II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 477

22. Der junge Nedardus
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Ausschnittbkuser's Arinee-Zeitung, Wien.
20 MAl 197
vom:
Wie das Burgtheater den Gedenktag der Schlacht von Aspern
begeht
Wir erhalten folgende Zuschrift:
„Im Schloßhof von Schönbrunn kann man täglich Leute aller Be¬
völkerungsschichten sehen, die angstvoll nach den Fenstern des Kaisers blicken,
mit den innigsten Segenswünschen im Herzen darauf hoffend, die geliebte
Gestalt, wenn auch nur für einen Augenblick, am Fenster erscheinen zu sehen,
um sie mit Jubel begrüßen zu können.
Auch das Burgtheater zeigte dieser Tage den Schloßhof von Schön¬
brunn — allerdings in wesentlich anderer Szenerie, für die Herr Artur
Schnitzler die historische Beleuchtung geliefert hat. Wir sind im Jahre 1899.
In getreuer Nachbildung sehen wir die Frettreppe und einen Teil des Schlosses.
Auf den Stufen stehen französische Grenadiere. Im Schloßhof drängen sich
Wienerinnen, die mit französischen Offizieren kokettieren, Wiener Bürger, die
sich in albernen Reden und Lächerlichkeiten überbieten und um Frieden winseln,
als ob ihnen eine Vorahnung der „Neuen Freien Presse“ zu Kopf gestiegen
wäre. Da springen oben die Türen auf, die Grenadiere präsentieren, Trommel¬
wirbel erschallt, die Wiener Bürger drängen zur Treppe hin, schwenken die
Hüte und schreien: „Hoch, Napoleon, hoch!“ Ein anderes Bild zeigt uns die
Bastion vor der Burg, gegenüber dem Hofstallgebände. Der Wall ist von der
Bürgergarde besetzt. Männer, Frauen und Kinder gehen gemütlich ab und
zu. Die Beschießung beginnt und entfesselt Lamentationen nach Frieden, nach
Kapitulation. Es kommt der Befehl, die weiße Fahne zu hissen, die nach
Meinung des Autors für solche Fälle immer schon in Bereitschaft ist. Die
Ofsiziere quittieren diesen Befehl mit den Worten: „Na, hätte das nicht schon
früher geschehen können?" Der Held selbst, der junge Medardus, nach dem
das Stück auch benannt ist, wollte zwar zu Anfang des Stückes aus patrio¬
tischer Begeisterung zur Armee, allein eine traurige Liebesgeschichte seiner
Schwester genügt, um ihn sofort vom Einrücken abzuhalten, genügt aber nicht,
um ihn abzuhalten, sich noch in derselben Nacht, da seine Schwester begraben
wurde, in die Arme einer psychisch unmöglichen fürstlichen Dirne zu werfen,
Er schwelgt in der Liebe dieser Circe, während der Kanonendonner von¬
Aspern erdröhnt, und sehnt die Kapitulation von Wien herbei, um in seinen
nächtlichen Liebesgängen nicht gehemmt zu sein. Das ist der Mann, auf den
der Dichter alle Sympathie zu vereinigen wünscht, das ist das Stück, das das
Burgtheater am 21. Mai. dem Tage von Aspern, gegeben hat, ein Stück der
Verhöhnung der Armee, der Verhöhnung der Stadt Wien, ein Stück der inter¬
nationalen Vaterlandslosigkeit.
Daß ein solches Stück im Burgtheater, im Hause des Kaisers überhaupt
aufgeführt werden darf, ist wohl nur der völligen Literaturfremdheit und
Naivität der obersten Hofstellen zuzuschreiben, daß aber dieses Stück überdies
gerade am 21. Mai, dem Gedenktag von Aspern, gegeben wurde,
ist eine Taktlosigkeit der Direktion, wovon man wirklich wieder einmal sagen
kann, daß dergleichen nur bei uns möglich ist.“
Die Redaktion gibt vorstehender Zuschrift eines hohen Offiziers Raum,
ohne zu verkennen, daß der dichterische Wert des großen Historienstückes
Schnitztersaußer Frage steht und ohne zu leugnen, daß der Dichter die
Sschächliche Haltung der Wiener von anno Neun nicht billigen, sondern tadeln
wollte. Die Idee der Direktion des Wiener Burgtheaters aber, den Gedenktag
von Aspern ausgerechnet mit einer Aufführung des „Jungen Medardus“ zu
feiern, ist wahrhaft grotesk: Das ist so ähnlich, wie wenn ein Theater zu Ehren
des Besuches eines spanischen Königs den „Don Carlos“ oder aus Anlaß der
Anwesenheit eines englischen Königsbesuches „Richard III.“ aufführen wollte!