II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 120

20. Zuischensniel
box 25/1
Nr. 299.
Wien, Sonntag
Fremden-Blatt.

29. Oktober 1905.
Seite 21.
Aus der Theaterwelt.
gefahren: Einer in die Wohnung der Frau Elizza, der andere in die der
Frau Felser. Während man dem Fräulein Bland die Helmwige mit
(Eine angenehme Ueberraschung im Burgtheater. — Josef Kainz als
Kapellmeister Amadeus Adams. —
Gewalt eintrichtert, erscheinen plötzlich nach bangen zwanzig Minuten die
Herr Korff am Klavier oder: Ein
resoluter Moment der Frau Medelsky.
Aus dem Hofovern¬
Damen Elizza und — Felser. Warum war sie nicht früher gekommen?
zheater: Eine „Walküren“=Vorstellung mit elf Waltüren! — Zwei ärgerliche
Ganz einfach: Frau Felser hatte wegen Indisposition brieflich abgesagt,
Geschichten von Girardi, Mizzi Zwerenz und Rosa Papier¬
und der Brief war nicht als definitive Absage aufgefaßt und demgemäß
Paumgartner.)
nicht erledigt worden. Tatsächlich lag Frau Felser auch zu Bette, als der
In diesen Tagen hat sich so mancher, der sich für einen Kenner des
Theaterbote bei ihr anlangte.
Theaters, oder mindestens des Theaterpublikums hielt, gestanden, daß er
Nun hatte man auf einmal drei Helmwigen statt einer, und zehn
geradesowenig prophezeien könne wie die ganz Unwissenden oder die
Walküren statt acht. Alles atmete beglückt auf — am beglücktesten
Wissenden des Theaters. Es war doch die allgemeine Ansicht der Ein¬
Fräulein Bland, der im Panzer und Helm und in dieser von allen Seiten
geweihten, daß Artur Schnitzlexs-„Zwischenspiel“ im Burgtheater
auf sie eindringenden musikalischen „Bearbeitung“ der Schweiß von der
höchstens das Interesse der Literaten erwecken, dem Publikum aber fremd
Stirne rann. Sie verschwor sich, nicht so bald wieder einer „Walküren“¬
bleiben werde. Ein Stück — angefüllt mit analytischem Dialog, in dem
Vorstellung beizuwohnen. Sie hatte den Genuß recht teuer bezahlt.
so wenig geschieht! Und nun kommt das Publikum und sagt souverän:
„Hojotoho! Hojotoho! Heiaha! Heiaha!“ tönte es in diesem
Mir gefällt's! Und es geschieht das Unerwartete, daß das „Zwischenspiel“
Augenblicke von der Bühne. Die Walküren riefen — alles war gerettet!
das meistbesuchte Stück der Saison wurde — wenigstens bis jetzt;
Die Saison tritt in das Zeichen der Blüte; denn der November
ja, daß es mit seinen Einnahmen sogar das Publikumstück Schönthans
gilt bei uns als der beste Theatermonat des Jahres. Der Theaterhunger des
übertraf, das Lustspiel „Klein Dorrit“! Denn bis nun ist die Einnahme
Pubikums hat um diese Zeit noch nicht ausgetobt, keine Weihnachtsstimmung,
einer „Zwischenspiel“=Aufführung noch nicht unter 4600 Kronen (mit
keine Faschingslaune stört die Theaterpläne der Städter ... Das Carl=Theater
Abonnement 5800 Kronen) und die Einnahme einer „Klein Dorrit“=Auf¬
treibt mit vollgeschwellten Segeln in die Hochsaison. „Die Schützenliesel“ mit dem
führung noch nicht unter 4200 Kronen (mit Zuziehung der täglichen
Zweigespann Girardi=Zwerenz hält voll und ganz, was sich Direktor
Abonnementquote von 1200 Kronen) noch nicht unter 5400 Kronen gesunken.
Aman von ihr versprochen hatte. Kürzlich, bei einer Sonntagsaufführung, gab
Kein Wunder, daß sich die Propheten schämen ...
es wieder stürmische Ovationen für das Künstlerpaar und auch Blumen, viele
Josef Kainz ist auf den Erfolg des Schnitzlerschen Stückes mit
Blumen. Schließlich überreichte ein galonnterter Diener nach dem zweiten Akt
Recht nicht wenig stolz; er ist doch der Hauptträger der Darstellung!
Herrn Girardi auf offener Bühne ein Glücksschweinchen und einen
Wie oft hatte er gefürchtet, daß ihn bei dieser umfangreichen, an mnemo¬
Rauchfangkehrer — beide von Blumen förmlich erdrückt. Girardi konnte
technischen Anhaltspunkten so armen Prosa das Gedächtnis im Stiche
sich vor Freude kaum fassen, denn er glaubt in kindlichem Gemüte an
lassen werde! Er bewättigte sie aber schließlich doch; er bewältigte auch
diese Glücksbringer, zum mindesten aber an die glücklichen Absichten des
— das Klavierspiel des ersten Aktes, obgleich er keinen Dunst von einer
Spenders. Voll Neugter besieht er die kleine Karte, die dem Rauchfang¬
Skala hat. Kainz bedauerte bei dieser Gelegenheit, daß er nicht musikalisch
kehrer und dem Schweinchen angehängt ist, und er liest darauf die Namen
ist, zum mindesten nicht einmal ein bischen „Klavier klimpern“ kann.
der Spender: Zwerenz=Guttmann.
Denn die Verständigung mit dem in der Kulisse verborgenen wirklichen
„Nein — das ist aber wirklich herzlich schön von Euch!“ ruft
Klavierspieler verursachte ihm stundenlange Mühen. Es kann aber doch
Girardi aus und nimmt die Zwerenz und ihren Gatten bet beiden Händen,
manchmal gut sein, wenn der Schauspieler wegen musikalischen Unver¬
um sie zu drücken und zu schütteln. „Ihr habt mir eine große, große
mögens eine etwa in seiner Rolle vorkommende Klimperei einem Musiker
Freude bereitet, und ich bin Euch aus ganzem Herzen dankbar!“
hinter der Szene überlassen muß, wenn er also nicht selbst spielt, sonbern
Während dieser Szene sah die Zwerenz ihren Gatten und Herr
nur vor dem stummen Instrument markiert.
Guttmann seine Gattin an — fragend, ratlos. Denn keiner von ihnen
Das zeigte sich bei der jüngsten Aufführung eines anderen
wußte sich zu erinnern, ein Schweinchen und einen Rauchfangkehrer für
Schnitzlerschen Burgtheaterstückes, der „Liebelei“. Da hat bekanntlich Fritz
Girardi bestellt zu haben. Und so machten sie denn heitere Miene zum
Lobheimer einen ziemlich komplizierten Klavierpart zu absolvieren. Denn
heiteren Sptel und dachten sich, die Aufklärung werde schon kommen.
die jungen Leute, die bei Fritz zu Gaste sind, tanzen nach seinem Spiel
Sie kam auch wirklich. Denn es zeigte sich, daß die Namen Zwerenz¬
und unterbrechen es auch oft durch ihre Konversation. Nun ist der Darsteller
Guttmann auf der kleinen Karte nicht die Absender, das heißt also: nicht
des Fritz, Herr Korff, ein famoser Klavierspieler. Das gehört zu seinen
die Spender der duftigen Gabe bedeuten sollten, sondern die Adresse.
übrigen, vielfachen Talenten. Im Laufe des Dialogs hat die plötzlich
Schweinchen und Rauchfangkehrer waren also nicht von Zwerenz=Gutt¬
nachdenklich werdende Christine (Frau Medelsky) an ihren Partner
mann gespendet, sondern an sie gesendet worden. Da diese Glücksbringer
Fritz die Frage zu richten: „Warum spielst du nicht weiter?“ — was
aber irrtümlicher Weise Herrn Girardi überreicht wurden, so mußte er
selbstverständlich voraussetzt, daß Fritz mittlerweile aufgehört haben muß.
die Adressaten für die Absender halten. Das Ehepaar Zwerenz=Guttmann
Herr Korff war aber so sehr im Klavterspiel vertieft, daß er noch einige
war aber gar nicht böse, daß die Sendung ihre Adresse verfehlt hatte.
Takte des „Doppeladler=Marsches“ zugab — ohne es zu wissen. Frau
Schweinchen und Rauchfangkehrer, die nun den Salon Girardis zieren,
Medelsky verlängerte ihre vorgeschriebene Nachdenklichkeit um ein Erkleckliches
sollen dort nur weiter ihres Glücksamtes walten.

