II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 255

S
von ihr in den Dolomiten und beglückt das Gebirge mit
Hotels, Straßen, Bergpfaden und Schutzhütten. Gewitz muß
die geschiedene Frau zugeben, daß sie nicht ganz verlassen und ¬
einsam ist, weil ihr der Sohn, ein Marinefähnrich, geblieben?
Aber wie lange wird sie ihn haben? Auch Söhne werden
ist.
Männer. Und was das heißt, hat sie erfahren. Im Manne
wird sie den Sohn verlieren. Auch ihre Freundin Genia
Hofreiter wird von ihrem Gatten betrogen, so eifersüchtig er
auch seine Frau liebt. Auch sie hat einen Sohn, einen
erst dreizehnjährigen Knaben, der ihr lange Zeit noch Ersatz
sein konnte, wenn sie sich von ihrem Manne trennen würde.
Doch nicht so will sie den Treulosen strafen, dessen weites Herz
von neuem entflammt ist für eine junge Freundin des Hauses
Erna Wahl: Frau Genia ist eine weniger konventionelle
Natur, sie will einen andern Schritt tun als den üblichen, sie
will Revanche. Und sie revanchiert sich mit dem jungen
Marinefähnrich v. Aigner der schwergeprüften Freundin
Sohn, ehe er eine lange Seereise antritt. „Hofreiter
aber, der unvermutet von einem Ausfluge zurückkehrt,
entdeckt den Treubruch seiner Frau. Eitelkeit und Eifersucht
treiben ihn zum Aeußersten. Er will nicht der Dumme sein,
er duldet keinen neben sich. In einer Gesellschaft beleidigt er#
den jungen Rivalen; es kommt zum Zweikampf, und der be¬
trogene Ehemann schießt den Fähnrich brutal nieder. Nichts
kann Genia nun noch an des Gatten Seite halten, selbst nicht
die Heimkehr ihres lang entbehrten Kindes; sie verläßt voll
Abscheu das Haus. Jetzt, wo alles für ihn aus ist,
zerreißt Hofreiter auch das Band, das ihn an Erna
fesselt. Ihre Liebe ist bereit, ihm überallhin zu folgen;
seine Liebe aber gehört nur einer, und die hat er verloren.
Noch steht er gebückt unter der Last des Unerwarteten, da ruft
der heimgekehrte Sohn vom Garten draußen „Mutter!“
Schmerzlich zuckt er zusammen; als aber der Knabe nun auch
„Vater“ ruft, stürzt er hinaus dem Sohne entgegen, aus dem
auch einmal ein Mann werden wird. Der Kreis schließt sich.
Irene Triesch verlieh der Genia alles, was sie ih
von Eigenem geben konnte, um eine glaubhafte Gestalt von
Fleisch und Blut zu schaffen. Sie gab ihr mit stiller Melancholie
und leiser, vornehmer Scheu den Stempel inneren Leidens,
legte um ihre nervös beobachtenden Augen einen Strich von
Mißtrauen und in die ruhige Sicherheit der äußeren Haltung den
Ausdruck des Entschlusses. Im letzten Akte drückte sie müh¬
sam verborgene, bange Unruhe mit beredter Mimik aus und
fand für Schmerz und Empörung echt menschliche Töne.
Mit seelischer Feinheit ließ sie die Spannung sich lösen zi
jähem Erschrecken beim Eintreffen eines Telegramms und
mischte sie der Ruhe, als sie nur die Anmeldung des er¬
warteten Sohnes erhält, einen leisen Schatten von Enttäuschung
bei. Mit ihm aber deutete sie eine durch die Natur des
Weibes bedingte Wandlung in Genias Innerem wahr und zart
an. So gab sie einer im ganzen kaum wahrscheinlichen Gestalt;
mit feinen Details Einzelzüge von Lebenswahrheit. Alle diese
Züge faßte sie zu einer fein abgewogenen Wesensmischung an¬
mutig zusammen. Heinz Monnard als angegrauter Lebe¬
mann Friedrich Hofreiter gab der festen Anlage des eifer¬
(süchtigen Gatten und Don Juans reiche Färbung im Wechsel
der Stimmungen vom Verliebtheitstaumel bis zur letzten Er¬
kenntnis: „Aus!“ Emanuel Reicher machte aus dem
Dr. v. Aigner, so viel er aus ihm machen konnte, Mathilde
Sussin war bemüht, der Anna Meinhold=Aigner in
den wenigen Momenten, die dazu Gelegenheit boten,
Mit allzuviel Lebenskolorit
etwas Wärme einzuflößen.
