II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 33

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24. Das weite Land
seiner Frau steigen. Sie hat a
jener Dreivierteltakt von gestern, der ihn bald sanft wiegend erstenmal auf die Bühne gebracht wird. Nachdem Hof¬
Entdeckung regt ihn zunächst
von Genuß zu Genuß trägt und bald im stürmischen reiter jenen Brief gelesen, der seiner Frau ein so glän¬
schläft prächtig bis zum späten M
zendes Tugendzeugnis ausstellt, überkommt es ihn ganz
Wirbel mit sich reißt. Unklar bleibt nur, was der Dichter
Frau wirkt auf ihn — er sagt e
selbst von diesem Manne denkt. Wir glauben jedoch, er
selisam. Er hätte ihr so viel abzubitten, und jetzt wäre
Grimm — wie eine „innere Befr#
ist weder für ihn noch gegen ihn, er stellt ihn eben als
der Augenblick, reuig zu ihr zurückzukehren. Statt dessen
wieder menschlich nahe. Doch v
aber fühlt er sich heftig von ihr abgedrängt. Fast schaudert
etwas Tatsächliches hin, wie es nach seiner Ansicht blut¬
Tatsache seines Hahnreitums verl
warm aus dem Leben daherkommt.
ihm vor ihr. Bitte, hier sehen wir also auch einmal einen
Gleichgewicht, die moderne Ueber
Ehemann, der gute Lust hätte, seine Frau wegen ihrer
Die jungen Landsleute, die hier abkonterfeit werden,
vom Gesicht, und er handelt plötz
Treue zu bestrafen. Auf den ersten Blick scheint es ein
sind auch voller Widersprüche und sollen es wohl sein.
menschen, fordert den Fähnrich
Widersinn zu sein; vertieft man sich aber in die
Das liegt in ihrer angeborenen Zwiespältigkeit, in dieser
kampf. Entsetzt reißt sich Genig
Situation (was freilich dem auf den Augenblick angewie¬
Mischung von allerjüngsten Elementen mit dem vormärz¬
erschien sie immer der geheimen
senen Zuschauer nicht leicht), so lernt man diese ihre
lichen Bodensatz. So sind sie alle, trotz ihrem Leichisinn
verdächtig, und in unserer Philiste
Wirkung verstehen. Friedrich Hofreiter, eine oberflächliche
und ihrer Gleichgiltigkeit gegen die sogenannten höheren
glauben, es werde am Ende doch
Natur im Grunde und die Beute jeder neuen Stimmung,
Interessen, von einer erstaunlichen, tapferen Offenheit und
kommen. Doch nun, man fühlt
dieser Impressionist der Liebe kann nicht anders fühlen.
Wahrhaftigkeit, stiften aber meistens nur Unheil mit dieser
den beiden. Er will auch von
Seine Frau gab den Anlaß zu dem Selbstmord des
Tugend. Wenn einer die Ehe bricht, läuft er stracks zu
er gehört fortan niemandem als sich
Freundes, sie ist unschuldig schuldig daran, aber schuldig
seiner angetrauten Frau und beichtet die Sünde, worauf
seinem Söhnlein, das aus dem
trotz alledem. Die Mörderin Korsakows! Er spricht den
ihm diese für immer den Rücken dreht. Etwas verwickelter
ruft. Mit einem leisen Seufzer
Gedanken nicht aus, denkt ihn vielleicht nicht einmal, doch
nibt sich der häusliche Roman Hofreiters. Er hat eine
Erna bleibt allein zurück. So
so viel sagt er ihr immerhin: „Deine Tu¬
Geliebte, Frau Genia, seine Gattin, weiß es, und er
schließt mit einem Fragezeichen.
gend hat einen Menschen in den Tod ge¬
weiß, daß seine Frau es weiß, und der betrogene Ehe¬
Faden weiterspinnen. Jetzt, wo
trieben!“ Nun wird sie ihm unheimlich fremd,
mann weiß es gleichfalls. Frau Genia hätte sich rächen
hand Möglichkeiten ganz nüchter
immer sieht er den Schatten des Selbstmörders an
können. Ein Freund ihres Mannes, der große Klavier¬
empfiehlt sich der Dichter.
ihrer Seite — was Wunder, wenn er ihr jetzt scheu aus
spieler Alexei Korsakow, liebte sie, und sie war ihm nicht
Ein Wort noch über den T
dem Wege geht. Er will eine zerstreuende Reise — wir
gerade abhold. Aber um ihretwillen, nicht dem Gatten zu¬
sind schon am Ende des zweiten Aktes — einen Ausflug
weite Land.“ Gedeutet wird er e
lieb, hielt sie die eheliche Treue. Es war für ihre Seele
in die Dolomiten unternehmen. Dazu verlocken ihn auch
dramatisch schwächsten, weil
eine Art Reinlichkeitsfrage. „Ich hätt nicht können“,
die Augen des schönen Fräuleins Erna, dunkle Rätsel¬
Einschiebsel wirkt, durch da
sagt sie. Da geht dann der arme Korsakow hin und er¬
augen, die mit bedenklicher Neugier in die unbekannte
jedoch dem lustigsten der
schießt sich. Wenn der Vorhang sich zum erstenmal hebt,
Ferne schauen und Wünsche verraten, die der Mund nicht
kommen die Leute — recht Schnitzlerisch — gerade von
sich in einem Tiroler Alpenhotel
zu lispeln wagt. Es kommt auch, was man kommen sieht.
sippe durcheinander, fast lauter
seinem Leichenbegängnis. Er hat auch einen Brief an
deutende, unbedeutende, leere Köp
Schon am Ende des dritten Aktes ist Erna diesem
Frau Genia hinterlassen, und statt ihn vor ihrem Gattin
Denker, jeder so gut gesehen als
Meister unter den Wildschützen verfallen, und ihr Freier,
zu verheimlichen, reicht ihn diese ihm ohneweiters zum
der Arzt Dr. Mauer, ein gerader Mann, der die „Herzens¬
mit seiner Wiener Seele, seinem
Lesen. In diesem Stück wird immer mit offenen Karten
schlampereien“ (ein neues Wort für „Liebelei“) nicht leiden
Da scheut sich auch der Dichtern
gespielt, was die Aufgabe des Dichters nicht wenig er¬
keit abzuknipsen. Den Portier Ro
kann und Erna zu seinem Weibe machen wollte, er zieht
schweren mußte. Dieser aber nimmt alle Hindernisse, als
aus dem Semmeringer Südbahn
enttäuscht und mit eingekniffenen Gefühlen von dannen.
ob es gar keine Hindernisse wären, ohne eine Spur von
Völser Weiher, und ein Tourist
Im vierten Akt ist Hofreiter wieder in Baden bei
Anstrengung zu verraten. Er hat wirklich eine sehr feine
wird denn der Semmering ohne
Wien, wo die zwei ersten Akte spielen. Er kommt des
Hand, und diese Hand ist sehr geschickt, vor allem in der
der Hoteldirektor Dr. v. Aigner, d
Nachts an und besteht sofort ein nicht gewöhnliches
Kunst, die Geschicklichkeit zu verbergen.
ein Kind haben soll, er ist dem
nächtliches Abenteuer. Zwei Stunden nach Mitternacht
Auch an Mut fehlt es ihm nicht. Diesmal wagte er
sich an ein nspchologisches Problem heran, das wehl zum sieht er einen jungen Schiffsfähnrich aus dem Zimmer manos aus dem Gesichte geschnit