II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 849

25. ProfesseBernhand
hagen, Londen.
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Fetersumg¬
(Quellenengabe chne Gewühr).
Ausschnitt aus:
Die Fackel, Wien
vom: — MR. 1972
Wie er Weltanschauungen aufeinanderplatzen läßt,
Schnitzier—das sollen sie in München bewundert haben: Das
macht ihm unter den lebenden Autoren Deutschlands keiner nach.:
Außerdem läßt er
die Bühnenhandlung vom ersten Augenblick an mit Spannung wie mit
Elektronen sättigen.
Elektrone sind Bernsteine, aber das macht nichts. Viel wich¬
tiger ist, daß die liberale Presse bei Inhaltsangaben von Theater¬
stücken sich direkt fortschrittsfeindlich geriert. Welcher klerikale
Landtagsabgeordnete hätte je, ohne sofort einen Leitartikel über
den Mund zu bekommen, es wagen dürfen, dem bekannten Haß
gegen die Wissenschaft ähnlichen Ausdruck zu geben:
Die Typen des Arztestandes marschierten auf, der unglückliche
Landdoktor, der ehrgeizige Assistent, die Dozenten, die Koryphäen der
Medizin. Man kennt auch hier alle, wenn ihre gegenseitigen Beziehungen,
hierzulande vielleicht auch weniger von politischen Gegensätzen beein¬
flußt, ihre Wege andere sind — die Ziele sind dieselben. Jene
gewisse Sorte, die keine Gelegenheit vorübergehen läßt, sich in den
Schutz der herrschenden Mächte zu begeben, ist auch hier bekannt, und
Schnitzlers Sätze finden verständnisvolle Ohren. Die furchtsamen,
die kühnen, die alten und jungen Gelehrten Schnitzlers, die Streber,
die Maulhelden, die -Leute, die die Gemeinheit lieben, ohne Vorteil
aus ihr zu ziehen, aus reiner Liebe zur Gemeinheit: — alle diese
Gestalten Schnitzlers, ihre geheimsten Triebe, ihre gröbsten Griffe
packten die Zuschauermenge mit außerordentlicher Gewalt.
Ich halte ja von den Professoren der Medizin nicht viel.
Aber wenn sie nach dieser Beschreibung noch immer Artikel und
Diagnosen für die freisinnige Presse liefern, dann muß ich zu¬
geben, daß die Beschreibung stimmt. Sie wollen dann eben
wirklich keine Gelegenheit vorübergehen lassen, sich in den Schutz
der herrschenden Mächte zu begeben, nämlich jener Mächte, die
immer behaupten, daß die andern die herrschenden Mächte seien.
Was aber den -Professor Bernhardie betrifft, so ist es höchste
Zeit, daß die Zensur ihn freigibt. Ich bin jetzt selbst dafür; denn
dieser letzten Tage Qual war groß. Von allen Problemen, die
einem zum Hals herauswachsen, dürfte der - Professor Bernhardi
jetzt das dringendste sein. Wir wollen ihn haben. Ich war schon
lang nicht im Theater. Wenn aber der -Professor Bernhardi¬
gegeben wird, nehme ich mir einen Sitz, von dem man das Publi¬
kum gut sehen und hören kann. Ich werde mir keinen Dialog im¬
Zwischenakt entgehen lassen und die Gesichter der Volkstheater-
premierenleute mir genau bei der Stelle ansehen, wo man deutlich!
sehen kann wie sie schen wie die Weltanschauungen aufeinander¬
platzen. Mer wird doch da sehn.
box 31/7
Ausschnitt aus: Allgemeine Zeitung. München
vom: eb 4

Wiener Theater.
Sind wir, die wir in die Großvaterjahre gekommen sind,
stumpfer geworden als in der Jugend oder hat das allgemeine
Theaterinteresse gewaltig abgenommen oder trifft beides zusam¬
men? So oft der verehrte Herausgeber der Allg. Ztg. ihren alten
Wiener Berichterstatter mahnt, wieder einmal über den Verlauf der
Spielzeit sich zu äußern, stell' ich mir diese Frage. Gewiß gibt es
nach wie vor Modestücke, die jeder gesehen haben soll (wobei „jeder“
in unserer Millionenstadt einer unter Zehntausenden ist). Ebenso ge¬
wiß gibt es Theaterleiter, Theaterspieler, Theaterjünger, die wie
anno Laube oder noch höher hinauf anno Bäuerle die Bühne als
Um und Auf ihrer Lebensinteressen betrachten und behandeln.