ihre Rolle nicht zu ergänzen.
freilich wußte
Hans Marr als braver Dr. Franz Mauer,
Hilde Herterich als Erna Wahl, Ilka Grüning als
unermüdlich lorgnettierende und schwatzende Frau Wahl und
Kurt Stieler als Marinefähnrich taten mit gutem Ge¬
lingen ihre Schuldigkeit. Von den kleineren Rollen waren
der Tennisfex Paul
Bankier Natter bei Willy Froböse
Kreindl bei Bruno Ziener, Schriftsteller Albertus Rhon
bei Karl Forest gut aufgehoben.
Inszenierung und Ausstattung trugen viel mnit zu einem
höflichen Beifall am Schlusse bei.
Ueber die Aufnahme des Stückes in München, wo es wie
auch in Wien, Prag, Hamburg und Leipzig zu gleicher Zeit seine
Erstaufführung erlebte, wird uns geschrieben:
Am Königlichen Residenz=Theater wurde
aß.
Arthur Schnitzlers Tragikomödie Das weite Land mit
der durch den Autornamen bedingten Höflichkeit aufgenommen. Die
ersten Akte ließen bedauern, daß das bei S. Fischer, Berlin, er¬
schienene Buch sich nicht als dialogisierter Roman gibt. Kaum eine
Hand regte sich. Im weiteren Verlauf siegte die gute Aufführung
über die Redseligkeit der in Einzelheiten zerflatternden Wiener
Milieuschilderung. Der Beifall wurde stärker, und obwohl er in der
Hauptsache Steinrück als Hofreiter, Frau v. Hagen als Genia und
dem von Basil geleiteten Ensemble galt, konnte der Regisseur doch
im Namen des Verfassers danken. Gute Dienste leistete Kleins
Rundhorizont der Abendstimmung wie der Naturwirkung dei hübschen!
neuen Dekoration beim Garten vor der Villa.
———
Ausschnitt ausnyOEWARTS. BERIIN¬
17 10 1011
vom:
den Fabrikanten Fried
Typen aus der Wiene
herüber. Man hört v
Kleines Feuilleton.
resignierten Frau Gen
Preußische Kunstreform. Eine Halbheit; selstverständlich. Bei erschoß. In der Art.
keuscher Wahrung höfischer Diplomatie immerhin ein Fortschritt, dieses Todes ausforsch
ihm den letzten Brief
Die Landeskunstkommission, diese Clique der zwanzig blinden
um ihretwillen, da
Greise, wird künftighin nicht mehr den Direktor der Nationalgalerie
sich töten wolle.
