II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 542

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22. Derjungedardus
Zeitung: Vorwärts
Adresse: Berlin
Datum:

Lessing=Theater.
Der junge Medardus. Dramatische Historie von Artur!
Schnitzler.
Zeitang: Breslauer Morgen-Zeitung
Der Energie und Kühnheit des Direktors Barnowsky machte
die Aufführung dieses letzten, aber auch schon vor einem halben“
Adresse: Breslau
Jahrzehnt entstandenen Schnitzler=Dramas alle Ehre. Die Unzahl
der auftretenden Personen und die Länge des Stückes — die Vor¬
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stellung dauerte 4½ Stunden — setzte dem Experiment von vorn¬
Datum:
herein die größten Schwierigkeiten entgegen. Der Erfolg mußte aus¬
bleiben. Das Bühnenfremde in Anlage und Aufbau des Werkes
„Der junge Mebardus.
fließt nicht aus einem Reichtume der Phantasie, die neue Wege
* Man schreibt uns aus Berlin: Der späte Schluß der Vor¬
aufsucht, sondern aus einem Mangel an Gestaltungskraft,
stellung, es war ein Viertel vor Mitternacht, als ich das Lessing¬
was an der Tiefe fehlt, ersetzen
Breite,
die durch
[Theater vekließ, hinderte mich daran, Ihnen auf telephonischem
möchte. Stünde nicht der Name Schnitzlers, dieses Künstlers, dem
Wege mitzuseilen, daß Arthur Schnitzlers
dramatische
das moderne Theater nach Hauptmann einige der eigenartigsten und
Historie Die'r junge Medardus“ gelegentlich ihrer Berliner
intimsten Stimmungsbilder verdankt, auf dem Zetiel, niemand hätte
Erstaufführung nur einen/Achtungserfolg errang. Und dieser
auf ihn als den Verfasser raten können. Jene Gabe konzentrierender
hatte sich erst gegen den Schküß des Werkes eingestellt. Zwölf Bilder
Verlebendigung, die in dem „Grünen Kakadu“ in manchen Einaktern
(„Der junge Medardusf verfügt über vierzehn!) waren vorüber¬
und Einzelszenen des „Einsamen Weges“ am überraschendsten hervor¬
gegangen, ohne daß das Publikum Anlaß zu besonderen Beifalls¬
trat, ist seinen späteren Stücken nicht im gleichen Maße eigen. Die
##ndgebungen gefunden hätte. Und über manchem Bild war der
Farben blassen ab. Eine abstrakte Geistigkeit, die, statt anschaulich
Vorhang niedergeglitten, ohne daß sich auch nur eine Hand gerührt!
auszumalen, sich in schattenhaften Andeutungen Genüge tut, bildet
hatte. Man sah den Dichter, den man auch hier hoch schätzt und
ihre gemeinsame Signatur. Statt einer Bilderfolge gibt es eine
liebt, in einer Parkettloge sitzen, man richtete seine Theatergläser
Arabeskenkunst, aus der nur hier und da bestimmtere Konturen auf¬
mit Spannung auf den noch immer schönen Kopf, aber selbst die An¬
tauchen. Aber ein starker Zug zum Innerlichen lebt da fort.
wesenheit des Autors konnte die Berliner nicht in jene begeisterte
So mag auch im „Medardus“ die Intention ursprünglich auf
Stimmung versetzen, die man allgemein als Ergebnis der Wirkung
Skirzierung eines komplizierten psychischen Problems gerichtet ge¬
des „Medardus“ erwartet hatte. Ehrlich: man wußte hierzulande
wesen sein. Nach den vielfachen Erläuterungen, die Schnitzler im
mit dieser Historie, die im Jahre 1809 auf Wiener Boden spielt,
Stücke durch andere Personen über den Charakter des „Medardus“
nicht viel anzufangen, man stieß sich an der Zerrissenheit der
gibt, sollte derselbe wohl etwas wie der Typus eines halben Helden
Handlung, die, nicht reich und fesselnd genug, sich auf vierzehn
sein, der, von der Hitze seines Temperaments genarrt, die Helden¬
Bilder verteilt und — vor allem — man konnte sich nicht mit dem
rolle, die er spielen möchte, in seinem wirklichen Handeln kläglich
Charakter des Helden befreunden, der in jedem Luftzug hin= und
parodiert, um schließlich, als er das voll Scham erkennt, in einer
herschwankt. Ich glaube wohl zu wissen, was Arthur Schnitzler mit
Mischung kindisch=eigensinnigen Trotzes und heroischen Auf¬
seinem Medardus geben wollte. Von den Berlinern aber konnte
schwunges das Leben fortzuwerfen. Das weite Land seelischer Wider¬
man nicht verlangen, daß sie mit all dem Tun und Lassen, das aus
sprüche und tragikomischer Schicksalsironien hat diesen Dichter ja
Medardus' Herz und Seele entspringt, einverstanden waren, und daß
seit je besonders angezogen. Hier aber bleibt es bei der bloßen
sie die Psychologie dieser Gestalt, von der der Dichter selbst sagt,
Absicht. Weder Tragik noch Komik kommen heraus. Der junge
daß sie „seltsam“ sei, verstanden. Dazu kommt noch, daß

