II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 118

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Mseenasche danmn nmeh, als Leiene dem Maraue¬
läßt, er wolle auch fürder nicht absteyen, nach seinem
von Valois sich antrauen ließ, ohne ihm jedoch anzu¬
Leben zu trachten.
gehören, da er unmittelbar darauf mit einer geheimen
Das Burgtheater setzt sich mit voller Macht für
antinapoleonischen Sendung auf Schleichwegen zu den
das trotz aller Einwendungen interessante Werk ein.
Getreuen des Herzogs von Valois nach Frankreich
Es sorgt nicht allein für das erforderliche Massen¬
verreisen mußte. Wohl stürzt der wahnwitzige Me¬
aufgebot an Darstellern (Baumeister, den Patriarchen
dardus mitten in den Familienrat der Valois hinein,
des Theaters, ausgenommen, sind sämtliche Mit¬
um seine Absicht zu verwirklichen, die Prinzessin zu
glieder dieser Bühne, an siebzig Personen, in
demütigen. Doch der hohe Sinn der Prinzessin „Medardus“ beschäftigt!), sondern auch für eine stil¬
schüchtert ihn ein, und er muß unverrichteter Dingelechte, das Biedermeiermilien ganz unvergleichlich an¬
abziehen.
heimelnd wiedergebende dekorative Illustrierung der
Inzwischen drängen die Ereignisse in Wien, erhöht
siebzehn Mal wechselnden Schauplätze. Der Regie ist
sich das Fieber und die Unruhe, die Pein der Be= eine Aufgabe gestellt, wie sie in diesem Umfange noch
völkerung, die von Nachrichten vom Kriegsschauplatze
selten zu bewältigen war, und sowohl der unermüd¬
abgeschnitten ist und nur auf Umwegen zweifelhafte
liche Regisseur Hugo Thimig wie der geheime
Berichte empfängt. Die belagerte Stadt mit all dem
Inspirator der Regie, Baron Berger, haben
Wirrwarr, mit all der Sorge, Hoffnungsseligkeit auf
überaus Anerkennenswertes geleistet. Lohnende dar¬
auf der einen und Verzweiflung auf der anderen
stellerische Aufgaben gibt es überhaupt nur drei.
Seite wird in buntbewegten Bildern geschildert.
Die Darstellerm der Prinzessin Helene, Fräulein
Ueberall und überall zeigt sich der Schatten Napoleons,
Wohlgemuth, überraschte durch die innere Hoheit, durch
erscheinen die Vorzeichen der großen Ereignisse, welche
den vornehmen Ausdruck ihrer Empfindungen und die
dem Frieden von Schönbrunn, den Oktobertagen
noble Haltung. Dem Medardurs leiht Herr
des Jahres 1809 vorangingen. Die Wiener Sturm¬
Gerasch das aufbrausende Wesen, das pochende
und Drangperiode mit den Barrikaden, mit dem Ge¬
Herz, alle Energie und Entschlossenheit
tümmel in den Straßen, mit der dumpfen Gährung
und doch
wird er mit seiner sich förmlich im Kreise herum¬
der Massen erscheint förmlich plastisch. Eine Insel
bewegenden Rolle schließlich etwas monoton. Frau
in dem aufgepeitschten Meere bildet das Haus des
Medelsky war eine holdselig=traurige Agathe, Frau
Herzogs von Valois, einen Ruhepunkt. Der Herzog
[Römpler=Bleibtren eine schmerzbewegte, kraft¬
ist blind und merkt auch nicht, was um ihn herum
voll=entschlossene Mutter. Herr Hartmann war als
vorgeht, schürt die Verschwörung gegen Napoleon und
blinder Herzog so recht die Prachtfigur eines französi¬
ist noch immer erfüllt von der Hoffnung, daß ihm die
schen Edelmanns. Herr Arndt war rührend in der
Krone aufs Haupt gesetzt würde. Einige seiner Ge¬
Rolle eines gramgebeugten Arztes.
