II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 14

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23 ## Schlefer der Pierrette
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L Jaterr. bebördl. konz. Unternehmen für Zeitangs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiante.
denf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minnespoltz
v-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockbolm, S# P
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burg, Toronto.
(g —.
zsschnitt aus:
24. MUJAN. 1910gpblet1
vom:
Theater und Kunst.
„Der Schleier der Pierette“.
Nach SchnißtersDer Schleier der Beatrice",
ohnanyi, Samstag zum
erstenmal in der Dresdner Hofoper.)
Dresden, 23. Jan.
Bei Dohnanyis musikalischer Pantomime
ist von Schnitzlers Werk nicht viel mehr übrig ge¬
blieben, als das Skelett der Handlung. Aus der
Tragödie des Dichters Filippo Loschi und der
jungen Beatrice, der schönen Tochter des Bologneser
Wappenschneiders, wurde das Schicksal Pierrots
und der Pierrette. Aus dem von Cesare Borgia
bedrohten Bologna des Cinquecento werden wir ins
alte Wien der Biedermeierzeit geführt. Pierrot,
Pierrette, Arlechino heben sich mehr dem Namen
als ihrem Wesen nach aus dieser Umgebung hervor.
Von ihrer Hochzeit mit Arlechino kommt Pierrette
in Myrtenkranz und Schleier zu ihrem geliebten
Pierrot, um vereint mit ihm zu sterben. Doch als
sie das Glas mit dem Gifttrank an die Lippen
setzt, verläßt Pierrette die Kraft, sie läßt es fallen
und vor der Leiche des Geliebten von Entsetzen ge¬
packt, eilt sie davon. Auf dem Hochzeitsfeste hat
man sie vermißt. Der eifersüchtige Arlechino be¬
merkt, daß sie ihren Schleier verloren hat. Sie
aber glaubt den toten Pierrot mit dem Schleier zu
erblicen und eilt ihm halb bewußtlos nach Arlechino
jolgt ihr. Sie kommen in Pierrots Wohnung an
sund finden den Schleier und den toten Pierrot,
den Arlechino anfangs nur für betrunken hält.
Von wahnsinniger Wut gepackt, begient er ein teuf¬
lisches Spiel mit dem Toten. Er setzt ihn aufrecht
an den Tisch, trinkt ihm zu und zwingt die fast
ohnmächtige Pierrette, an dem furchtbaren Gast¬
mahl teilzunehmen. Dann schließt er sie mit dem
Leichnam ein und geht. Nun bricht der Wahnsinn
bei Pierrette aus. Sie beginnt zu tanzen, tanzt
und tanzt, bis sie zusammenbricht. Die herein¬
dringenden Freunde Pierrots finden sie tot.
Ernst von Dohnanyi hat es, wie Dr. Ernst
Neufeldt in den „Dresd. Neuest. Nachr.“ ausführt,
klug und geschmackvoll verstanden, das malende Ele¬
ment der Musik für seine Zwecke zu verwenden.
Von Einzelheiten seien nur die überaus graziösen
und reizvollen Tänze erwähnt, die bald fröhliche
Harmlosigkeit, bald Verzweiflung, endlich den an¬
hebenden Wahnsinn malen. Die Differenzierung der
Instrumente, die ja die eigentliche Instrumen¬
tierungskunst ausmacht, ist bewunderungswürdig.
Die Aufführung, unter v. Schuchs Leitung,
war, was den musikalischen Teil anbelangt, über
jedes Lob erhaben. Wie er den Walzer des zweiten
Bildes ansetzt, wie er die Zwischenattmutt zum
dritten Bilde auf einen mächtigen Gipsel hinan¬
reißt — das ist ganz unerhört Immer wieder
konnten Schuch und Dohnanyi inmitten ihrer Dar¬
steller erscheinen. Die Hauptrollen lagen in den
Händen
des Frl. Tervani und der Herrens
Sbt und Trede.
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Telephes 12.821.
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I. österr. beherdl. konz Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wier, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Chrtstianta,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Malland, Minneapolts,
New-Vork, Paris, Rom, Sau Francisco, Stockholm, St. Petens¬
burg, Toronto.
(Qualien angabe ohss Oerühr.
Ausschnitt aus: 24 1 1976 :
vom:
Leipziger Neueste Nachrichten
Theater und Mulik.
