬
Er hat einen grauen Kopf, den Kopf des
„Ein alter Mlann
baren Weise protestiert, indem er seine Mit¬
Alternden. Mit dunklen Augen, die vom Ge¬
46
wirkung an solcher nur zu zwei Dritteln „ge¬
sprächspartner meist abirren, zu Boden starren,
sonl nicht mehr singen!
nehmigten“ Veranstaltung absagte. Strecker, der
oder die er halb zudrückt. Klangvoll, aber von
Vertreter der repräsentativen Vereinigung deut¬
einem Schleier verhüllt die Stimme, mit jähen
Mißglückter Dichterabend des Verbandes
scher Prosaschriftsteller, drückte sich allerdings
Entladungen des Zornes, in dem die flache
Deutscher Erzähler
erheblich gemäßigter aus; er sprach nur von dem
Hand auf den Tisch haut, und sofortiger Rück¬
„ziemlich unhaltbaren Zustand“, daß ein allge¬
Der Vorsitzende des Verbandes ließ sich ent¬
kehr in scheinbare Ruhe. Ein Lächeln, das
mein anerkannter Roman in dieser Weise zensu¬
schuldigen: seine Freunde hielten es für nötig,
kommt und entflieht, das Lächeln der Ironie
riert werde.
daß er sich (nach überstandener Krankheit) schone.
Als Ersatzmann wurde nun ein anderer
Ein anderer Herr, das Vorstandsmitglied Karl
Frank ins Treffen geschickt. Dr. Frank Thieß
Strecker, trat an seine Stelle, um (merklich aus
Inhauhe lände.
nämlich. Der als Essayist und Prosaist so
der Fassung gebracht durch Zurufe aus dem Pu¬
ehrenwerte Schriftsteller las (im Erzähler¬
blikum) etwa folgendes mitzuteilen: Da der
#
Verband, nicht zu vergessen!) seinen Einakter
Berliner Rundfunk, der die Vorlesung;
„Der Kammersänger“ aus dem Manuskript; und
dreier Dichter aus ihren Werken seinen Hörern
man muß wohl — angesichts der Tapferkeit, mit
weiterzugeben übernommen hatte, wegen morali¬
der dieser Reservemann in die entstandene
scher Bedenken die Sendung eines Abschnitts aus
Bresche sprang — sich auf die Feststellung
GELEE ! Leonhard Franks Roman „Bruder und
*
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„Professor Bernhardi“
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Theater in der Königgrätzer Straße.
Barnowsky spielt Schnitzler. Noch nicht
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die neue Produktion des Dichters, sondern ein
2 N igure
Drama von 1912. Den „Professor Bernhardi“
# F.
68).
das Aerztestück des Arztes, das beinahe ein
Tendenzstück ist. Mit heute wie damals leben¬
0
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digstem Leben.
2
N.
Und dennoch kein Tendenzstück. Wohl steigt
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seine Handlung bis zur Hälfte des Verlaufs in
gerader Linie an; wohl zieht sie uns hinein
in Diskussionen, in politisch=ethische Konflikte,
*
wohl hat der Professor Bernhardi, Direktor des
Elisabethinums im kaiserlichen Wien, von
N.
Schnitzler das besondere Merkmal, daß
er Jude ist. Aber die Linie istge¬
brochen. Während das adlige Kuratorium des
Krankenhauses niederlegt, um die Abteilung für
A1
Hautkrankheiten gekämpft wird, die tumul¬
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tuarische Versammlung der Elisabethinums¬
Aerzte mit Bernhardis freiwilligem Rücktritt
endet, die Christlichsozialen (von 1900) über den
S
Fall Bernhardi den Minister für Kultus inter¬
SIN
KALSEE
pellieren, das Justizministerium die Strafver¬
* STAHL-NACHBAUR
folgung einleitet, Bernhardi wegen Religions¬
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störung zwei Monate ins Gefängnis muß: immer
S
ist da, erschütternd, die Anfangssituation. Das
BAFSSART
unsichtbare Bild der jungen Arbeiterin, die ihre
KORTNER
WAMLOCK.
Todesstunde nicht ahnt und aus dem beseligen¬
Zeichnung von F. Meisel.
den Wahn der Euphorie durch den Besuch des
Pfarrers von Sankt Florian aufgerüttelt wird;
und des Zweifels, der Jahrhunderte alten
macht gute Figur, und die Aerzte=Sitzung ist
die jammernd fragt: „Muß ich denn wirklich
sterben?“
Weisheit. Nicht die Manieren des Salon¬
eine Regieleistung Barnowskys. Wieder wenig
echt, unösterreichisch, der Minister Paul Ottos,
arztes, aber die unantastbare Hoheit des
Die Szene lagert über der Komödie, eine
Intellekts.
mit den Bartkoteletts und der geschmeidigen
leise quälende Erinnerung aus der abgeschlos¬
Malice. Rhetorisch wirksam Stahl=Nach¬
Ein einziger Satz fällt auf. Bei Schnitzler
senen Welt der Säle, in denen Arthur Schnitzler
baur, der Sprecher, als Pfarrer.
hat Bernhardi zu Ausgang des zweiten Aktes
zum Menschenbeobachter, zum Deuter der
Sehr belustigend, aber zu rotbäckig und zu
zu sagen: „Nun, wir werden ja sehen.“ Kort¬
„letzten Masken“ wurde. Das gibt dem Debat¬
fiakerisch mit seinen Pepitahosen ist der Hofrat
ner sagt: „Nun, man wird doch da sehen.“ Eine
tierstück die tiefe (mit einem Stichwort Bern¬
Winkler von Hörbiger. Dieser Hofrat des
Nuance, die in keinem seiner Worte sonst, keiner
hardis) Hoffnungslosigkeit. Sie verliert sich
habsburgischen Regimes ist eine Spezialität,
Gebärde zu spüren ist, jedoch etwas mehr in
wenn der
nicht, verstärkt sich nur,
aufzufinden noch bei Max Burkhard und
seiner Umgebung. Vor allem in dem Dr. Lö¬
Chorus von Bernhardis ärztlichen Kollegen,
Hermann Bahr. Mondän und sehr klug,
wenstein Kalsers, der das Achselzucken im
die Klique der Ebenwald, Filitz, Schrei¬
raffiniert klug bei aller äußeren Harmlosigkeit.
