II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 307

er sie hebt deshalb krotzdem sein Werk
nicht auf die hohe Stufe einer Tragödie. Eine
gute Darstellerin der Titelrolle wird in der
Schilderung des Pathologischen den Schwer¬
punkt der Auffassung suchen. Frl. Frida
Regnald hat das gestern auch in sehr rich¬
tigrr Weise mit großer Kraft und Kunst getan.
Aber gleichwohl kann auch diese Betonung
darüber nicht hinwegtäuschen, daß wir es hier
nur mit der Schilderung rein äußerlicher
Handlungen und Ereignisse zu tun haben, die
sich an den Sagenstoff halten, aber keine
innere Resonanz und Begründung haben.
Ich kann diese flüchtige Betrachtung nicht
schließen, ohne hier einige sehr feine Bemer¬
kungen wiederzugeben, die Paul Ernst in
einer Monographie über Sophokles (siehe
Band 37 der von Paul Remer herausgegebe¬
nen Sammlung „Die Dichtung") macht:
„Welches Gefühl hat der Zuschauer bei einem
solchen Werk, mit welcher Stimmung geht er
nach Hause? Mit der Romantik kam es auf,
den Zuschauer respektive Leser als quantité
négligeable zu behandeln; während für die
frühere Kunst das Gemüt des Zuschauers ein
Instrument war, welchem der Meister durch
sein Werk diejenigen Töne entlockte, welche er
als ein das Höchste erstrebender Mensch woll¬
te, dachte der Künstler von jetzt an nur noch
an sein Werk, vergaß er die Geige und den
Ton über dem Bogen. Ueber diese Wandlung
waren die Künstler sehr stolz, weil sie mein¬
ten, sie seien nun ganz frei. Frei waren sie
aber so wenig wie die andern Menschen, son¬
dern sie wurden durch die Vorurteile ihrer
Zeit bestimmt, und je nachdem diese nun auf
philosophischen Gallimathias, oder auf mate¬
rialistische Glaubensartikel, auf psychologische
Hypochondrie gingen, oder auf lyrische Auf¬
lösung, wurden sie Romantiker, Naturalisten,
Neu=Romantiker, Symbolisten und anderes;
und indem sie meinten, daß sie dem abstrak¬
testen Kunsttriebe dienten und l’art pour
l’art schufen, schufen sie nur Illustrationen
*
der fütilsten Tagesmeinungen. Welches Gefugl
hat der Zuschauer nach Hofmannsthals Elek¬
tra? Wenn er ehrlich sein will: Abscheu
und Ekel. Hat denn der als Mensch so fein¬
sinnige Dichter das gewollt? Sicher nicht;
aber er hat eben genau so gearbeitet, muratis
mutandis, wie Emile Zola: er ist ein Sklave
seiner Zeit. Jeder Mensch ist ein Sklave sei¬
ner Zeit, nur einer nicht: derjenige Künstler,
welcher ein Diener der Form ist; fügt er sich
dieser Dienstbarkeit, so stellt er sich außerhalb
jeder Zeit und erhält ewige Jugend, und
nicht nur Freiheit hat ev alsdann, sondern
ewige Heirschaft über die Gemüter der Men¬
schen.“
Auf Hoffmannsthal „Elektra“ folgte
die Erstaufführung der „Komtesse Miz¬
zi“ von Arthur Schnitzler, einem mit pracht¬
voller Bühnentechnik komponierten Sittenge¬
mälde, das man — wenn es nicht so durch¬
aus wahr und plausibel wäre — als eine der
liebenswürdigsten Frechheiten bezeichnen möch¬
te, durch die die deutsche Bühnen=Erotik be¬
reichert worden ist. Hier machten sich insbe¬
sondere wieder Herr Josef Rehberger
durch die natürliche Wiedergabe jugendlicher
Alluren, dann die Herren Paulmann
und Weyrich um eine gute Interpretation
echt Schnitzler'scher Figuren sehr verdient. Lei¬
der ließ die Durchführung der Titelrolle durch
Frau Savaret viel zu wünschen übrig.
Den Abend beschloß der Einakter „Zum
Einsiedler" von Benno Jacobson. Die
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