II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 181

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24. Das keite-Land
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ohne Schmeichelei und Schönfärberei. Jedermann kennt possenhaft zugestutztes Bild internationalen Touristenlebens
die Gesellschaft, die Schnitzler zu schildern pflegt, jene elegante in einer Hotelhalle; in den beiden letzten Akten aber schreitet
Welt, die Tennis spielend, Auto fahrend und liebelnd ihr
die Handlung nur schleppend vorwärts und vermag nicht bis
Leben verbringt und in der die sittlichen Begriffe an einer
zum Schluß den Zuschauer zu fesseln. So war denn auch die Auf¬
gewissen Verschwommenheit leiden. Bei den komplizierten
nahme des Stückes recht kühl, obgleich vortrefflich gespielt wirde. U
Gestalten jener Gesellschaft gibt es überhaupt keine festen Be¬
Heinz Monnard gab im Hofreiter einen Verwandten seines.
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griffe von Gut und Böse mehr, denn so vieles hat neben¬
Anatol, lebenslustig und liebedurstig, aber schärfer und kraft¬
einander in ihnen Raum. „Wir versuchen wohl, Ordnung in
voller als jener. Besonders sympathisch ist diese Gestalt, die
uns zu halten, aber sie bleibt stets etwas Künstliches. Denn
mit einem Zynismus auf den Lippen sogar ein Menschen¬
die Seele ist ein weites Land,“ sagt der Raisonneur des
leben opfert, gerade nicht. Aber Monnard verstand durch die
Stückes.
äußere Sorglosigkeit des Lebenskünstlers doch seine Kraft und
Ein besonders weites Land sind die Herzen der Ehe¬
seinen unbeugsamen Willen durchschimmern zu lassen. Irene#
männer, die in frivolem Spiel täglich untren sind, die aber
Triesch gab die Genia mit jener starken Innerlichkeit, die
doch im Grunde ihres Herzens die eigene Frau lieben und
alle ihre Rollen durchleuchtet, und verwischte so die Mängel in
in ihr das Ideal sehen, dessen Verlust sie nimmer verschmerzen
der Anlage dieser Gestalt. Der Erna gab Hilde Herterich
können. Da ist vor allem der Fabrikant Hofreiter und
ein so starkes Empfinden, daß sie sie dadurch idealisierte. Ilka
Genia seine Gattin, — er ein „Schmetterling", sie nach¬
Grüning als alternde Mondäne und Hans Marr als Dokton
denklich und ernst. Aus Liebe zu ihr hat sich ein junger,
Mauer, der einzige Zuverlässige der ganzen Gesellschaft, boten
von ihr zurückgewiesener Künstler erschossen.
Sie
scharf umrissene Rollen. Weniger gut lag Emmanuel Reicher
zeigt dem Gatten seinen Abschiedsbrief.
Da er¬
der Aigner. Auch Kurt Stieler, der Fähnrich, und Mathilde
kennt
er die Tiefe ihrer Liebe, und von nun an
Sussin, seine Mutter, wirkten konventionell. Diese Ge¬
beschleicht ihn ein Gefühl des Schuldbewußtseins in ihrer
stalten sind verstandesmäßig als Träger einer Idee gebildet;
Nähe. Er geht in die Berge, um zu vergessen, mit Erna,
ihnen fehlt das warme Leben, und an ihnen erlahmt die
einer modernen Maid. Unterdessen knüpft Genia daheim
Kunst der Schauspieler. Amüsant und flott hingegen wirkten
eine Liebelei mit einem jungen Offizier an, um dem Gatten
die Episodenrollen, die das bunte Leben der Hotelhalle und
dadurch verständlicher zu werden.
Er aber erschießt ihren
der Badener Sommersaison schildern; sie wurden mit Eifer I.
Liebsten mit kalter Mordlust, und als sie sich nun schaudernd
und Humor gespielt und trugen einen großen Teil der Kosten
des Abends.
von ihm wendet, verzweifelt auch er und stößt Erna, die ihm
E. v. B.
folgen will, von sich. Obgleich er vorgibt, seine Gattin nicht
mehr zu lieben, scheint ihm doch das Leben wertlos ohne sie.
Im Architektenhause fand Sonntag mittag eine Schüler¬
Andere Paare stehen daueben. Da ist Herr v. Aigner,
Matinee der dramatischen Lehrerin Mathilde Lippert statt, die auch
an der Marie Seebachschule im Königl. Schauspielhause tätig ist.)
der seine Frau unendlich geliebt hat, aber gerade darum in
Die Vortragenden erfreuten durch gute Sprechtechnik bei der
die Scheidung willigen mußte, als sie seine Untreue entdeckte.
Deklamation und durch dramatisches Leben in den vorgeführten
Dennoch können sie sich nicht vergessen und ihre Versöhnung
Szenen aus bekannten Stücken. Das Hauptinteresse wandte sich¬
scheint bevorzustehen. Dann der Bankier Natter, der die
den Vorträgen des Frl. Lippert zu, die einige Gedichte von Wil¬
Untreue seiner Frau zwar durchschaut, sich aber nicht von ihr
helm Wunsch vortrug. Wenn man weiß, daß der Verfasser dieser
trennen mag, weil er sie liebt, und der sich nun durch böse Nach¬
Dichtungen ein Bäckergeselle mit Volksschulbildung ist, staunt man
rede an ihren Liebhabern rächt. Sie alle scheinen zu be¬
über den Bilderreichtum, der ihm zu Gebote steht. Seinen Versen
fehlt zwar noch die Formvollendung des gewiegten Sprach¬
weisen, daß die im „weiten Lande“ vorkommenden Unordnungen
künstlers, aber sie
sind
gedankenvoll,
doch nicht die Macht der Ehe vernichten können.
tief empfunden
und offenbaren ein starkes Lebensgefühl. Auch humoristische Töne
Der Vorwurf ist recht spitzfindig und nicht ohne psycho¬
stehen dem jungen Dichter zu Gebote. Sein (Dorfschulexamen“
logisches Interesse, aber viel zu breit angelegt. Während man
mit dem drastischen Schlusse erregte allgemeine Heiterkeit und die
in den beiden ersten Akten an dem amüsanten Geplander Zuhörer dankten der Vortragenden mit freundlichem Beifall für die
der Wiener seine Freude haben kann, bietet der dritte ein! Vermittlung dieser Dichtungen,
E., j. B.
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