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22. Der junge Medandus
Einige Stimmen über Adolf Loos, den genialen Wiener Architekten, der in den letzten Jahren durch
seine Theorien und seine Bauten überall so großes Aufschen erregt hat, seien im folgenden aufgeführt.
In den „Münchener Neuesten Nachrichten“
Das kam dazumal so überraschend, überzeugend und
schreibt Ludwig Bauer in seinem letzten Wiener Brief
gleichzeitig so licblich, daß sich die Leute die Augen
vom 1. Dezember 1910:
rieben und ausriefen: „Das hab’ ich mir noch nie ge¬
Die Mahler-Gefahr haben sie überstanden, und
dacht! Aber warum eigentlich nicht? Es ist doch nur
die nackte Logik, die Natur der Dinge!“
vielleicht werden sie auch Adolf Loos, den neuen
Architekten besiegen. Einstweilen entsetzen sich die
Wer war dieser dinghafte Mann, der solchen Zauber
ewig Gestrigen über das neue Haus, das er im Herzen
aus den gewöhnlichsten Gegenständen herausholte und
der Stadt, gegenüber dem Tore der Hofburg, errichtet.
soviel Glänzend-Selbstverständliches, Kindhaft-Einfaches,
Ja, sie haben sich sogar hinter die Baupolizei gesteckt, um
Uralt-Neues in so bestrickender Form zu sagen wußte?
zu verhindern, daß nach der Börsen-Renaissance der
Ein blutjunger Architekt mit schmalem Windhundkopf
verflossenen Jahrzehnte und nach der snobistischen
englischer Prägung und unschuldvollen Augen, die alles
„Sezession“ der jüngsten Jahre Wien endlich zu einem
zum erstenmal zu schen schienen; der ganze Mann
vibrierend wie eine Stahlklinge; ein Österreicher, nein,
modernen Hause kommt. Und man hat in der Tat dem
Architekten vorgeschrieben, daß er an die Fassade
ein Europäer, nein, ein Amerikaner, nein, ein ganz neuer
Ornamente anbringe. Dieser Schrei nach dem Stuck¬
Typus, ein Kosmopolit und just in Wien, der Gesandte
einer neuen klirrenden Zeit: Adolf Loos.
Spielzeug, er ist so recht kennzeichnend für die Be¬
hinderung jeder Entwicklung. Man stelle sich nur nicht
Ihn begrüßte — bei Neutönern ein seltener Fall —
etwa vor, daß Loos irgendwie exzediert; was mal ihm
allseitig frohes Willkommen.
vorwirft, ist gerade seine schmucklose Einfachheit, die
er der Lichtwark von Österreich? Entwickelte er sich
nur die Schönheit des Zweckes sucht. Es ist wunder¬
hübsch zu sehen, wie ausgezeichnet sich sein Haus mit
zum Lehrer, Zivilisator im großen Stil? Hat er Städte
den alten Gebäuden jenes Platzee verstcht; es ist gar
gebaut? Oder ist er gestorben, verdorben, ins Dunkel
keine Nachahmung, aber ihr Enkel hat dieselbe ruhige
zurünkgesunken? Hat er sich an großen Aufgaben ver¬
blutet oder ist er gar verflacht?
Sachlichkeit, die nicht pathetisch in Steinen schreit,
Weder das eine noch das andere. Er lebt im Halb¬
nicht bürgerliche Wolinstätten zu Palästen umlügen will.
Loos hatte für einen „tailor eine Sehneiderwerkstätte
dunkel, im Schatten seiner Gedanken, die zu größeren
zu bauen, und es ist sehr bemerkenswert, wie er durch¬
Ehren gekommen sind als er selbst. Dann ist er also
aus im Raume gedacht hat, wie eines in undere greift,
seinen eigenen diedanken nicht gewachsen — müßte man
übersichtlich, hell, lockend. Und es ist gar nicht ein¬
sagen, wenn nicht doch von Zeit zu Zeit, in langen
zusehen, warum wir dazu geschnörkelte Linien oder
Zwischenräumen ein Bau-Entwurf, ein Inte jeur, drei,
Karyanden benötigen. Nur Glastafeln Frennen die ein¬
vier gedruckte Seiten aus seiner Feder auftauchten,
zeinen Räume, nein, sie verbinden sie vielmehr, geben
gerade soviel um zu zeigen, daß er noch bestcht in
seiner ungebrochenen und unverbrüchlichen kompromi߬
den Kaufleuten die Obersicht über den Arbeitsgang, den
losen Wesensart. Dann sicht man erstaunt auf und fragt:
Kunden eine anreizende Stimmung. Die Zimmer sind
nicht überhoch wie in Palästen oder Kirchen, doch hier
warum begnügt er sich mit dieser Rolle? Und die Hoff¬
gehört ja eben alles zusammen, und wer sich einen
nung flackert auf, daß er doch noch hervorkommen wird
aus seinem Versteck
Stoff auswählt, dem wird er von unten heraufgereicht,
er überblickt zugleich den ganzin Vorrat des Schneiders
Dort sitzt er, heiter und gelassen, und causiert. Ihm
und sicht, wie nebenan das Werk gefördert wird. In
zuzuhören ist ein behexendes Vergnügen. Es fällt nie¬
allem ist eine nur auf den Zweck schende Klarheit, die
inandem ein, zu reden, wenn er spricht. Sobald er das
zweifellos auf einen würdigen Nachfolger von Messel
Wort ergreift, ist unwillkürlich alles stumm, aber man
und Wagner deutet. Durch seine Ruhe schlägt dies
fühlt sich nicht unterdrückt, sondern behaglich gewiegt,
Haus die Steinprotzen nieder, die sich so trostlos herum¬
angenehm gesteigert. Was er redet, sind Explosionen
lümmeln. Wir können nicht glauben, daß wir neuer¬
des Lichts; man hat die Einbildung, eigentlich selbst zu
dings bei Loos das typische Schauspiel der Wiener
denken und rätselhaft gescheit zu sein. In seinem un¬
Begabungen erleben sollen, daß wir ihn wieder in seinem
nachähmlichen Ton graziöser Selbverständlichkeit —
worin es kein Pathos, keine Ranküne, keine Bitterkeit
Werke behindern, ihn im Auslande wirken lassen, und
gibt — findet er Antwort auf jede Frage, handle es sich
dann erst, nach dem Verlust kostbarer Jahre, wenn er
draußen hübsch berühmt geworden, ihn zurückholen.
nun und englische Weltpolitik, ein Bauwerk, einen Greisler¬
laden oder Richard Dehmel. So tut er schon zehn Jahre
In der „Fackel“ vom 26. Juni 1900 schreibt Robert
lang. Ein öffentlicher Brunnen. Und manche Leute
Scheu:
wissen das nur zu gut; sie gehen hin und werden vom
Lauschen reich.
In einem Märchen von Dickens begibt es sich, daß
Um dem Rätsel dieser freigebigen und noblen Seele
ein Passagier, der in einer fremden Wohnung übernachtet,
im Halbtraum von einem alten Lehnstuhl angesprochen
auf den Grund zu kommen, griff ich dieser Tage auf die
ersten Außerungen von Adolf Loos zurück, auf jene
wird, der im eröffnet: in seinem Polsterzeug sei ein Schatz
verborgen. — In Wien trat eines Tages — es war Ende
blendende Serie von ungefähr dreißig Artikeln, welche
er anläßlich der Jubiläums-Ausstellung von 1898 in der
der Neunzigerjahre — ein Mann auf, der Stühle, Kasten,
Gläser, tönerne Töpfe, Häuser, Karossen, Türklinken
„Neuen Freien Presse“ geschrieben hat. Wohl der einzige
dazu brachte, ihr Grabesschweigen zu brechen und mit
nachweisbare Fall, daß dieses Blatt einem jungen Echt¬
silberner Zunge zu sagen. was sie sind und was sie sollen, begabten, der sich noch nicht anderweitig durchgesetzt.
22. Der junge Medandus
Einige Stimmen über Adolf Loos, den genialen Wiener Architekten, der in den letzten Jahren durch
seine Theorien und seine Bauten überall so großes Aufschen erregt hat, seien im folgenden aufgeführt.
In den „Münchener Neuesten Nachrichten“
Das kam dazumal so überraschend, überzeugend und
schreibt Ludwig Bauer in seinem letzten Wiener Brief
gleichzeitig so licblich, daß sich die Leute die Augen
vom 1. Dezember 1910:
rieben und ausriefen: „Das hab’ ich mir noch nie ge¬
Die Mahler-Gefahr haben sie überstanden, und
dacht! Aber warum eigentlich nicht? Es ist doch nur
die nackte Logik, die Natur der Dinge!“
vielleicht werden sie auch Adolf Loos, den neuen
Architekten besiegen. Einstweilen entsetzen sich die
Wer war dieser dinghafte Mann, der solchen Zauber
ewig Gestrigen über das neue Haus, das er im Herzen
aus den gewöhnlichsten Gegenständen herausholte und
der Stadt, gegenüber dem Tore der Hofburg, errichtet.
soviel Glänzend-Selbstverständliches, Kindhaft-Einfaches,
Ja, sie haben sich sogar hinter die Baupolizei gesteckt, um
Uralt-Neues in so bestrickender Form zu sagen wußte?
zu verhindern, daß nach der Börsen-Renaissance der
Ein blutjunger Architekt mit schmalem Windhundkopf
verflossenen Jahrzehnte und nach der snobistischen
englischer Prägung und unschuldvollen Augen, die alles
„Sezession“ der jüngsten Jahre Wien endlich zu einem
zum erstenmal zu schen schienen; der ganze Mann
vibrierend wie eine Stahlklinge; ein Österreicher, nein,
modernen Hause kommt. Und man hat in der Tat dem
Architekten vorgeschrieben, daß er an die Fassade
ein Europäer, nein, ein Amerikaner, nein, ein ganz neuer
Ornamente anbringe. Dieser Schrei nach dem Stuck¬
Typus, ein Kosmopolit und just in Wien, der Gesandte
einer neuen klirrenden Zeit: Adolf Loos.
Spielzeug, er ist so recht kennzeichnend für die Be¬
hinderung jeder Entwicklung. Man stelle sich nur nicht
Ihn begrüßte — bei Neutönern ein seltener Fall —
etwa vor, daß Loos irgendwie exzediert; was mal ihm
allseitig frohes Willkommen.
vorwirft, ist gerade seine schmucklose Einfachheit, die
er der Lichtwark von Österreich? Entwickelte er sich
nur die Schönheit des Zweckes sucht. Es ist wunder¬
hübsch zu sehen, wie ausgezeichnet sich sein Haus mit
zum Lehrer, Zivilisator im großen Stil? Hat er Städte
den alten Gebäuden jenes Platzee verstcht; es ist gar
gebaut? Oder ist er gestorben, verdorben, ins Dunkel
keine Nachahmung, aber ihr Enkel hat dieselbe ruhige
zurünkgesunken? Hat er sich an großen Aufgaben ver¬
blutet oder ist er gar verflacht?
Sachlichkeit, die nicht pathetisch in Steinen schreit,
Weder das eine noch das andere. Er lebt im Halb¬
nicht bürgerliche Wolinstätten zu Palästen umlügen will.
Loos hatte für einen „tailor eine Sehneiderwerkstätte
dunkel, im Schatten seiner Gedanken, die zu größeren
zu bauen, und es ist sehr bemerkenswert, wie er durch¬
Ehren gekommen sind als er selbst. Dann ist er also
aus im Raume gedacht hat, wie eines in undere greift,
seinen eigenen diedanken nicht gewachsen — müßte man
übersichtlich, hell, lockend. Und es ist gar nicht ein¬
sagen, wenn nicht doch von Zeit zu Zeit, in langen
zusehen, warum wir dazu geschnörkelte Linien oder
Zwischenräumen ein Bau-Entwurf, ein Inte jeur, drei,
Karyanden benötigen. Nur Glastafeln Frennen die ein¬
vier gedruckte Seiten aus seiner Feder auftauchten,
zeinen Räume, nein, sie verbinden sie vielmehr, geben
gerade soviel um zu zeigen, daß er noch bestcht in
seiner ungebrochenen und unverbrüchlichen kompromi߬
den Kaufleuten die Obersicht über den Arbeitsgang, den
losen Wesensart. Dann sicht man erstaunt auf und fragt:
Kunden eine anreizende Stimmung. Die Zimmer sind
nicht überhoch wie in Palästen oder Kirchen, doch hier
warum begnügt er sich mit dieser Rolle? Und die Hoff¬
gehört ja eben alles zusammen, und wer sich einen
nung flackert auf, daß er doch noch hervorkommen wird
aus seinem Versteck
Stoff auswählt, dem wird er von unten heraufgereicht,
er überblickt zugleich den ganzin Vorrat des Schneiders
Dort sitzt er, heiter und gelassen, und causiert. Ihm
und sicht, wie nebenan das Werk gefördert wird. In
zuzuhören ist ein behexendes Vergnügen. Es fällt nie¬
allem ist eine nur auf den Zweck schende Klarheit, die
inandem ein, zu reden, wenn er spricht. Sobald er das
zweifellos auf einen würdigen Nachfolger von Messel
Wort ergreift, ist unwillkürlich alles stumm, aber man
und Wagner deutet. Durch seine Ruhe schlägt dies
fühlt sich nicht unterdrückt, sondern behaglich gewiegt,
Haus die Steinprotzen nieder, die sich so trostlos herum¬
angenehm gesteigert. Was er redet, sind Explosionen
lümmeln. Wir können nicht glauben, daß wir neuer¬
des Lichts; man hat die Einbildung, eigentlich selbst zu
dings bei Loos das typische Schauspiel der Wiener
denken und rätselhaft gescheit zu sein. In seinem un¬
Begabungen erleben sollen, daß wir ihn wieder in seinem
nachähmlichen Ton graziöser Selbverständlichkeit —
worin es kein Pathos, keine Ranküne, keine Bitterkeit
Werke behindern, ihn im Auslande wirken lassen, und
gibt — findet er Antwort auf jede Frage, handle es sich
dann erst, nach dem Verlust kostbarer Jahre, wenn er
draußen hübsch berühmt geworden, ihn zurückholen.
nun und englische Weltpolitik, ein Bauwerk, einen Greisler¬
laden oder Richard Dehmel. So tut er schon zehn Jahre
In der „Fackel“ vom 26. Juni 1900 schreibt Robert
lang. Ein öffentlicher Brunnen. Und manche Leute
Scheu:
wissen das nur zu gut; sie gehen hin und werden vom
Lauschen reich.
In einem Märchen von Dickens begibt es sich, daß
Um dem Rätsel dieser freigebigen und noblen Seele
ein Passagier, der in einer fremden Wohnung übernachtet,
im Halbtraum von einem alten Lehnstuhl angesprochen
auf den Grund zu kommen, griff ich dieser Tage auf die
ersten Außerungen von Adolf Loos zurück, auf jene
wird, der im eröffnet: in seinem Polsterzeug sei ein Schatz
verborgen. — In Wien trat eines Tages — es war Ende
blendende Serie von ungefähr dreißig Artikeln, welche
er anläßlich der Jubiläums-Ausstellung von 1898 in der
der Neunzigerjahre — ein Mann auf, der Stühle, Kasten,
Gläser, tönerne Töpfe, Häuser, Karossen, Türklinken
„Neuen Freien Presse“ geschrieben hat. Wohl der einzige
dazu brachte, ihr Grabesschweigen zu brechen und mit
nachweisbare Fall, daß dieses Blatt einem jungen Echt¬
silberner Zunge zu sagen. was sie sind und was sie sollen, begabten, der sich noch nicht anderweitig durchgesetzt.