Ton von unserem witzigen Paul Morgan borgt.
mann, Adler bis zu Hochroitzpointner, dem
Einer, der heimlich „Anarchist“ ist, weil er
Wie übrigens der vortreffliche Bressart als
streberischen Kandidaten, offenbart, daß die
keinen Wert darauf legt, ein Trottel zu sein.
Professor Cyprian im Auftritt die Persiflage
Menschen Gesindel sind, einbegriffen die Leute der
Darum bringt auch die Aussprache zwischen ihm
unseres Egon Friedell kopiert. Es wird immer
„selbstlosen Gemeinheit“. Verstärkt sich in den
und Bernhardi im fünften Akt den Sinn des
schwer sein, einem solchen Männerdrama (denn
seinen Schattierungen der dialektischen Ausein¬
Dramas.
die Spitalschwester Ludmilla, Victoria Strauß,
andersetzung zwischen dem Arzt und dem Kle¬
Die Regie versucht, das Stück historisch zu
verschwindet rasch) in allen Rollen gerecht zu
riker, die ein Händereichen über den Abgrund
sehen. Die Herren haben die Plastronkrawatten
werden. Zumal hier das Wiener Milieu zur
hinweg ist. Und schwebt noch, skeptisch und
und die Gehröcke von 1900. Aber das Werk
geistigen Luft des Stückes gehört. Einige der
traurig, um den Lustspielakt im Büro des k. k.
siegt über die Zeitdistanz. Es schlägt so ein,
Typen stimmen nicht, einige sind Behelfe: ein
Unterrichtsministeriums, um das Pult des Hof¬
wie früher im Kleinen Theater. Barnowsky
schöner Mann mit Spitzbart, ein gestrichener
rats Winkler, der zu Bernhardi sagt, es sei.
wird hervorgerufen, Kortner feiert einen ver¬
Hängebart. Aber Salfner poltert das greise
schon besser, den Dingen nicht auf den Grund
dienten Triumph.
Naturburschentum seines Professors Pflugfelder
zu gehen, weil man sonst eines Tages lerne,
P. w.
herunter, der Dr. Adler von Harry Hardt
alles zu verstehen und alles zu verzeihen, und
nicht mehr lieben und hassen dürfe.
Es ist die Größe von Kortners Dar¬
Schwester“ verweigerte, hat Frank gegen
stellung, daß sie diese gebrochene Linie einhält.
diese Zensurmaßnahme in der einzig denk¬
Er hat einen grauen Kopf, den Kopf des
„Ein alter Mlann
baren Weise protestiert, indem er seine Mit¬
Alternden. Mit dunklen Augen, die vom Ge¬
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wirkung an solcher nur zu zwei Dritteln „ge¬
sprächspartner meist abirren, zu Boden starren,
sonl nicht mehr singen!
nehmigten“ Veranstaltung absagte. Strecker, der
oder die er halb zudrückt. Klangvoll, aber von
Vertreter der repräsentativen Vereinigung deut¬
einem Schleier verhüllt die Stimme, mit jähen
Mißglückter Dichterabend des Verbandes
scher Prosaschriftsteller, drückte sich allerdings
Entladungen des Zornes, in dem die flache
Deutscher Erzähler
erheblich gemäßigter aus; er sprach nur von dem
Hand auf den Tisch haut, und sofortiger Rück¬
„ziemlich unhaltbaren Zustand“, daß ein allge¬
Der Vorsitzende des Verbandes ließ sich ent¬
kehr in scheinbare Ruhe. Ein Lächeln, das
mein anerkannter Roman in dieser Weise zensu¬
schuldigen: seine Freunde hielten es für nötig,
kommt und entflieht, das Lächeln der Ironie
riert werde.
daß er sich (nach überstandener Krankheit) schone.
Als Ersatzmann wurde nun ein anderer
Ein anderer Herr, das Vorstandsmitglied Karl
Frank ins Treffen geschickt. Dr. Frank Thieß
Strecker, trat an seine Stelle, um (merklich aus
Inhauhe lände.
nämlich. Der als Essayist und Prosaist so
der Fassung gebracht durch Zurufe aus dem Pu¬
ehrenwerte Schriftsteller las (im Erzähler¬
blikum) etwa folgendes mitzuteilen: Da der
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Verband, nicht zu vergessen!) seinen Einakter
Berliner Rundfunk, der die Vorlesung;
„Der Kammersänger“ aus dem Manuskript; und
dreier Dichter aus ihren Werken seinen Hörern
man muß wohl — angesichts der Tapferkeit, mit
weiterzugeben übernommen hatte, wegen morali¬
der dieser Reservemann in die entstandene
scher Bedenken die Sendung eines Abschnitts aus
Bresche sprang — sich auf die Feststellung
GELEE ! Leonhard Franks Roman „Bruder und
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