leitseilen können wird zu einem Teil auf bequeme Vetternwirtschaft
wieder in seinen spötti
verzichten müssen. Unter geschickter Ausnutzung der Situation ist
um den guten Bursch
Justi gelungen, sie durch eine wahlverwandte Hilfskruppe zu ver¬
kostete. Warum tar
brängen. Des öfteren war geschehen, daß ein treffliches Stück der
Dinge, die es nicht we
Galerie verloren ging, nur, weil der Apparat der Zwanzig zu
anderssein wie er? 2
schwerfällig arbeitete. Das begehrte Werk war inzwischen vom
in das richtige Gleichg
Zrivatbesitz gekapert worden. Die Unbeholfenheit sölchen Zustandes
Der dritte Akt,
war allerdings drastisch genug, und so konnte von hier aus dem
spielt in einem Alpenh#
Kaiser die Notwendigkeit einer schneller funktionierenden Kunst¬
Fräulein, Friedrichs W
quarantäne klar gemacht werden. Wobei nur nicht vergessen werden
tour, hat ihn in hellen
darf, daß es für einen Kulturstaat arg blamabel ist: einem Laien
Leidenschaft steigt plötzh
in Dingen der Kunst definitive Entscheidungen einräumen zu
verzückte Schwüre. Ein
*müssen. Gewiß. für Justi bedeutet die Abhalfterung der Zwanzig
ist gebunden. Was tut
und deren Ersatz durch die kleins, aus sechs Berlinern bestehende
Weib verlassen. Ein K
Sachverständigenkommission eine große Erleichterung; wir aber sind
selbst felsenfest an jen
der Meinung, daß nicht mehr als ein bescheidener Anfang geleistet
dein weiten Land der 4
wurde. Als Ziel bleibt bestehen: Ausschiffung aller Höflinge und
treibenkläßt. Ziel und
Vettern — völliger Gleichmut gegen Neigung oder Abneigung des
Frau Genia, die
kaiserlichen Dilettanten. Die Nationalgalerie gehört dem heutschen
mehr an den Gattel
Volk und nicht dem Eigenwillen eines kunstfremden Fürsten.
in der Liebe eines
In der neuen Kommission sitzen: der Maler Artur Kampf, der
Treue einem Manne b
Bildhauer Louis Tuaillon, der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin,
darin zu sehen scheint.
der lrkannte Kunstsammler Eduard Arnold. dazu als Kommissar
voll von seiner neuen
des Kultusministers der Geheimrat Schmidt und schließlich der
ihrem Zimmer. Er
Direktor der Nationalgalerie. Die Namen sind gut; warten wir
da das womit er in G
ab, wie sich die Herren hindurchpolitisieren.
worden faßt ihn hämi
des inseinem Herrenree
Bei dieser Gelegenheit sei die Glattzüngigkeit eines Mannes,
Impuls, der ihm nach
den wir einst einen Kenner hießen, angeheftet. Hans Rosenhagen
Atavismus gelten müß
schämt sich nicht, im „Tag“ dieses zu schreiben:
Mädchen zu besitzen, besi
„Kann es dem Kaiser verdacht werden, daß er sich ablehnend
durch eine ehrenrührig
gegen die Mitglieder einer Künstlergruppe verhält, aus deren Lager
Zweikempf. — Die Ga
ihm beständig Schmähungen entgegenschallen, und deren Existenz
fahr, harren zitternd a
gegenwärtig eigentlich nur noch durch ihre Oppositionsstellung künst¬
wühlten Mienen tritt H##
lich aufrechterhalten wird. Die Sezession trägt fast allein die Schuld
Feind ius Herz. Nich
daran, daß der Direktor der Nationalgalerie verhindert ist, gute
Sinnes hat er gezielt.
in ihren Ausstellungen erscheinende Werke zu erwerben. ...
er sich selbst nicht
Daraufhin bleibt nur eine Frage zu tun: Warum nutzt (der
Geliebte von sich. Ei
Professor) Rosenhagen nicht diese selige Zeit, um sein Schreibhand¬
leicht kommt da die
werk mit dem eines Kunsthändlers zu vertauschen. Der Titel des
der verpfuschten Existen
R. B.
Hoflieferanten dürfte ihm gewiß sein.
ist nachdenklich und rei
auch in den Szenen zwi
Theater.
und der Mutter des jun
Eine bis in die klei
Lessing=Theater: „Das weite Land“ Tragi¬
führung unterstützte die
komödie von Artur Schnitzle#in die Jahre gekommener
Anatol, der aber neben seinen Liebeleien Zeit fürs Geschäft gefunden Monnards verführe
und sich im Wechselspiel von Flirt und angespannter Arbeit doppelt feinfühlige, menschlich
behaglich fühlt, ist in dem neuen Schnitzlerstück der „Held“. Um ihn, Triesch.