S. L.
treuen fallen ab, so sein Leibarzt, doch Helene hält
Ueber die Aufnahme, welche das Werk bei seiner
das Panier in festen Händen. Da erscheint Napoleon
gestrigen Uraufführung im Burgtheater gefunden hat,
vor den Toren Wiens, besetzt Schönbrunn und ent¬
berichtet uns eine Depesche unseres Korrespondenten:
bietet dem Herzog und ganz besonders der Prinzessin,
Schnitzlers „Medardus“ interessierte. Die Aufnahme
nunmebrigen Helene von Valois, seinen Gruß. Er
war sehr freundlich. Schnitzler wurde wiederholt,
lädt sie zur großen Cour in das Lustschloß des
Kaisers Franz.
gerufen, im zweiten Teil ließ der Erfolg nach.
Sie wird des Franzosenkaisers
Geliebte — die Handlung läßt lange in Zweifel, ob um
die volle Repatriierung der Valois zu erlangen oder um
aus einer Zärtlichkeit eine tötliche Umarmung zu
machen. Medardus erfährt von dem vertrauten Ver¬
hältnis zu Napoleon und sticht den für den Korsen
bestimmten Dolch Helenen in die Brust, just als sie
über die große Freitreppe des Schönbrunner Schlosses
zu dem Ujurpator sich begeben will. Medardus wird
verhaftet, fieht gefaßt seinem Tode entgegen, doch
plötzlich erscheint General Rapp, der Abjutant des
Franzosenkaisers, um ihm seine Befreiung und den
Dank Napoleons dafür zu melden, daß er ihn vom
sicheren Tode gerettet habe, da erwiesenermaßen
Helene von Valois nach seinem Leben getrachtet hat.
Medardus aber verzichtet auf die Freiheit und bekennt,
daß er selbst die Ermordung Napoleons beabsichtigt
hatte, und verweigert auch das Bersprechen, niemals
wieder einen ähnlichen Gedanken zu fassen. (!!)
Nun entscheidet rasch, kurzerhand der Franzosenkaiser,
der in Schönbrunn residiert, daß Medardus füsiliert
werde, befiehlt aber, daß er mit allen Ehren begraben
werde, „als der letzte und seltsamste Held dieses
Krieges“.
Die hier erzählten Vorgänge bilden nur sozusagen
einen Extrakt der Handlung. Es ist ja ein über¬
quellender, gigantischer Stoff, welchen sich Schnitzler
zurechtgelegt hat, ein Stoff, der in seiner Ueberfülle
der Oekonowie des Dramas spottet. Eine Fülle von
rührenden Details ist gleich Frühlingsblüten in das
düstere Werk hineingestreut. So zählt zu dem
Anmutigsten, was Schnitzler geschaffen, die liebe,
sympathische, herzbewegende Figur der verzichtenden
Anna, die förmlich im Schatten des Medardus steht.
Von bezwingender Eigenart ist der neunzigjährige
Ururgroßvater, der alles um sich her sterben sieht, schon
halb schwachsinmg ist, und dem mit der Zeit alles
gleichgültig ist! Welche prächtige, kernfeste Figur,
der Sattlermeister Eschenbacher, einer der historischen
Märiyrer aus den Napoleontagen Wiens, der, weil er
zwei Landkarten versteckte, zum Tode verurteilt wurde.
Roman und Drama reichen sich in dieser Historie die
Hände, nur daß die Romanhand die ungleich stärkere
ist, so daß sie fast die andere zerdrückt... Nament¬
lich das eigenartige Verhältnis Medardus=Helene ent¬
behrt der Motivierung und des kräftigen dramatischen
Pulsschlages. Wie denn überhaupt der sehr passive
Held etwas im Halbdunkel steht und sich durch seine
schwankende, mitunter rätselhafte Haltung die ihm
anfangs zuströmenden Sympathien verscherzt. Der
Tollkopf, der ausgeht,
um die Stolze
züchtigen, der Schande
preiszugeben und
dann in ihre Netze verstrickt, seine kühne
Idee zu Boden wirst, weil er in Liebesbanden
schmachtet, dann wieder aus Empörung darüber, daß
Helene ihn zum Mörder an Napoleon dingen!
will. —
All das ist so unklar und unwahr¬
scheinlich, daß man über die Psyche der einen wie der