II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 127

23. Der Schleier der Pierrette
Telephen 12.801.
„ODSERTER
1. Saterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplats 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolts,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petess¬
burg, Toronto.
(Oselenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus
Mten ene sleg
van: töhn. 1910.. Sorlig.
H. Leipzig, 24. Oktober. Nun hat auch unser Publikum die
Pantomime Der Schleier der Pierrette kennen gelernt, die
in der vergangenen Saison bei den Vorstellungen in der Dresdener
Hofoper einiges Aufsehen erregte. Sie nimmt, wie ein großer Teil
der modernen Bühnenwerke, die Nerven der Zuschauer gehörig mit.
Der Inhalt ist nämlich kurz folgender: Pierrette soll den alternden
reichen Arlechino heiraten, liebt aber den Pierrot. Sie schleicht sich
vom Hochzeitsfeste weg in die Wohnung Pierrots, um mit ihm nach
einem letzten Liebesrausch in den Tod zu gehen. Pierrot schlürft auch
den giftigen Trank, doch Pierrette schreckt im letzten Augenblick davor
zurück. Sie erscheint wieder auf dem Feste und sieht nun überall das
Bild des toten Geliebten. In seiner Hand gewahrt sie auch den
Brautschleier, den sie in seiner Wohnung liegen ließ, und
den der argwöhnische Bräutigam sofort vermißt.
Seine
drohende Frage und Pierrots Geist treiben sie in die Wohnung
zuruck. Arlechino folgt ihr auf dem Fuße, begreift angesichts
der Leiche das Geschehene und schließt Pierrette in das Totenzimmer
ein. Jede Flucht ist ihr versperrt, Wahnsinn befällt sie, und nach
einem konvulsivischen Tanz um die Leiche des Geliebten sinkt sie ent¬
seelt zu Boden. Der grauenhafte Gesamteindruck diesen=Schnitzle
schen Tragödie wird durch die Musik Ernst v. Dohnc### nicht i¬
mildert, die alle Vorgänge und Stimmungen treulich charakterisiert
und illustriert. Der Komponist, durch gediegene Kammermusik und
auch als ausgezeichneter Pianist uns wohlbekannt, hat zwar keine
originale Erfindung, aber eine starke koloristische Kunst aufgeboten,
um die Wirkung dieser Szenen namentlich nach der dramatischen
Seite hin zu steigern. Seine an Wagner und Richard Strauß an¬
knüpfende Tonsprache bezeigt Phantasie und gediegenes Können.
Ob
freilich mit solch langen und grauslichen Pantomimen
das
Publikum für die
künstlerische
Erneuerung dieser
Kunstspezies
zu
gewinnen sein wird,
dünkt uns auch
nach der beifalligen Aufnahme des Schnitzler=Dohnänyischen Werkes
noch fraglich.
Mit der Premiere der Pantomime verband sich
die einer mehr als siebzig Jahre alten Oper. Den weitaus meisten
Theaterbesuchern wird Halsvys komische Oper Der Blitz jedenfalls
völlig neu gewesen sein, denn der letzte Wiederbelebungsversuch, der
mit ihr in Leipzig, Wien und an anderen Orten gemacht worden ist, liegt
gut dreißig Jahre zurück. Nach dem Ausgange des jetzigen noch¬
maligen Versuches wird sie wohl endgültig begraben werden. Das
harmlose Singspiel=Libretto wirkt gar nicht mehr, und auch die Musik
hat den Duft ihrer besten Stücke eingebüßt. Die chorlose Oper weist
nur vier Partieen auf,
aber eine jede fordert stimmliche
Schönheit und Gesangskunst von dem Ausführenden. Welche
mitgliederreiche Opernbühne der Gegenwart nennt zwei Tenoristen
ihr eigen, die diesen doppelten Anspruch erfüllen? Während
hierorts in der Pantomime die für eine Opernsängerin sehr geschickte
und eindrucksvolle Leistung des Frl. Sanden hervortrat, machte sich
in der Oper keine der solistischen Darbietungen besonders vorteilhaft
geltend ... Auch im Neuen Operetten=Theater gab es unlängst eine
Novität, das Alt=Wiener Singspiel Brüderlein fein von
Julius Wilhelm und Leo Fall. Der ursprünglich für das Kabarett
geschriebene, nach dem Erfolge auf diesem Terram für die größere
Bühne ausstaffierte Einakter ist ein einfältig=liebenswürdiges
Stückchen, dem die hübsche Musik Falls und eine sehr glückliche
Darstellung auch hier zu sehr ansprechender Wirkung verholfen.
