I.
24. D a S e eese e e e e e er hen Seet A
box 29/1
Leipziger Tageblatt
neues Sheater.
„Das weite Land“.
Tragikomödie von Arthur Schnitzler.
Uraufführung.
Gleichzeitige Uraufführungen desselben neuen
Stückes an mehreren namhaften Bühnen sind seit
Hermann Bahr stark in Mode gekommen. Schnitzlers
neues Bühnenwerk, das auch zugleich an der Wiener
Hofburg, am Prager Deutschen Landestheater, in
Berlin und anderswo erschien, lernten wir gestern in
einer interessanten und an sich wertvollen Aufführung
kennen, für die der Direktion Volkner Anerkennung
und aufmunternder Dank seitens der Theaterfreunde
gebührt.
Das Stück selbst verdient beides weit weniger. Es
heißt da einmal: „Das Natürliche
* *
das
Chaos. Ja, mein guter Hofreiter, die Seele...
ein weites Land, wie ein Dichter es einmal aus¬
drückt ....
Es kann übrigens auch ein Hoteldirektor
gewesen sein. Nun, ich bin überzeugt, es war ein
Hoteldirektor. — Und an anderer Stelle, zu Anfang,
ist die Rede von „Produktionen auf dem
psychologischen Seil“. In der Tat, dieses
Werturteil Schnitzlers über Schnitzler trifft den Kern
des Dramas am besten.“
Der Fabrikant Friedrich Hofreiter betrügt seine
kluge, schöne und temperamentvolle Frau Genia seit
Jahren mit Frauen aus ihrem Kreise so unermüdlich
und unverhohlen, daß ihm imponderabile Grenz¬
begriffe wie Ehe und Ehre fast abhanden gekommen,
zum mindesten stark verwischt sind. Aber als eines
Tages ein guter Freund des Hauses, ein junger
Klaviervirtuose, sich erschießt, weil ihn Frau Genia
nicht erhörte, bringt diese Tugendhaftigkeit seiner
Frau den leichtherzigen Hofreiter in nicht geringe
Verlegenheit. Er fühlt sich unbehaglich neben ihr,
flieht ihre Nähe und fängt auf einem Abstecher in
die Schweiz schleunigst eine neue Liebschaft an,
nach seinem Willen sogar zur Ehe führen soll. Frau
Genia, von ihrem Gatten so oft durch Untreue be¬
leidigt, fängt unterdes daheim nun auch eine Lieb¬
schaft mit einem grünen Jungen an, einem Marine¬
fähnrich. Hofreiter, kopflos geworden durch seine
jüngste Aventiure, kehrt heim und gerät völlig aus
dem Gleichgewicht seiner gewohnten Gleichgültigkeit,
wo er doch — nach seinem Sittenkodex — zufrieden
sein könnte, daß Frau Genia sich endlich revanchiert
und ihn nicht mehr beschämt durch ihre Tugend und
Treue. Er fordert den Fähnrich heraus und schießt
ihn über den Haufen. „Wenn es Haß wäre —
Wut — Eifersucht — Liebe.
„Na ja. von dem ver¬
spür' ich allerdings verdammt wenig. Aber man will
doch nicht der Tropf sein.“ Genia flieht den „Mörder“.
Ein unentwegter Schildträger Schnitzlers hat vor
paar Tagen in einem Blatte diese fünf Akte
schlechter psychologischer Parterregymnastik mit Ibsen
in einem Atem genannt. Mir scheint, ein Vergleich
mit der Gott sei Dank! überwundenen Dänin
Karin Michaelis liegt beträchtlich näher. Die
Seele ein weites Land? Von der „Seele“ kann doch
hier nur die Rede sein als von dem Oedland in der
Brust eines sittlich entarteten Genüßlings. Und auch
die femme de trente ans, Frau Genia, scheint ihre
eheliche Treue neben einem Hofreiter mehr als einen
interessanten Sport angesehen zu haben. Sie weiß
durch den Freund und Hausarzt von allen Lieb¬
schaften ihres Mannes, geht sogar mit seinen Ge¬
liebten gesellschaftlich um. Kann man da noch von
Seele reden? Ja, weitherzig sind diese beiden
Leute und von einem fast pervers zu nennenden
Empfinden. Wie gesagt: Produktionen auf dem
psychologischen, nein pathologischen Seil. Ein
gesunder Magen erbricht sich an solcher Kost.
