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24. Das weiteLand
Mönigsberger Hartungsshe Zeitung
15 10 101
Schnitzler-Premiere.
r. Berlin, 14. Oktober. Schnitzlexs.Tragikomödie „Das
(weite Land“ die heute wie in Wien, Hamburg und zwölf anderen!
Orten im Lessingtheater ihre Erstaufführung erlebte, wurde
erst freundlich, vom dritten Akt ab aber kühl ausgenommen. Nur eine
über alles Lob erhabene Aufführung mit Irene Triesch und
Monard, Emanuel Reicher, Ilka Grüning, der Sussin u.s.w.
rettete den Abend. „Das weite Land“ ist eine Menschenseele mit allen
ihren Rätseln und Widersprüchen.
Wie uns unser Wiener F.=Korresponden meldet, wurde
Schnitzlers „Das weite Land“ im Burgtheater lebhaft und freund¬
lich aufgenommen.
Uphae dtNe
42•6
5u
„Das weite Land.
Tragikomödie in fünf Akten von Arthur
Schnitzler. Erstaufführung im Lessingtheater.
Es gibt in dieser, zwischen Rührung und
Affektiertheit, zwischen Tiefe und Banalität un¬
ruhig daherflatternden Komödie, die fünf ge¬
dehnte Akte hat, eine Szene von starkem,
dramatischen Gefüge. Das ist, da der leiden¬
schaftliche, heißbegehrende Vierzigjährige, der
Lebemann und Ehemann, um die Liebe der
koketten, sich spröd geberdenden und doch
so gern gewährenden Zwanzigjährigen wirbt.
Darüber vergaß man das Theater, das zwin¬
gende Leben meldete sich. Zum ersten, aber
auch zum letzten Male in dem Stück, das ohne
Rückgrat lebt; nur auf Empfindung, Empfin¬
delei und Dialog aufgebaut ist. Die Handlung
fehlt.
Auch der neue Schnitzler, dem zu guterletzt
ein freundlicher Beifall blühte, wächst auf
Wiener Boden. Wie Watteau, der Maler der
ländlichen Feste, die tändelnde Grotik seiner
Zeit verherrlichte, so sucht Schnitzler immer
wieder, und auch diesmal „Das weite Land“
er versteht darunter die Menschenseele mit
ihren wechselnden Stimmungen und unergründ¬
lichen Gefühlen — zu einem Bilde des Wiener¬
tums, wie es lebt und liebt, zu formen. Ich
kenne die Wiener Welt nicht, die er uns vor¬
führt, aber ich glaube, das Bild ist arg ver¬
zeichnet.
Schnitzler gibt die große Tragikomödie des
leichtlebigen Ehemannes und der schwerblütigen
Frau, die sich schließlich, von ihrem Manne
moralisch infiziert, einen Liebhaber nimmt.
Und darüber zerbricht die so lange Jahre auf¬
recht erhaltene Ehe. Der junge Amoroso fällt
Aim Duell und der siegreiche Gatte geht in einem
psychologisch unwahren Anfall von Schwermut
über das große Wasser. Warum — niemand
selbst nicht, die
Frau
weiß es; er
und
nicht, die erst stürmisch umworbene
nun abgeschüttelte Geliebte nicht und wahr¬
scheinlich auch Schnitzler selber nicht. Um es
knapp zu erzählen: der reiche Fabrikant Hof¬
reiter hat eine Frau, die nicht nur auf den
seltenen Namen Genia hört, sondern auch so
selten groß denkt, daß sie dem Wiener Don
Juan die Liebschaften nicht nur verzeiht, son¬
dern sogar die Revanche mit gleicher Waffe
verschmäht. Trotzdem Herr Korsato, der sie ge¬
liebt und für den sie etwas empfunden hat,
ihretwegen aus dem Leben geschieden ist. Aber
schließlich, während der Gatte im Hochgebirge
einen neuen Flirt beginnt, erfüllt sich auch ihr
Los: sie ergibt sich den Werbungen eines
jungen Burschen. Mildernder Umstand aller¬
dings: zweierlei Tuch; der Jüngling ist Marine¬
fähnrich.