Ebenso gewiß kommen immer wieder große Leistungen, neue Talente
und gediegene oder schwindlerische Neugestaltungen klassischer Werke
zum Vorschein, die auch den ernsteren Leser, den bequemer oder
nungsäußerung anregen, aber die Glanzzeit des Altwiener Theater¬
betriebes halt' ich doch für versunken. Und angesichts der ungeheue¬
ren Wandlungen unseres politischen und technischen Lebens ist das
nicht durchaus beklagenswert. In meiner Kindheit war Döbling oder
Hugentein
Grinzing ein Sommeraufenthalt, den man mit dem ganzen Hausrat
bezog. Heute ist das ein Stück Groß=Wien. Außer dem Hochadel
und wenigen Geldmagnaten übersiedelten nur Ausnahmsmenschen
für Monate und Monate nach Tirol, an die See, in die Schweiz.
Heute kann man zu Ostern oder Pfingsten nicht über die Straße,
ohne die vorwurfsvolle Frage zu hören: „Wie, Sie sind hier?
X. ist in Athen, Y. in Madeira.“ Zu Weihnachten trifft man mehr
jugendliche Stienthusiasten in Lilienfeld oder Sankt Moritz, als auf
dem Paradies des Burgtheaters. Gymnasiasten, die gleich Jacob
Minor Abend für Abend vom 15. September bis zum 15. Juli auf
der vierten Galerie des Hoftheaters Klassiker und modernes Schau¬
spiel, französische Lustspiele und deutsche Possen, etliche ein paar
dutzendmal, vornehmlich nur des musterhaften „Ensembles“ halber
sich auftischen lassen, sind längst nicht mehr vorhanden. An ihre
Stelle sind die Zöglinge der staatlichen und „wilden“ Schauspiel¬
schulen getreten, die lärmend ihrem Unmut oder Beifall Ausdruck
geben und mit Zuversicht hoffen, samt und sonders das große Los,
den lebenslänglichen Kontrakt mit 30,000 bis 50,000 Kronen zu ge¬
winnen, indessen die Statisuk dieses Berufes neunzig von Hunderten
immer traurigere Aussichten auf sichere Brotlosigkeit zeigt.
So lebt ein anders spielendes, ein anders richtendes Geschlecht.
Wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, als elfjähriger Knabe anno
1863 die ersten Wiener Vorstellungen von Hebbels gehörntem Sieg¬
fried und Siegfrieds Tod mit der jungen Wolter (Ehriemhild), der
Frau des Dichters Christian Hebbel (Brünnhild), Joseph Wagner
(Siegfried), Hagen (Gabillon) mit ansah und 1913 zum 100. Jahres¬
tag der Geburt Hebbels im neuen Haus dieselben Texte von neuen
Leuten mitanhören sollte, verzichtet billig auf irgendeinen Urteils¬
spruch. Wir verstehen die heutigen Ausstattungsnarrheiten nicht.
Uns klingt der frühere Ton unverlierbar nach. Wir wollen bewußt
und sicherlich sogar unbewußt nicht dort mitgehen, wo uns der
Jugendeindruck ein Höchstes war und blieb. Für die großen tragi¬
schen Aufgaben sind, so glauben wir, seither so wenig Hebbel eben¬
bürtige Dramatiker, wie der Wolter und ihren Kameraden eben¬
bürtige Schauspieler nachgewachsen. Ehedem gab's bessere Schau¬
spieler und wohlfeilere, der Phantasie der Zuschauer bedürftigere,
darum nicht weniger wirksame Bühnenprospekte. Heute ... hat das
Burgtheater zweifellos wiederum außerordentliche neue Darsteller,
deren Begabung nur anderswo Siege verdient als in der Tragödie
hohen Stiles.
Charakterspieler, wie Heine und Treßler, Salondamen, wie
Frau Marberg, bringen es fertig, Konversationsstücke, wie Auern¬
heimers zahme Verspottung eines „Paares nach der Mode“ oder Franz
Molnärs Trauerstück „Das Märchen vom Wolf“ als Erholung in
der Verdauungspause dutzend= und dutzendmal zu hohen Einnahmen
zu bringen. Daß Burg= und Deutsches Volkstheater beim besten
Willen nicht immer freiwillig zu solchen Zugstücken greifen, ist das
zweifelhafte Verdienst unserer Zensur. Sie verbietet Schnitzlers
Professor Bernhardi, der in München, sogar in Preßburg und Pest,
„nicht in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern