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21. Kont#e Mizz1oder der Fanisientag
6 Z. am Mittag, Berh.
31 1. 1912
Grutzbauer wieder gesund aufersteht und allen,
die auf seinen Hof spekulieren, den dicksten Strich
Schnitzler und
durch die plumpe Rechnung macht, dieses Ueber¬
gleiten aus tiefer Düsternis ins Komödienhaft¬
Schönherr.
Lustig ist vor drei Jahren im Hebbel=Theater
ungleich besser und damit für die Wirkung des
„Komtesse Mizzi“ und „Erde“ im Lessing¬
Stückes vorteilhafter herausgebracht worden.
theater.
Frau Else Lehmann gibt die robuste, brutal¬
Brahm hat jetzt Karl Schönherrs Komödie
egoistische Mena, deren Drang nach einem Fleck
„Erde“, die vor nunmehr drei Jahren vom selig
eigener Erde unbezähmbar ist und in der Schön¬
im Herrn entschlafenen Hebbeltheater aufgeführt
herr die heiße Bauernliebe zur Scholle personi¬
wurde, in den Spielplan ausgenommen. Gestern
fizieren wollt.. Frau Lehmann hat mit der tiro¬
hatte die tirolisch=volksstückhafte Variante von
lischen Mundart zu kämpfen und der trefflichen
Zolas Lied von der Mutter Erde, um die der
Hanne Schäl von einst, geht dabei die feste Härte
Baue wirbt, für die er hungert, friert und mordet,
und Sicherheit leider verloren. Reicher
die Lessingtheaterprobe zu bestehen. In schwacher
hat für die großzügige, überragende Gestalt des
Aufführung. Um den Abend reichhaltiger zu ge¬
alten Grutz, diese eichenfeste Verkörperung des
stalten, gibt Brahm noch einen Einakter von
auf seiner Scholle herrenhaft schaltenden Erd¬
Arthur Schnitzler zu, eine kleine Meister¬
bebauers, zu wenig Beuernblut. Aber er trifft
komödie: „Komtesse Mizzi oder der
doch wohl den herrischen Trutz und die hämische
[Familientag“, die wohl zu den rundesten
Freude. Herr Stieler gibt als der weichlich¬
und amüsantesten Stückchen des Wiener Dialog¬
unselbständige Sohn des Grutz, eine respektable
meisters zu rechnen ist. Eine kleine Studie aus
Probe eines an ihm bis jetzt nicht wahrnehm¬
dem ästerreichischen Aristokratenmilieu, ein bi߬
bar gewesenen Charakterisierungsvermögens und
chen suffisant, ein wenig konstruiert, aber brillant
Bruno Ziener belustigt ungemein mit der
aufgebaut und mit jener, von Aufdringlichkeit
zyklopisch ungeschlachten Gestalt eines unentwegt
so freien, so gewissermaßen selbstverständlichen
Knödel fressenden Roßknechts. Es zeugt aber erst
Pointierung, die eine der liebenswertesten Eigen¬
recht für die Verfehlung des Wesentlichen
heiten von Schnitzlers unverwelktem Talent ist.
einer Aufführung, wenn solche Episoden zur
Hauptsache werden und darstellerisch den Abend
Es ist zu hübsch ersonnen, wenn der im besten
beherrschen.
Mannesalter stehende Fürst Ravenstein, Wiener
Norbert Falk.
Feudalherren=Typ, seinem Freund, dem alten
ungarischen Grafen Arpad Pazmandy, erzählt,
daß er bisher verheimlicht habe, einen Sohn zu
GE
besitzen, die nunmehr achtzehnjährige Frucht einer
Jugendsünde. Dem alten Grafen macht's Spaß,
daß der Fürst den Sohn gleich mitgebracht hat.
Er muß nicht mehr versteckt werden, er hat das
Abiturium, und Papa Durchlaucht haben ihn
adoptiert. Nur über die wirkliche Mama wird
er in Unwissenheit gehalten, er soll glauben, daß
er eines Bürgermädchens Sprößling ist. Das
ist er aber durchaus nicht; die Komtesse Mizzi,
die Tochter des alten Grafen Pazmandy, war
seinerzeit so frei, ihn zur Welt zu bringen. Heim¬
lich, nach dem Rausch der ersten Liebe. Nun ist
die Liebe lange verflogen; Komtesse Mizzi, sechs¬
unddreißigjährig, malt, liebelt, charmiert und
hält auf strenge Wahrung des Geheimnisses.