Der Schleier der Pierrette. Pantomime in drei Bildern von
Arthur Schnitzler. Musik von Ernst von Dohnanyi. Ur¬
aufführung im königlichen Opernhause zu Dresden am 22. Januar.
(Telegramm unseres Dresdener musikalischen Mit¬
arbeiters.) Der als Klavierspieler und Komponist von Konzert¬
musik gut bekannte, in Berlin lebende Ungar Ernst von Dohnanyi#
betrat mit der Uraufführung der Pantomime „Der Schleier der Pier¬
rette“ zum ersten Male das Reich der Bühne. Der Vorgang beruht
auf einigen Szenen des dritten, vierten und fünften Aktes des Schau¬
spieles „Der Schleier der Beatrice“ von Schnitzler und ist vom Dichter
vor etwa sechs Jahren für die Pantomime zurecht gemacht worden.
Leiber, muß man sagen. Denn aus der Menschlichkeit des Schauspiels
ist ein schauerlicher Bühneneffekt geworden, eine Handlung, die mit
Grausen erfüllt. Pierrots Geliebte soll heiraten. Am Hochzeitsabend
läuft sie ihrem Bräutigam Arlekino davon in die Arme des Geliebten.
Sie bringt ihm Gift, damit sie beide gemeinsam in den Tod gehen
können. Pierrot trinkt, sie aber schandert vor dem Tode zurück und
begibt sich wieder auf die Hochzeit. Dort erscheint ihr der tote Pierrot
mehrmals als Geist. Sie muß ihm folgen. Der Bräutigam geht ihr
nach. In der Wohnung Pierrots findet er den Toten. Nun zwingt
er die Braut, mit dem toten Geliebten an einem Tische zu sitzen und
ihm zuzutrinken und schließt sie mit dem Leichnam zusammen in das
Zimmer ein. Das arme Weib wird wahnsinnig, tanzt vor der Leiche
des Geliebten einen schrecklichen Tanz und sinkt tot nieder. Der Vor¬
gang ist wohl das Fürchterlichste, was je auf der ernsthaften
Bühne geboten worden ist, und der Gedanke, daß die Nerven¬
stücke französischer Herkunft, die vor etwa acht Jahren die Haare
sträuben machten,
Schnitzler beeinflußt
haben
könnten,
drängt sich auf. Was die Musik zu geben hat, verrät viel Talent,
sowohl allgemein musikalisches als auch speziell für die Anforde¬
rungen der Bühne. Die Handlung bietet an sich Abwechselung, und
diesen verschiedenen Stimmungen hat sich Dohnanyi durchaus ge¬
wachsen gezeigt. Die schwungvolle Tanzmusik bei der Hochzeit atmet
Lust und Freude. Ein Walzer mit so viel Glut und stürmendem Tem¬
perament ist lange nicht dagewesen. Doch der Bräutigam zerbricht
wütend die Instrumente der Musiker, und nun spielen diese mit ihren
verstümmelten Instrumenten einen furchtbaren Galopp, ein Stück Höl¬
lenmusik, das einem Berlioz Ehre gemacht haben würde. Die Unter¬
malung der grausen Vorgänge legt sich naturgemäß besonders schwer
auf die Nerven, und das letzte Bild, das ganz davon erfüllt ist, ist
herzbeklemmend niederdrückend. Diese schwermütigen Momente durch¬
ziehen das ganze Stück. Hier zeigt sich etwas der Neuling, doch hat
die Musik Schwung und vor allem sehr viel Leidenschaft. Auch ist sie
gut aufgebaut, zeigt an einzelnen Stellen gut fesselnde Polyphonie und
hat, was vor allem zu schätzen ist, lange Linien. Sie zerfällt nicht.
Ein paar hervorstechende Leitmotive legen sich schnell ins Ohr. Die
lebenssprühende Dirigierkunst Schuchs brachte die Musik wirkungs¬
voll zur Geltung. Die Hauptrolle, die Pierrette, gab Irma Ter¬
vani. Ihr Körper war sehr ausdrucksvoll, ihr Mienenspiel ein klein
wenig hart in der Angst. Man konnte kein rechtes Mitleid mit ihrem
Geschick haben. Doch riß sie das Publikum zu lebhaftem Beifall hin,
der auch außer dem der Vorstellung beiwohnenden Komponisten und
dem Dirigenten, den verständnisvoll agierenden Herrn Soot (Pierrot)
und Trede (Arlekino) galt.
Th.