II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 169

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Kere pen Sace
AS. A6. 1444
Vor den Kulissen.
Im Lessing=Theater und zu gleicher Stunde an
einem guten Dutzend anderer Bühnen ist gestern abend
Arthur Schnitzlers Tragikomödie in Szene ge¬
gangen — eine ganze, bunte Musterkarte von Erfolgs¬
berichten liegt heute dem glücklichen Verfasser
vor, der die ganze Skala der Autorfreuden
durchkosten kann, vom freudigen Triumph bis
zum lauwarmen Achtungserfolg.
Unter diesen
immerhin noch nicht unbehaglichen Temperaturgrad
wird die Aufnahme sicherlich nirgends sinken. Nicht
um des Werkes, aber doch um des Verfassers willen.
Auch im Lessing=Theater hatten wir es gestern Abend
zuerst nicht mit einem Erfolg der Tragikomödie,
sondern mit einem Schnitzler=Erfolg zu tun. Der
Beifall galt zunächst nicht der Novität, sondern den
älteren Werken, galt nicht der neuen Dichtung sondern,
trotz der neuen Dichtung dem Verfasser und seinem
hoch in verdientem Ansehen stehenden bisherigen
Schaffen. Man klatschte Literaturgeschichte. Erst.
vom dritten Akte an brach die Teilnahme auch für
das neue Werk, für die Tragikomödie und ihre Helden
durch, und der Schlußbeifall, für den Doktor Brahm
mit wenigen Worten im Namen des Verfassers
dankte, galt schon gleichermaßen dem Verfasser, dem
Stück und der Aufführung.
Die Tragikomödie leidet zunächst stark unter ihrer
Fünfaktigkeit. Allem Anschein nach ursprünglich als
Roman, als Erzählung gedacht oder gar entworfen?
und später erst der dramatischen Form zugeführt,
dieses „weite Land“ ganz dazu
angetau,
sich
Besucher
verwirren und
verirren
kassen. Ein breit
angelegtes,
figurenreiches
Bild rollt Schnitzler hier vor uns auf, in
dem nur die Mittelgruppe lange zu fehlen¬
scheint, der Punkt, auf den die ganze Aufmerksamkeit
sich richten kann. Die Seele ist das weite Land,
durch das Schnitzler uns führt, aber zu vielerlei#
Seelen scheinen sich erschließen zu wollen, und so
können wir uns in keinem „weiten Land“ recht um¬
schauen. Ueberdies ist der Dichter mehr Erklärer als
Bildner,
sagt uns in allzuwortreichen Dialogen,
was er r s lebendig zeigen sollte.
In der milden Sonne, im Waldhauch von Baden
bei Wien spielt die tragische Geschichte. Friedrich
Hofreiter, der reiche Fabrikant, in dessen Park und
Villa die bewegte Handlung spielt, ist ein Herren¬
mensch, eine Art Röcknitz=Natur, der für sich jede reife,
lockende Frucht vom Lebensbaume pflückt, der aber
scharfen Anges wacht, daß niemand in seinens
Garten bricht. Ein russischer Klaviervirtuose is
gerade zu Grabe getragen worden, als die Hand¬
lung einsetzt.
Bald erfahren wir, daß er
sich selbst den Tod gab, weil er
Genia,
die Frau unseres Herrenmenschen, unglücklich liebtes
und später wird uns von fern die Möglichkeit oder?
Wahrscheinlichkeit gezeigt, daß Hofreiter, unser Gro߬
stadt=Rö#enitz, in einer Art von amerikanischem Duell
Anlaß## Selbstmordes war. Während er eben
die Liebesbeziehungen zur leichtlebigen Frau eines
Bankiers löst oder gar brutal durchschneidet und
schon im Begriffe steht, sich
das Mädchen
zu erstürmen, das sein Freund schüchtern liebt
und heiraten will, quält er sich noch mit der
posthumen Eifersucht und den überspitzten Tüfteleien
über den Anteil seiner Frau an diesem Selbstmord.
Während er selbst von einem Liebesabenteuer heim¬
kehrt, entdeckt er, daß seine Frau endlich sich zu einer
Art Liebesrevanche entschlossen und sie ins Werk
gesetzt hat. (
fordert den Begünstigten,
ohne daß Eifersucht, ohne daß Liebe oder
Haß im Spiele ist, fordert ihn, erschießt ihn. Ueber
die Frau hinweg, über die Geliebte hinweg, die sich
ihm eben geopfert und die er nun alschüttelt, will er
sich erst dem Richter stellen und danach von dannen
ziehen, in die neue Welt. Die Zärtlichkeit, mit der
er indes beim Schlußwort dem kleinen Sohn ent¬
gegeneilt, der eben aus England heimkehrt, läßt
fast die Vermutung zu, daß vielleicht doch noch
eine Vereinigung, eine Versöhnung möglich ist. Wer
will sich so sicher auskennen im weiten Land der
Menschenseele! Vollends sinds, wie gesagt, so viele
„weite Länder“ die mit gleichem Anspruch auf Durch¬
querung und Erforschung vor uns erscheinen. Da ist
neben dem überlegen=rücksichtslosen Helden die kompli¬
zierte und ungewöhnlich seinnervige Gattin, die zwischen
fortdauernder Liebe, Resignation, Stolz und Rache¬
gelüst oder wie sie lieber sagt, Revanchelust