II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 660

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24. Das weite-Land
Riole & beldel
Bureau für Zeitungsausschnitte
berlin 10. 45, Georgenkirchplatt 211
Wer Tag
Zeitung: —

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belum. — -HOrh
„Das weite Land.“
Tragikomödie von Schnitzler.
Residenz=Trr—
Dzeses Stück ist mit dem Namen Otto Brahms verknüpft. Eine
sehteer letzten Inszenierungen galt ihm; sie nahm es sthwer, diskret
unterstreichend — als wäre es von Ibsen. Und diese Inszenierung
irrte und täuschte zugleich.
Denn im Wesen hat Schnitzlers „Weites Land“ nichts mit Ibsen¬
schen Werken gemein. Es ist das Gegenteil von ihnen: es zerfällt
und ist im wesentlichen unklar, weil Schnitzlers weiche Hand sich
scheut, ein Problem zu fassen und es fest zu fassen. Ihn reizt zuerst
die Figur des Mannes, dem alle zufliegen, dann dessen Ver¬
hältnis zur Ehe, dann das zu seiner, dieser besonderen Frau, dann
die Figur dieser Frau, dann locken ihn neue Komplikationen dieser
Fälle noch weiter von dem anfangs eingeschlagenen Wege fort; an¬
statt zu gliedern, zu bauen, häuft er Verwicklungen, türmt sie höher
und immer höher auf — bis er selbst an einem Ende verzweifelt
und sich mit einem Verlegenheitsschluß behilft. Ein Grundgedanke
ist weder klar erkannt noch konsequent bis zum Ende durch¬
geführt — es ist fast, als wollte Schnitzler sagen: Wenn die Leute
nur bis zum vierten Akt aushalten . . . . mit dem fünften ist es
ja sowieso zu Ende. Wie wenig Schnitzler irgendeines der ange¬
schlagenen Themen als richtunggebend angesehen hat, erhellt blitz¬
artig jener kleine Satz im dritten Akt: „Die Seele ist ein weites
Land“. Eine Weisheit, die nichts enthält, aber jede Deutung zu¬
läßt; die wohl ein Thema für eine Programmusik sein kann, weil
sie unendliche Variationen erlaubt, aber nicht für ein dramatisches
Werk, das nicht in die Breite, sondern in die Höhe wachsen soll.
Und doch greift Schnitzler in dieser Tragikomödie (es ist keine,
trotz der aufgesetzten humoristischen Lichter) tiefer und fester als
gewöhnlich; man spürt allerlei Ansätze, wenn sie ihm auch unter den
Händen zerfließen. Schließlich gilt von ihm, mutatis mutandis,
jenes Wildesche Wort über die Frauen: „Sie haben nie etwas zu
sagen, aber sie sagen es entzückend“. Es ist auch hier so viel
Melancholisches, Bittersüßes, so viel Grazie — kurz, so viel Wiene¬
risches, daß man über der Begleitmusik zu diesem Liede fast vergißt,
daß weder ein Text noch eine Leitmelodie vorhanden ist.
Brahms Inszenierung konnte irritieren; die des Residenz=Theaters“
gab sich nicht mit dem Versuch ab. Sie nahm das Werk in gewissem
Sinne stilgemäß: sie spielte sich von Akt zu Akt fort. Man hatte sich
wiederum alle möglichen Namen als Darsteller geholt — weshalb
nicht endlich einmal einen Regisseur? Es hieße Arnold Korff
unrecht tun, wenn man ihn verantwortlich machen wollte, obwohl
er als verantwortlich zeichnete; der Hauptdarsteller kann nicht sein
eigener Regisseur sein. Dem Darsteller kann man viel Gutes nach¬
sagen; er war liebenswürdig, vornehm, sympathisch, war ein echter
Wiener und fand auch herzhaftere Töne, als man sie bisher von ihm
hörte. Aber zu dem Friedrich Hofreiter fehlte ihm das Irrlichte¬
lierende, das Flackernde und Faszinierende. Irene Triesch spielte
wie unter Brahm die Frau Genia mit ihrer quälenden Psychologie,
Rosa Bertens fand Töne kraftvoller Verhaltenheit, Gertrud Weiker
spannte, ohne doch Versprochenes zu erfüllen — man könnte noch
einige Namen nennen, um dann einige nicht zu nennen. Der Bei¬
fall war wie immer im Residenz=Theater exakt und kräftig; es schien
jedoch, als ob sich Korff nun auch hier eine wohlverdiente Gemeinde
erworben hat.
Kourad Elert.
Rlole & Seidel
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Zeitung Berliner Morgenpost
Berlin
Ort:
Datum:eeetessseseeseeeeeeseeseeeneres 1
00.192