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Telephen 12.901.
„ODSENTER
I. österr. bebördl. konz. Unternehmen für Zeitunge-Assestaiite
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
In Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Chrtsttants.
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolts,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholen, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Ossbenangabe ohne dewührt.
Ausschnftt aus:
Signle fr 6ie
mur nand Welt
vom:
a
Musikbriefe
aus
Leipzig, München, Wien und London.
Leipzig,
(Schnitzler-Dohnányis „Schleier der Pierrette“ und
21.—27. Oktob.
Halévys „Blitz“, Aufführung von Händels „Deborah“
durch den Riedel-Verein als I. Konzert der Musi¬
kalischen Gesellschaft. I. Böhmen-Abend mit Alice Ripper. Musik¬
Ausstellung D. Rather-Willi Rehberg. Der Neue Leipziger Männer¬
gesangverein. Kompositionsabend von Botho Sigwart. Konzerte
von Olga von Türk-Rohn, Lotte Kreisler, Mischa Elman, Prof. Wal¬
demar Meyer und Dr. Mark Günzburg und von Willi Burmester und
Emeric von Stefaniai. Das vierte Gewandhauskonzert: Mozarts Esg
dur-Symphonie, Wilh. Bergers „Variationen und Fuge“ als Novität;
und Lieder von Brahms und von Wolf, gesungen von Elena Gerhardt.)
Den himmelschreienden Schreckensweibern der modernen Opernbühne, der Sa¬
lome und Elektra, ist in Schnitzlgr-Dohnánys Pierette ein Schwesterchen erstanden, ##
das, ob es gleich stumm ist, seine Familienzugehörigkeit mit todheischender Liebe
und ekstatischen Leichentänzen deutlich genug bezeugt. Die in der Händlung
etwas allzubreit aber ungemein effektkundig angelegte und in der begleitenden
Musik ohne hervorragende Originalität zu einem hinsichtlich der Ausdrucksgewalt,
des stonsetzerischen Geschickes und der farbenreichen Instrumentierung bedeutend
wirkenden Kunstwerke ausgestattete Pantomime in drei Bildern „Der Schleierg
der Pierrette“ ist bei ihrer von Kapellmeister Pollak geleiteten, von der
Balletmeisterin Grondona inszenierten vortrefflichen hiesigen Erstaufführung,
um die sich als rühmenswerte darstellerische Interpreten der drei Hauptrollens
Frl. Sanden (Pierrette), Herr Klinghammer (Pierrot) und Herr Kase (Arlec¬
chino) verdient machten, mit vielem Grauen, einiger Freude an den hübschen,
Tanzstücken und lebhaftem Beifall aufgenommen worden. Dankbarer Hinnahmen
begegnete auch Halévys etwas antiquiert-liebenswürdige Quartettoper „Der¬
Blitz“, obgleich die Herren Kapellmeister Conrad und Regisseur Marion den#
wohltätigen Blaustift zu spärlich gebraucht hatten, und Frl. Merrem (Mad
Darbel), Frl. Eichholz (Henriette), Herr Jäger (Lionel) und Herr Schrotk#
(Georg) die für dieses Werk geradezu lebenbedingende anmutvolle Leichtigkeit der
Singens und des Darstellens stellenweise vermissen liessen-