Wie ihr nun der Fürst von Ravenstein den Sohn
plötzlich ins Haus schmuggelt, wie der schneidig
und leichtsinnig, keck und ungeniert vor sie hin¬
tritt, da regt sich doch mehr in ihr, als sie je ge¬
dacht hat. Der Junge gefällt ihr, macht ihr Spaß,
und sie wird wohl zweifellos um seinetwillen den
Fürsten noch heiraten.
Reizend sind die Konfrontierungen, das Pa¬
rieren von Hieb und Stoß. Komtesse Mizzi führt
das Gefecht vorzüglich, läßt sich aber, weniger
vom Aufwallen eines Mütterlichkeitsgefühls, als
vom Reiz der Situation entzückt, ohne Wehr be¬
siegen. Wenn dann alle weggegangen sind, Kom¬
tesse Mizzi allein bleibt, und dann ihr Malpro¬
fessor kommt, der ihre letzte Liaison ist, da gibt
sie ihm mit Anmut den Abschied. „So werden
wir unsere Stunden also wohl erst im November
wieder aufnehmen?“ fragt der verdutzte Seladon.“
„Ich glaube nicht,“ sagt Komtesse Mizzi und
lächelt. — „Also . .. ich bin entlassen, Maria?“
„Wie kann man sich so ausdrücken, Ru¬
dolf?“...
Frau Triesch hat eine ungemein reizvolle
Art, solche Szenen zu führen, vornehme Lieder¬
lichkeit in liebenswürdig=eleganter Linie auszu¬
drücken. Herr Monnard ist als Fürst Raven¬
stein nicht ganz so im wienerischen Typ, aber doch
gefällig. Reicher nimmt den alten ungarischen
box 26/3
21. Kont#e Mizz1oder der Fanisientag
6 Z. am Mittag, Berh.
31 1. 1912
Grutzbauer wieder gesund aufersteht und allen,
die auf seinen Hof spekulieren, den dicksten Strich
Schnitzler und
durch die plumpe Rechnung macht, dieses Ueber¬
gleiten aus tiefer Düsternis ins Komödienhaft¬
Schönherr.
Lustig ist vor drei Jahren im Hebbel=Theater
ungleich besser und damit für die Wirkung des
„Komtesse Mizzi“ und „Erde“ im Lessing¬
Stückes vorteilhafter herausgebracht worden.
theater.
Frau Else Lehmann gibt die robuste, brutal¬
Brahm hat jetzt Karl Schönherrs Komödie
egoistische Mena, deren Drang nach einem Fleck
„Erde“, die vor nunmehr drei Jahren vom selig
eigener Erde unbezähmbar ist und in der Schön¬
im Herrn entschlafenen Hebbeltheater aufgeführt
herr die heiße Bauernliebe zur Scholle personi¬
wurde, in den Spielplan ausgenommen. Gestern
fizieren wollt.. Frau Lehmann hat mit der tiro¬
hatte die tirolisch=volksstückhafte Variante von
lischen Mundart zu kämpfen und der trefflichen
Zolas Lied von der Mutter Erde, um die der
Hanne Schäl von einst, geht dabei die feste Härte
Baue wirbt, für die er hungert, friert und mordet,
und Sicherheit leider verloren. Reicher
die Lessingtheaterprobe zu bestehen. In schwacher
hat für die großzügige, überragende Gestalt des
Aufführung. Um den Abend reichhaltiger zu ge¬
alten Grutz, diese eichenfeste Verkörperung des
stalten, gibt Brahm noch einen Einakter von
auf seiner Scholle herrenhaft schaltenden Erd¬
Arthur Schnitzler zu, eine kleine Meister¬
bebauers, zu wenig Beuernblut. Aber er trifft
komödie: „Komtesse Mizzi oder der
doch wohl den herrischen Trutz und die hämische
[Familientag“, die wohl zu den rundesten
Freude. Herr Stieler gibt als der weichlich¬
und amüsantesten Stückchen des Wiener Dialog¬
unselbständige Sohn des Grutz, eine respektable
meisters zu rechnen ist. Eine kleine Studie aus
Probe eines an ihm bis jetzt nicht wahrnehm¬
dem ästerreichischen Aristokratenmilieu, ein bi߬
bar gewesenen Charakterisierungsvermögens und
chen suffisant, ein wenig konstruiert, aber brillant
Bruno Ziener belustigt ungemein mit der
aufgebaut und mit jener, von Aufdringlichkeit
zyklopisch ungeschlachten Gestalt eines unentwegt
so freien, so gewissermaßen selbstverständlichen
Knödel fressenden Roßknechts. Es zeugt aber erst
Pointierung, die eine der liebenswertesten Eigen¬
recht für die Verfehlung des Wesentlichen
heiten von Schnitzlers unverwelktem Talent ist.