Obendrein ist das Ganze noch langweilig. Es ist
charakteristisch genug für Schnitzler, daß er selber
dieses Stück unter das Zeichen des Tennisspiels und
Bergkraxelns gestellt hat. Und obendrein ist ein
lässiger Wiener Ton darin, der uns ernsteren
Deutschen nicht behagen kann. Einzelne Akte sind
dürftig und gehaltlos, unsicher in der Linienführung.
Der zweite wirkt rein expositionell, der dritte
will sich humoristisch geben, bleibt aber kläglich. Der
vierte ist am wertvollsten, könnte aber gleich an den
zweiten anknüpfen. Der Schlußakt ist für die Ab¬
rechnung kurz und schwer genug. Ausschließlich in
diesen beiden letzten Akten erkennen wir den klugen
und berufenen Schöpfer früherer Werke in Schnitzler
gern wieder.
Das Stück wirkt notgedrungen unsympathisch
und ruft bei allen anständig Empfindenden ein
starkes Befremden.
ja Widerwillen hervor, den
eine gute Wiedergabe dieses zu drei Fünfteln
gänzlich untheatralischen Bühnenwerkes nur noch
steigen wird. Die Besetzung durch unsere Darsteller
kam der „Tragikomödie“ überall zugute. Den ge¬
schmeidigen, energischen Kavalier Hofreiter spielte
Herr Walter mit der ganzen, ihm eigenen klugen
Ueberlegenheit. Er war vielleicht nicht immer
di
24. D a S e eese e e e e e er hen Seet A
box 29/1
Leipziger Tageblatt
neues Sheater.
„Das weite Land“.
Tragikomödie von Arthur Schnitzler.
Uraufführung.
Gleichzeitige Uraufführungen desselben neuen
Stückes an mehreren namhaften Bühnen sind seit
Hermann Bahr stark in Mode gekommen. Schnitzlers
neues Bühnenwerk, das auch zugleich an der Wiener
Hofburg, am Prager Deutschen Landestheater, in
Berlin und anderswo erschien, lernten wir gestern in
einer interessanten und an sich wertvollen Aufführung
kennen, für die der Direktion Volkner Anerkennung
und aufmunternder Dank seitens der Theaterfreunde
gebührt.
Das Stück selbst verdient beides weit weniger. Es
heißt da einmal: „Das Natürliche
* *
das
Chaos. Ja, mein guter Hofreiter, die Seele...
ein weites Land, wie ein Dichter es einmal aus¬
drückt ....