Und nun geschieht das ungeheuerliche: der
Mann, der ohne die Gemütsruhe darüber zu
hur
verlieren, den Fäynrich zu nächtlicher Stunde in
das Schkafzimmer seiner Fra uhat steigen sehen,
fordert den Aermsten, im jähen Wechsel der
Laune, zum Duell, und knallt ihn nieder. Warum
er das tut — er, dem seine Frau gleichgültig und
ihr Ehebruch verzeihlich erscheint? Schnitzler
west auf den Titel: „Das weite Land“, aber der
Titel, so gut er ist, kittet keine psychologischen
Sprünge, die unreparierbar sind.
Die Darstellung tat alles, um die brüchigen
Stellen der Komödie zu verdecken. Dem be¬
seelten Spiel der Irene Triesch gelang es
beinahe. Nicht aber Heinz Monnard, den
man sich wohl als sieggewohnten Frauenhelden
gefallen lassen konnte, doch nicht als tiefgrün¬
digen Melancholiker. Dafür war er zu gerad¬
linig und zu robust. Reizvoll war Hilde
Herterichs spröde Art, mit der sie die
phantastische kokette Zwanzigjahrige erfaßte.
Sonst gab's — Carl Forest in einer lebendig
gehaltenen Nebenrolle ausgenommen — nur ein
mäßiges Spiel; selbst Reicher war matt.
Julius Knopf.
Ueber die Wiener Aufführung erhalten
wir folgendes Privattelegramm:
Wien, 14. Oktober. (Privattele¬
gramm der „Berl. Allgem. Ztg.*)
Am Burgtheater erzielte Schnitzler einen
großen, von Akt zu Akt sich steigernden Er¬
g. Die Darstellung (Korff als Hofreiter,
Willy als Genia und Fräulein Hofteufel als
24. Das weiteLand
Mönigsberger Hartungsshe Zeitung
15 10 101
Schnitzler-Premiere.
r. Berlin, 14. Oktober. Schnitzlexs.Tragikomödie „Das
(weite Land“ die heute wie in Wien, Hamburg und zwölf anderen!
Orten im Lessingtheater ihre Erstaufführung erlebte, wurde
erst freundlich, vom dritten Akt ab aber kühl ausgenommen. Nur eine
über alles Lob erhabene Aufführung mit Irene Triesch und
Monard, Emanuel Reicher, Ilka Grüning, der Sussin u.s.w.
rettete den Abend. „Das weite Land“ ist eine Menschenseele mit allen
ihren Rätseln und Widersprüchen.
Wie uns unser Wiener F.=Korresponden meldet, wurde
Schnitzlers „Das weite Land“ im Burgtheater lebhaft und freund¬
lich aufgenommen.
Uphae dtNe
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„Das weite Land.
Tragikomödie in fünf Akten von Arthur
Schnitzler. Erstaufführung im Lessingtheater.
Es gibt in dieser, zwischen Rührung und
Affektiertheit, zwischen Tiefe und Banalität un¬
ruhig daherflatternden Komödie, die fünf ge¬
dehnte Akte hat, eine Szene von starkem,
dramatischen Gefüge. Das ist, da der leiden¬
schaftliche, heißbegehrende Vierzigjährige, der
Lebemann und Ehemann, um die Liebe der
koketten, sich spröd geberdenden und doch
so gern gewährenden Zwanzigjährigen wirbt.
Darüber vergaß man das Theater, das zwin¬
gende Leben meldete sich. Zum ersten, aber
auch zum letzten Male in dem Stück, das ohne
Rückgrat lebt; nur auf Empfindung, Empfin¬
delei und Dialog aufgebaut ist. Die Handlung
fehlt.