einer Aufführung, wenn solche Episoden zur
Hauptsache werden und darstellerisch den Abend
Es ist zu hübsch ersonnen, wenn der im besten
beherrschen.
Mannesalter stehende Fürst Ravenstein, Wiener
Norbert Falk.
Feudalherren=Typ, seinem Freund, dem alten
ungarischen Grafen Arpad Pazmandy, erzählt,
daß er bisher verheimlicht habe, einen Sohn zu
GE
besitzen, die nunmehr achtzehnjährige Frucht einer
Jugendsünde. Dem alten Grafen macht's Spaß,
daß der Fürst den Sohn gleich mitgebracht hat.
Er muß nicht mehr versteckt werden, er hat das
Abiturium, und Papa Durchlaucht haben ihn
adoptiert. Nur über die wirkliche Mama wird
er in Unwissenheit gehalten, er soll glauben, daß
er eines Bürgermädchens Sprößling ist. Das
ist er aber durchaus nicht; die Komtesse Mizzi,
die Tochter des alten Grafen Pazmandy, war
seinerzeit so frei, ihn zur Welt zu bringen. Heim¬
lich, nach dem Rausch der ersten Liebe. Nun ist
die Liebe lange verflogen; Komtesse Mizzi, sechs¬
unddreißigjährig, malt, liebelt, charmiert und
hält auf strenge Wahrung des Geheimnisses.
Wie ihr nun der Fürst von Ravenstein den Sohn
plötzlich ins Haus schmuggelt, wie der schneidig
und leichtsinnig, keck und ungeniert vor sie hin¬
tritt, da regt sich doch mehr in ihr, als sie je ge¬
dacht hat. Der Junge gefällt ihr, macht ihr Spaß,
und sie wird wohl zweifellos um seinetwillen den
Fürsten noch heiraten.
Reizend sind die Konfrontierungen, das Pa¬
rieren von Hieb und Stoß. Komtesse Mizzi führt
das Gefecht vorzüglich, läßt sich aber, weniger
vom Aufwallen eines Mütterlichkeitsgefühls, als
vom Reiz der Situation entzückt, ohne Wehr be¬
siegen. Wenn dann alle weggegangen sind, Kom¬
tesse Mizzi allein bleibt, und dann ihr Malpro¬
fessor kommt, der ihre letzte Liaison ist, da gibt
sie ihm mit Anmut den Abschied. „So werden
wir unsere Stunden also wohl erst im November
wieder aufnehmen?“ fragt der verdutzte Seladon.“
„Ich glaube nicht,“ sagt Komtesse Mizzi und
lächelt. — „Also . .. ich bin entlassen, Maria?“
„Wie kann man sich so ausdrücken, Ru¬
dolf?“...
Frau Triesch hat eine ungemein reizvolle
Art, solche Szenen zu führen, vornehme Lieder¬
lichkeit in liebenswürdig=eleganter Linie auszu¬
drücken. Herr Monnard ist als Fürst Raven¬
stein nicht ganz so im wienerischen Typ, aber doch
gefällig. Reicher nimmt den alten ungarischen
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