„Das weite Land.
Residenz=Theater.
Arthur Schnitzler leuchtet in dieser Tragi¬
mödiehat sie seit mehr als einem
ahrzehnt, da sie bei Brahm erschien, nicht ge¬
zen — tief #hdie Seelen einer Gesellschafts¬
Sicht, deren merstes Wesen kein anderer Dich¬
r so zu zechliedern versteht. Es ist ein weites
ind, die ###sche Sphäre dieser Wiener Ober¬
icht von Handelsherren, von Literaten, Offi¬
fren, Künstlern und eleganten Nichtstuern, all
eser Männer und — ihrer Frauen. Aeußere
errektheit ersetzt ihnen das Gefühl, und Lebens¬
nuß ist das unausgesprochene, aber einzige
el, um dessentwillen das Dasein lohnt. Man
gt eine untadelige Fassade, aber dahinter
ftet schwül und betäubend der Sumpf. Deka¬
nz einer Schitch, die von der seither herein¬
brochenen weltgeschichtlichen Tragödie wohl
ou zermürbt, zersprengt, zerrieben worden ist,
aber darum in dem Spiegel, den der Dichter
mit ungemein subtiler Einfühlungskunst vor¬
t, um so echter, fast schon historisch wirkt.
gnn und Weib betrügen hier einander beinahe
sie Scheu, und das Wissen davon stört kaum
8 Gemeinschaftsleben. Junge Mädchen der so¬
nannten guten Gesellschaft leben sich aus, und
skalte Egoisten pflücken, erfüllt von dem Glau¬
n an ihr Herrenrecht, herzlos jede Blüte, deren
uft sie berauscht, und die sich selbst verlangend
in Rausch ergibt.
Der unter glatter Liebenswürdigkeit heiß
mmernde Dunstkreis der Sinne und die un¬
delhafte Welt des Raketts und der Bügelfalte
reinen sich hier zu einer Handlung, die tän¬
lnd und spielerisch mit meisterhafter, darum
n so unmerklicherer Technik dahingleitet, und
#r wohl nur durchweg gleichwertige Darsteller
ll gerecht werden können. Die Rotterbühne
irmag einige ganz starke Könner ins Treffen zu
hren; daß daneben Unzulänglichkeiten Theater
ielen, würde der in großem Umriß recht guten
ufführung Abbruch tun, wenn nicht die Regie
rnold Korffs geschickt die darstellerischen
lößen, so gut es geht, zu verdecken wüßte. Und
er Regisseur Korff kann Ich auf keine bessere
tütze verlassen als auf den Schauspieler Korff,
er als Fabrikant Hofreiter mit einer im besten

inne virtuosenhaften geistigen Beweglichkeit
lle Regungen der Seele dieses kalten und be¬
echnenden, aalglatten Genüßlings zum Ausdruck
ringt. Neben ihm als Genia Irene Triesch,
alb beherrscht, halb zerflatternd im steten
kampf mit ihrer Leidenschaft, ihrer Hoffnung,
hrem Hunger nach Glück und ganz stark im
itzten Aufschrei des weiblichen Gefühls. Rosa
zertens gibt die Mutter des im Duell ge¬
allenen Fähnrichs mütterlich und abgeklärt, er¬
reifend in der letzten Szene, da sich zwischen
er Ahnungslosen und Hofreiter unsichtbar das
bespenst des erschossenen Sohnes aufrichtet.
franz Schönfeld elegant und weltgewandt
die immer, Gisela Schneider=Nissen voll
nausdringlichen Humors, Heinrich Schroth
nd Josef Klein stehen gleichfalls ganz auf der
Moritz Loeb.
öhe ihrer Aufgabe.
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