Auch der neue Schnitzler, dem zu guterletzt
ein freundlicher Beifall blühte, wächst auf
Wiener Boden. Wie Watteau, der Maler der
ländlichen Feste, die tändelnde Grotik seiner
Zeit verherrlichte, so sucht Schnitzler immer
wieder, und auch diesmal „Das weite Land“
er versteht darunter die Menschenseele mit
ihren wechselnden Stimmungen und unergründ¬
lichen Gefühlen — zu einem Bilde des Wiener¬
tums, wie es lebt und liebt, zu formen. Ich
kenne die Wiener Welt nicht, die er uns vor¬
führt, aber ich glaube, das Bild ist arg ver¬
zeichnet.
Schnitzler gibt die große Tragikomödie des
leichtlebigen Ehemannes und der schwerblütigen
Frau, die sich schließlich, von ihrem Manne
moralisch infiziert, einen Liebhaber nimmt.
Und darüber zerbricht die so lange Jahre auf¬
recht erhaltene Ehe. Der junge Amoroso fällt
Aim Duell und der siegreiche Gatte geht in einem
psychologisch unwahren Anfall von Schwermut
über das große Wasser. Warum — niemand
selbst nicht, die
Frau
weiß es; er
und
nicht, die erst stürmisch umworbene
nun abgeschüttelte Geliebte nicht und wahr¬
scheinlich auch Schnitzler selber nicht. Um es
knapp zu erzählen: der reiche Fabrikant Hof¬
reiter hat eine Frau, die nicht nur auf den
seltenen Namen Genia hört, sondern auch so
selten groß denkt, daß sie dem Wiener Don
Juan die Liebschaften nicht nur verzeiht, son¬
dern sogar die Revanche mit gleicher Waffe
verschmäht. Trotzdem Herr Korsato, der sie ge¬
liebt und für den sie etwas empfunden hat,
ihretwegen aus dem Leben geschieden ist. Aber
schließlich, während der Gatte im Hochgebirge
einen neuen Flirt beginnt, erfüllt sich auch ihr
Los: sie ergibt sich den Werbungen eines
jungen Burschen. Mildernder Umstand aller¬
dings: zweierlei Tuch; der Jüngling ist Marine¬
fähnrich.
Und nun geschieht das ungeheuerliche: der
Mann, der ohne die Gemütsruhe darüber zu
hur
verlieren, den Fäynrich zu nächtlicher Stunde in
das Schkafzimmer seiner Fra uhat steigen sehen,
fordert den Aermsten, im jähen Wechsel der
Laune, zum Duell, und knallt ihn nieder. Warum
er das tut — er, dem seine Frau gleichgültig und
ihr Ehebruch verzeihlich erscheint? Schnitzler
west auf den Titel: „Das weite Land“, aber der
Titel, so gut er ist, kittet keine psychologischen
Sprünge, die unreparierbar sind.
Die Darstellung tat alles, um die brüchigen
Stellen der Komödie zu verdecken. Dem be¬
seelten Spiel der Irene Triesch gelang es
beinahe. Nicht aber Heinz Monnard, den
man sich wohl als sieggewohnten Frauenhelden
gefallen lassen konnte, doch nicht als tiefgrün¬
digen Melancholiker. Dafür war er zu gerad¬
linig und zu robust. Reizvoll war Hilde
Herterichs spröde Art, mit der sie die
phantastische kokette Zwanzigjahrige erfaßte.
Sonst gab's — Carl Forest in einer lebendig
gehaltenen Nebenrolle ausgenommen — nur ein
mäßiges Spiel; selbst Reicher war matt.
Julius Knopf.
Ueber die Wiener Aufführung erhalten
wir folgendes Privattelegramm:
Wien, 14. Oktober. (Privattele¬
gramm der „Berl. Allgem. Ztg.*)
Am Burgtheater erzielte Schnitzler einen
großen, von Akt zu Akt sich steigernden Er¬
g. Die Darstellung (Korff als Hofreiter,
Willy als Genia und Fräulein Hofteufel als