box 26/7
M.
22. bejungdardus
—
□66
„ OBSEKVEN
I. österr. behördl. konz. Unternehmen
für Zeitungs-Ausschnitte und Bibllographlen
Wien, I. Concordiaplatz 4
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genk,
Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minne¬
apolis, New-York, Paris, Rom, Fan Francisco,
Stockholm, St. Petersburg
(Quellenangahe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
-8 4 1911
vom:
cra
Theater und Kunst.
42
Hinter den Kulissen.
(Der Realismus beim Essen. — Das Bühnennachtmahl. — Die hungrigen
Hofschauspieler. — Wenn die Reihe herum ist. — Der splendide Direktor.
— Ein Dichter, der nur für geistige Speise sorgt. — Die Konzession und
ihre Folgen. — Die tschechische Wienerin.
— Ein Sprachenproblem. —
Die guten alten Operettenzeiten.)
Die Schauspieler schwärmen am meisten dann für Natürlich¬
keit, wenn es sich darum handelt, daß auf der Bühne gegessen
werden soll. Die kachierten Speisen gehören schon mehr zum
Requisit der Provinzbühnen, doch in Wien legt man Wert darauf,
eßbare Sachen zu servieren. Freilich wird auch da mit Surro¬
gaten gearbeitet, und es gibt eine eigene Zuckerbäckerkunst, die
sehr täuschende Austern, Pasteten und Geflügelsorten herzustellen
weiß. In der Hauptsache aber wird echter Schinken vorgesetzt,
den die Darsteller mit mehr oder weniger Appetit verzehren.
Stücke, in denen gegessen und getrunken wird, sind bei vielen
sehr beliebt. Sie soupieren dann einfach auf der Bühne und er¬
sparen das Nachtmahl. Zuweilen entsteht auch ein kleiner Streit,
weil einer dem anderen die besten Stücke wegzunehmen pflegt.
Die Schwärmerei für Echtheit hört nur in dem Moment auf, wo
Gift in Frage kommt.
Im Burgtheater haben sie jetzt ein Werk auf dem Repertoire,
worin es viel zu essen gab. Das ist der „Junge Medardus“
von Schnitzler. In dem Akt, der auf der Bastei spielt, erscheint
Frau B#eiotten mit einem Einkaufskorb und verteilt Eßwaren an
die Bürgergarde. Gleich bei der Premiere tauchte nun die
lnstige Idee auf, hier mit starkem Realismus einzusetzen. Be¬
kanntlich dauert das Stück fünf Stunden und alle Daesteller
nahmen nun ins Theater einen kleinen Imbiß mit, um ihrem
Hunger vorzubeugen. Nun sollte diese Verproviantierung im
Großen geschehen. Es wurde der Beschluß gefaßt, daß bei jeder
Vorstellung immer ein anderer für Eßwaren aufzukommen habe.
Zuerst kam Frau Bleibtreu und verteilte aus ihrem Einkaufskorb
auf der Bastei Knackwürste und Brot. Sie reichte jedem eine
Gabe und achtzig Personen taten sich an der Spende im Zwischen¬
att gütlich. Bei der nächsten Vorstellung spendete Herr Reimers die
nötigen Würste und die Greisler der Umgebung bemühten sich, ihre.
Hoftheaterkundschaft aufs beste zu versorgen. Nun ist der „junge
Medardus“ aber ein Zugstück geworden, und bald war die Zahl
der Spender erschöpft. So oft das Stück angesetzt war, kam die
Frage: „Wer wird heute das Nachtmahl bezahlen?“ Sogar Baron
Verger, dem man von dieser Verproviantierung erzählt hatte,
stellte sich zur Verfügung und ließ einmal auf seine Kosten das
Wurstzeug holen.
Schließlich waren aber doch alle Hilfsquellen erschöpft, und
die Darsteller wurden sehr traurig. Es gab kein Nachtmahl mehr.
Da kam gerade die 25. Aufführung des „Jungen Medardus“
und alle schöpften neue Hoffnung. Man erwartete, daß Doktor
Schnitzler das Souper liesern würde, und machte sich schon auf
besondere Leckerbissen gefaßt. Wozu ist er denn der Dichter, der
ein Aufführungsjubiläum feierte?! Aber da muß irgendein
Verstoß geschehen sein. Entweder wußte Dr. Schnitzler nichts von
der Sache oder man hatte vergessen, ihn zu informieren —
kurzum, er rührte sich nicht. Es gab kein Nachtmahl. Die Dar¬
steller gingen leer aus
— gerade am Jubiläumsabend, da von
diesem Augenblick an erklärten sie: „Jetzt ist uns der „Junge
7
Medardus“
Wurst.
