II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 513

24. Das weite Land
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Ischaften brennender und tragischer. Ein brutaler
Herrenmensch tritt uns in diesem Fabrikanten
Hofreiter entgegen, der sich zügellos allen seinen
Gelüsten hingibt, der die Liebhaber seiner Fran
einfach niederknallt, aus Hass vielleicht, dass
sie seine Eitelkeit
von Ehre kann er nicht
reden —
beleidigen, da sie ihm dem Alternden
die frische Jugend entgegensetzen; aber auch
wohl aus einem Rest ven Liebe zu der die er
täglich betrügt und mniner weiter von sich
stösst. Und das ist eben die Kompliziertheit,
die Unverständlichkeit der Gefüh'e mit all der
herrschenden Macht der Naturliche, das ist das
Chaos des Seelenlebens, das „weite Land“ in
dem die Wegweiser fehlen. Tausende gehen an
diesem Zwiespalt zu Grunde, Tausende schleichen
an ihm mit geschlossenen Augen vorüber und
schreien die Gewissenskonflikte mit sogenannten
moralistischen Phrasen nieder. Schnitzler geht
den Trieben nach, sucht ihren Ursprung und
ihr Ende. So entstcht das in seiner Exposition
Freichlich breite Schauspiel, das mit manchen
Wiederholungen die Handlung hemmt. An den
beiden letzten Akten erst ist der dramatische
Faden strammer angezogen. Der Dialog ist
wieder so prägnant und glänzend, wie man es
von dem Dieltter erwarten durfte. Es kam
nicht zu den lauten, lärmenden Anzeichen des
„äusseren“ Erfolgs bei der hiesigen Première,
aber der Eindruck der Dichtung war stark und
der Beifall offenkündig chrlich. Von den Dar¬
stellern trat Arthur Bauer als Hofreiter an
erste Stelle. Grade, dass er den Charme des
liebenswürdigen Sinnesmenschen nicht fehlen
liess, dass er keinen Schablonen-Bösewicht aus
der Gestalt machte, rückte diese den Intentionen
des Dichters wohl am nächsten. Es war eine
Leistung aus bewundernswerter künstlerischer
individualität geboren. Fräu'ein Wulf als Geniai¬
fand den überzeugenden Ton für den mit Ge¬
walt niedergerungenen Seelenschmerz der be¬
trogenen Gattin. In der Erscheinung war diese
Genia verführerisch schön. Gardairmen als
Erna schuf die junge Cynikerin mit ihrer bren¬
nenden Sehnsucht sicher und eindrucksvoll. Da
waren noch einige treffliche Typen Kanzenel
als urwüchsiger Tennys-Matador, Bayrham¬
mer als Pendant des Fabrikanten, Krauss als
temperamentvoller Marinefähnerich, Arthur
Meyer als entsagungsreicher Doktor usw. Dr.
[Heine hatte die Regie. Die Interieurs waren
geschmackvoll, das Tempo der Aufführung zu¬
weilen etwas schleppend. Ein grosser Teil des
Ailltt aus:
ersten Aktes ging wieder durch das zu leise
Sprechen der Darsteller verloren. Nachgerade
4 Mcwt 1 Finanzherold, Frankfurt alw.
wird man wirklich alle Hoffnung auf eine Ab¬
stellung dieses Missstandes aufgeben müssen.
Im Komödienhaus brilliert der neue
Schwankschlager aus der Fabrik Curt Kraatz —
Frankfurter Theater.
Artur Hoffmann, betitelt „So'n Windhund“ Ein
(Schnitziers „Das weite Land“ im Schauspiel¬
Stück, so ganz dem Amüsementstrieb zu Dank
haus. — Komödienhaus: „So'n Windhund“ von
geschiekteste Aufmachung und ein Füllhorn voll
Kraatz 8 Hoffmann.)
Situationskomik. Die Aufführung ist dekorativ
Ein Dichter wie Schnitzler kann sich in
besonders hübsch ausgestattet und wird unter
seinen Problemen einmal iin die Breite verlieren;
der Regie des Herrn Neuburger famos ge¬
er kann, da er in dieltießten Tiefen psychologi¬
spielt. Jenny Valliere als Lina Schwarz
scher Enträtselung dringt, von den Bühnenge¬
entzückt mit ihrer ungezierten Pikanterie und
setzen fernabkommen und die Kraft der plasti¬
Lebendigkeit. Lehndorff als proletarischer
schen Deutlichkeit eidbüssen. Aber sein Schaffen
Parvenü lässt alle Minen seiner wirksamen
bleibt frei von jener gewaltsamen Originalitäts¬
Komik springen. Schönemann in der. Titel¬
sucht der Eulenbergs, Dauthendeys, Scholz und
rolle Ggibt sich elegant, humorvoll und sym¬
ewie sie alle.heissen. Ein Schnitzler braucht sich
pathisch. Die Damen Frêne und Mertens,
nicht in knüppeldicke Mystik, in groteske Joug¬
ferner die Herren Waldmann und Beck
leur-Triks zu verkriechen. Und selbst da, wo
mann zeichnen sich im übrigen Ensemble be¬
sonders aus.
seine Logik brüchig wird, fesselt die Elastizität
in2
seines Geistes und die vornehme Schlichtheit
Schauspiel.
der Form, die sich niemals verirrt, und deren
Das Samstag im Schauspielhause anlässlich
restloses Bestreben die ungewundene Natürlich¬
des 100. Todestages von Heinrich v. Kleist
keit bleibt. Man könnte „Das weite Land“
zum ersten Male zur Aufführung gelangende
vielleicht die Psychologie der Erotik nennen. Die
Trauerspiel „Peuthesilea“ (in vier Autzügen für
Jung-Wiener-Schule hat derartige Versuche öfters
die Bühne eingerichtet von Paul Lindau) ist!
gemacht. Es klingt sogar von Bahrs Konzert
wie folgt besetzt: Peuthesilea: Frl. Rottmann,
so mancher Ton ins „weite Land“ herüber.
Prothoc: Frl. Wulf, Meroe: Erl. Urban, Asteria:
Nur wird hier das Spiel ernster, die Leiden-IFrl. Reubke, Parthenion: Fr. IIm, Phaniag Erl.###
irmen, Glankothoc: Frl. Einzig, Delia: Frl. Hart¬
mann. Charmion:
Frl. Tillmann, Oberprieste¬
rin: Fr. Mondthal, Demefria: Frl. Klinkhammer,
Megaris: Frl. Maren, Achilles: Herr Kirch,
Edrsseus: Herr Pfeil, Diomedes: Herr Bayr¬
hammer, Antilochus: Herr Faber, Adrast: Herr
Krauss, Alexis: Herr Bauer, Alcest: Herr Janssen,
Athenäos: Herr ###ncborg, Philemon: Herr An¬
dresen, Herold: Herr Auerbach.
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