Es kann übrigens auch ein Hoteldirektor
gewesen sein. Nun, ich bin überzeugt, es war ein
Hoteldirektor. — Und an anderer Stelle, zu Anfang,
ist die Rede von „Produktionen auf dem
psychologischen Seil“. In der Tat, dieses
Werturteil Schnitzlers über Schnitzler trifft den Kern
des Dramas am besten.“
Der Fabrikant Friedrich Hofreiter betrügt seine
kluge, schöne und temperamentvolle Frau Genia seit
Jahren mit Frauen aus ihrem Kreise so unermüdlich
und unverhohlen, daß ihm imponderabile Grenz¬
begriffe wie Ehe und Ehre fast abhanden gekommen,
zum mindesten stark verwischt sind. Aber als eines
Tages ein guter Freund des Hauses, ein junger
Klaviervirtuose, sich erschießt, weil ihn Frau Genia
nicht erhörte, bringt diese Tugendhaftigkeit seiner
Frau den leichtherzigen Hofreiter in nicht geringe
Verlegenheit. Er fühlt sich unbehaglich neben ihr,
flieht ihre Nähe und fängt auf einem Abstecher in
die Schweiz schleunigst eine neue Liebschaft an,
nach seinem Willen sogar zur Ehe führen soll. Frau
Genia, von ihrem Gatten so oft durch Untreue be¬
leidigt, fängt unterdes daheim nun auch eine Lieb¬
schaft mit einem grünen Jungen an, einem Marine¬
fähnrich. Hofreiter, kopflos geworden durch seine
jüngste Aventiure, kehrt heim und gerät völlig aus
dem Gleichgewicht seiner gewohnten Gleichgültigkeit,
wo er doch — nach seinem Sittenkodex — zufrieden
sein könnte, daß Frau Genia sich endlich revanchiert
und ihn nicht mehr beschämt durch ihre Tugend und
Treue. Er fordert den Fähnrich heraus und schießt
ihn über den Haufen. „Wenn es Haß wäre —
Wut — Eifersucht — Liebe.
„Na ja. von dem ver¬
spür' ich allerdings verdammt wenig. Aber man will
doch nicht der Tropf sein.“ Genia flieht den „Mörder“.
Ein unentwegter Schildträger Schnitzlers hat vor
paar Tagen in einem Blatte diese fünf Akte
schlechter psychologischer Parterregymnastik mit Ibsen
in einem Atem genannt. Mir scheint, ein Vergleich
mit der Gott sei Dank! überwundenen Dänin
Karin Michaelis liegt beträchtlich näher. Die
Seele ein weites Land? Von der „Seele“ kann doch
hier nur die Rede sein als von dem Oedland in der
Brust eines sittlich entarteten Genüßlings. Und auch
die femme de trente ans, Frau Genia, scheint ihre
eheliche Treue neben einem Hofreiter mehr als einen
interessanten Sport angesehen zu haben. Sie weiß
durch den Freund und Hausarzt von allen Lieb¬
schaften ihres Mannes, geht sogar mit seinen Ge¬
liebten gesellschaftlich um. Kann man da noch von
Seele reden? Ja, weitherzig sind diese beiden
Leute und von einem fast pervers zu nennenden
Empfinden. Wie gesagt: Produktionen auf dem
psychologischen, nein pathologischen Seil. Ein
gesunder Magen erbricht sich an solcher Kost.
Obendrein ist das Ganze noch langweilig. Es ist
charakteristisch genug für Schnitzler, daß er selber
dieses Stück unter das Zeichen des Tennisspiels und
Bergkraxelns gestellt hat. Und obendrein ist ein
lässiger Wiener Ton darin, der uns ernsteren
Deutschen nicht behagen kann. Einzelne Akte sind
dürftig und gehaltlos, unsicher in der Linienführung.
Der zweite wirkt rein expositionell, der dritte
will sich humoristisch geben, bleibt aber kläglich. Der
vierte ist am wertvollsten, könnte aber gleich an den
zweiten anknüpfen. Der Schlußakt ist für die Ab¬
rechnung kurz und schwer genug. Ausschließlich in
diesen beiden letzten Akten erkennen wir den klugen
und berufenen Schöpfer früherer Werke in Schnitzler
gern wieder.
Das Stück wirkt notgedrungen unsympathisch
und ruft bei allen anständig Empfindenden ein
starkes Befremden.
ja Widerwillen hervor, den
eine gute Wiedergabe dieses zu drei Fünfteln
gänzlich untheatralischen Bühnenwerkes nur noch
steigen wird. Die Besetzung durch unsere Darsteller
kam der „Tragikomödie“ überall zugute. Den ge¬
schmeidigen, energischen Kavalier Hofreiter spielte
Herr Walter mit der ganzen, ihm eigenen klugen
Ueberlegenheit. Er war vielleicht nicht immer
di