Ein Wiener Theaterdirektor war vor kurzem in Berlin und
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I. österr. behördl. konz. Unternehmen
für Zeitungs-Ausschnitte und Bibllographlen
Wien, I. Concordiaplatz 4
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genk,
Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minne¬
apolis, New-York, Paris, Rom, Fan Francisco,
Stockholm, St. Petersburg
(Quellenangahe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
-8 4 1911
vom:
cra
Theater und Kunst.
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Hinter den Kulissen.
(Der Realismus beim Essen. — Das Bühnennachtmahl. — Die hungrigen
Hofschauspieler. — Wenn die Reihe herum ist. — Der splendide Direktor.
— Ein Dichter, der nur für geistige Speise sorgt. — Die Konzession und
ihre Folgen. — Die tschechische Wienerin.
— Ein Sprachenproblem. —
Die guten alten Operettenzeiten.)
Die Schauspieler schwärmen am meisten dann für Natürlich¬
keit, wenn es sich darum handelt, daß auf der Bühne gegessen
werden soll. Die kachierten Speisen gehören schon mehr zum
Requisit der Provinzbühnen, doch in Wien legt man Wert darauf,
eßbare Sachen zu servieren. Freilich wird auch da mit Surro¬
gaten gearbeitet, und es gibt eine eigene Zuckerbäckerkunst, die
sehr täuschende Austern, Pasteten und Geflügelsorten herzustellen
weiß. In der Hauptsache aber wird echter Schinken vorgesetzt,
den die Darsteller mit mehr oder weniger Appetit verzehren.
Stücke, in denen gegessen und getrunken wird, sind bei vielen
sehr beliebt. Sie soupieren dann einfach auf der Bühne und er¬
sparen das Nachtmahl. Zuweilen entsteht auch ein kleiner Streit,
weil einer dem anderen die besten Stücke wegzunehmen pflegt.
Die Schwärmerei für Echtheit hört nur in dem Moment auf, wo
Gift in Frage kommt.
Im Burgtheater haben sie jetzt ein Werk auf dem Repertoire,
worin es viel zu essen gab. Das ist der „Junge Medardus“
von Schnitzler. In dem Akt, der auf der Bastei spielt, erscheint
Frau B#eiotten mit einem Einkaufskorb und verteilt Eßwaren an
die Bürgergarde. Gleich bei der Premiere tauchte nun die
lnstige Idee auf, hier mit starkem Realismus einzusetzen. Be¬
kanntlich dauert das Stück fünf Stunden und alle Daesteller
nahmen nun ins Theater einen kleinen Imbiß mit, um ihrem
Hunger vorzubeugen. Nun sollte diese Verproviantierung im
Großen geschehen. Es wurde der Beschluß gefaßt, daß bei jeder
Vorstellung immer ein anderer für Eßwaren aufzukommen habe.
Zuerst kam Frau Bleibtreu und verteilte aus ihrem Einkaufskorb
auf der Bastei Knackwürste und Brot. Sie reichte jedem eine
Gabe und achtzig Personen taten sich an der Spende im Zwischen¬
att gütlich. Bei der nächsten Vorstellung spendete Herr Reimers die
nötigen Würste und die Greisler der Umgebung bemühten sich, ihre.
Hoftheaterkundschaft aufs beste zu versorgen. Nun ist der „junge
Medardus“ aber ein Zugstück geworden, und bald war die Zahl
der Spender erschöpft. So oft das Stück angesetzt war, kam die
Frage: „Wer wird heute das Nachtmahl bezahlen?“ Sogar Baron
Verger, dem man von dieser Verproviantierung erzählt hatte,
stellte sich zur Verfügung und ließ einmal auf seine Kosten das
Wurstzeug holen.
Schließlich waren aber doch alle Hilfsquellen erschöpft, und
die Darsteller wurden sehr traurig. Es gab kein Nachtmahl mehr.
Da kam gerade die 25. Aufführung des „Jungen Medardus“
und alle schöpften neue Hoffnung. Man erwartete, daß Doktor
Schnitzler das Souper liesern würde, und machte sich schon auf
besondere Leckerbissen gefaßt. Wozu ist er denn der Dichter, der
ein Aufführungsjubiläum feierte?! Aber da muß irgendein
Verstoß geschehen sein. Entweder wußte Dr. Schnitzler nichts von
der Sache oder man hatte vergessen, ihn zu informieren —
kurzum, er rührte sich nicht. Es gab kein Nachtmahl. Die Dar¬
steller gingen leer aus
— gerade am Jubiläumsabend, da von
diesem Augenblick an erklärten sie: „Jetzt ist uns der „Junge
7
Medardus“
Wurst.
Ein Wiener Theaterdirektor war vor kurzem in Berlin und