Mann stellt sich im Wirrwarr grotesk=romanhafter Abenteuer, mit
Romantit, von der die dramatische Historie stark beseelt ist, in
welchen Schnitzler, ganz gegen seinen sonstigen vornehmen diskreten
Sprecathen arg in Verruf geraten ist. Man belächelt das Springen
Dramenstil ihn überhäuft, dem Zuschauer als ein unglaubwürdiges
feuriger Liebhaber über Gartenmauern genau so, wie das Schleichen
Kuriosum dar. Und der reichliche Zusatz wienerischer Genreszenen
durch Gartenpforten. Dazu kommt daß man im „jungen Medardus“.
aus den napoleonischen Kriegsjahren drängt, ohne selbst zu
nicht einmal mit reiner Romantik, das heißt mit einem Stil zu
interessieren, die Figur noch mehr ins Dunkel. Dieser Brausekopf,
rechnen hat, sondern daß sich in ihm mehrere Stilarten in sprung¬
der von kriegerischen Heldentaten wider die französischen Eroberer
hafter Abwechselung vorfinden.
träumt, vergißt das Vaterland sofort, als die Liebesaffäre seiner
Für mich persönlich zeigt die Kunst Schnitzlers, die mit dem
Schwester mit dem Prinzen von Vallois einen traurigen Ausgang
„Medardus“ in stofflicher Hinsicht einen Mißgriff getan haben mag,
nimmt. Nun ist auf einmal Rache an dem Hause Vallois heiligste
zwei Höhepunkte. Sie erscheint in ihrer ganzen Kristallklarheit in
Pflicht —.bis er sich kopfüber in die Prinzessin verliebt. Im Duell
zwei Episoden: in dem uralten Herrn, der Generationen überlebt
schwer verwundet, überklettert er die Gartenmauer ihres Schlosses.
und noch sein Ururenkelkind zu Grab geleitet und in dem Arzt
Die stolze Dame schenkt ihm ihre Gunst. Dann will er, aufgepeitscht
Büdinger, der nur ein paar Worte zu sagen hat, in diesen paar
durch seines wackeren Oheims Hinrichtung, Napoleon erdolchen, vergißt
Worten aber einen ganzen Menschen und sein Schicksal niederlegt.
es aber und nimmt den Plan erst wieder auf, als die hohe Dame ihn dazu
Ich möchte fast sagen, daß um dieser zwei Episoden willen der ganze
animiert. Er ersticht indes zuletzt, als er argwöhnt, sie sei Napoleons
„Medardus“ seine Berechtigung als Werk eines bedeutenden Dichters
erwiesen hat.
Maitresse, statt des Tyrannen die Liebste und soll nun erschossen
werden. Da, die Verblüffung voll zu machen, erscheint ein Bona¬
Aus dem überreichen Personenverzeichnis mögen die Namen der
partistischer General bei dem Gefangenen und teilt ihm die Be¬
Herren Loos (Medardus), Salfner (Eschenbacher), Abel (Etzelt),
gnadigung mit. Warum? Medardus soll durch die Ermordung der
Herzfeld (Berger), Gottowt (Büdinger), Götz(uralter Herr), der
Prinzessin, die, wie die Untersuchung nachträglich erwies, durch ein
Damen Grüning (Frau Klär) und Lossen (Helene v. Valois)
Attentat Napoleon beseitigen wollte, dem Kaiser das Leben gerettet
verdientermaßen Erwähnung finden.
Ueberwältigende schau¬
haben! Das ist das Stichwort zur Rehabilitierung des Burschen.
spielerische Leistungen waren nicht zu verzeichnen. Die ich nannte,
Er erklärt, sein Dolch sei für Napoleon bestimmt gewesen und er¬
hatten den Wunsch, ihr Bestes zu bieten.
Leo Heller.
mehr zur Verwunderung als zur Erhebung der Zu¬

zwingt so
schauer — mit klarbewußtem Willen seine Erschießung.
Herrn Theodor Loos gelang in seiner Verkörperung der Haupt¬
figur sehr gut der Ausdruck der Zerrüttung, den Jugendzauber aber,
von dem im Stück so viel die Rede ist, blieb er der Rolle schuldig.
Vortrefflich, soweit die inneren Unmöglichkeiten der Gestalt es irgend
zuließen, fand Lina Lossen sich mit der hochmütigen, kalt=intriganten
Roman=Prinzessin ab. Ueberall bis in die kleinsten Nebenrollen des
Ensembles war große Sorgfalt aufgewendet. In erster Reihe wären
da die Herren Abel, Kayßler und Heinz Salffner zu nennen. Das
Publikum verhielt sich schweigend, erst am Schlusse erklang ein
dt.
mäßiger Applaus.