II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 339

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23. Der Shleiender- Bierrette
durch ein Hindernis aufgehalten. Wahrend | 4#.
Und wenn Frau Alice Coonen, die Pierrette, mehr wäre
Tairoff=Theater.
als die reizvolle, zur Begabung entschlossene Frau, die sie
ist, nämlich eine Persönlichkeit, wäre der Abend unter einem
„Der Schleier der Pierrette.“
ganz besonders freundlichen Sowjetstern gestanden.
Das ist eine, hier schon gespielte, zart dramatische Pan¬
Tairoffs Pantomimen=Bühne ist sehr schlicht. Ihre
tomime von Schnitzler, mit Musik von Dohnanyi.
Pointe sind die lotrecht gespannten Stricke, entleibte Säulen,
Pierrot, die bekannte Figur aus Mondschein, Reismehl und
die den Raum ungemein luftig gliedern. Dem Szenenbild
etwas himbeerfarbenem Herzblut, liebt Pierrette, weil sie aus
geben diese Stricke zwar bißchen das Aussehen eines „verreg¬
den gleichen Substanzen ist. Doch können sie einander nicht
neten“ Films, aber sie geben auch die Illusion gespannier
gehören, denn Pierrette ist Arlechinos Braut. „Was sollen
Saiten, durch die die Pantomime harft. Mit Licht=Stimmungen
wir tun?“ mimt sie, „wir haben kein Geld“. Ich muß in der
wird gespart. Selbst Pierrots Geist entlockt dem Scheinwerfer
Partitur nachlesen, wie Dohnanyi das musikalisch ausdrückt.
nicht das blasseste Strählchen. Das tänzerische Geschick der
Das Liebespaar beschließt, Gift zu nehmen. Pierrot trinkt
Spielenden, insbesondere der Herren, ist groß, musikalisch
zuerst, der Mann ist immer die Wurzen, Pierrette, natürlich,
fließende Bewegung, Posen wie in die Luft geschnitzt, Gebärden
bringt keinen Tropfen über die Lippen. Da schlägt er ihr,
von hoher Anmut loben Tairoffs Schule der Geläufigkeit sämt¬
sterbend, das Glas „verächtlich“ aus der Hand. Warum ver¬
licher Gliedmaßen. Nicht nur die Solisten, alle sind mimisch an
ächtlich? Schöner wäre es, wenn er ihr das Glas liebevoll
den Vorgängen lebhaft beteiligt und dem Rhythmus mit jeder
aus der Hand schlüge, noch mit seinem letzten Athem zwischen
Muskel ergeben. Beachtenswert, wie sie Gemütsbewegung in
den Tod und die schwache Gefährtin träte. Im zweiten Bild
Körperbewegung umsetzen ohne eigentlich zu spielen (wie das
wird Hochzeit gefeiert, Pierrots Geist erscheint der tanzenden
törichterweise Kino=Darsteller oft tun, im Film Über=Panto¬
Pierrette, und sie muß ihm folgen. Im dritten Bild läßt
mime treibend, obgleich jener eine ganz andere Art der Ge¬
der rachsüchtige Arlechino die Braut mit dem Toten allein.
bärdensprache will als diese, denn er supponiert taube Zu¬
Da wird sie irre und tanzt was sie kann (im gegebenen Fall
schauer, die Pantomime aber stumme Schauspieler.
ist das nicht viel), bis sie hinsinkt und vergeht.
Der Unterschied ist sehr groß.)
Diesen zierlich spukhaften Vorgängen schmiegt sich Dohna¬
Herrn Rumneffs Pierrot, leichter als Luft, bezaubert
nyis gefühlvoll und auch witzig pointierende Musik enge wie
durch die morbide Anmut, durch das Fliehende, kaum den
nasses Trikot an. Im Schnitt ist es wohl schon bißchen alt¬
Boden Streifende seines Spiels. Er weht nur so dahin, und
modisch.
noch als Toter fällt er melodisch vom Sessel herab.
Pantomime scheint die Kunstform, in der die Grundsätze
des Tairoff'schen Theaters am reinsten sich auswirken können.
„Das Gewitter“
Hier ist ganz sinngemäß alles Bewegung, Tanz, Expression,
von Ostrowsky, ein auch im alten Rußland oft gespieltes
das Geistige bleibt Nebensache. — Alles hat eine natür¬
Volksstück, ist ein schlichter dramatischer Beitrag zum Thema
liche Unnatur, die von Geburt her mit Stil behaftet ist,
„Väter und Söhne“. Die arme Katerina, ihres Anspruchs auf
und sich der gesteigerten Geste als ihrer Muttersprache be¬
Liebe und Glück im Innersten gewiß, aber zu schwach und hilfe¬
dient. Es war auch, obgleich im Ganzen wunderlich zahm
los, um ihn durchzutrotzen, bezahlt eine kurze Auflehnung gegen
und verhalten, stellenweise sehr reizend, durchgearbeitet bis
das Moralgesetz mit ihrem Leben. Kenner rühmen den lied¬
in's Kleinste, intensiv bis in die Fingerspitzen der Akteure.
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