endlich aber, als Fritz durchaus nicht aufhörte, griff sie zu einem
Wir haben diese Geschichte nur erzählt, um an der Hand der nun
heroischen Mittel, um endlich zum Worte, zu ihrer Frage kommen zu
folgenden ebenso wahrhaftigen Geschichte zu beweisen, daß man sich oft
können:
viel mehr ärgern kann, wenn eine Sendung an die richtige Adresse gelangt,
Frau Medelsky legte plötzlich ihre Hände auf die des spielenden
als wenn sie eine unrichtige erreicht. Man höre:
Fritz, hielt sie fest und sagte dann: „Warum spielst du nicht
Kürzlich wurde, wie bekannt, in Hamburg Siegfried Wagners
weiter?“
jüngstes Werk „Bruder Lustig“ aufgeführt, mid die Zeitungen berichteten
Nun hatte sie dem folgenden Partner das Stichwort gegeben, nun
allerlei Erfreuliches über den Erfolg dieser Oper. Es war kein Wunder,
war jede Stockung besettigt und alles gerettet. Es war ein Zug von
daß die Freunde aus aller Welt den Komponisten beglückwünschten. Unter
Geistesgegenwart, deren man im Bühnenleben nur schwer entraten kann.
den vielen Gratulanten besand sich auch unsere Kammersängerin Rosa
An den Schauspieler tritt wie an den Soldaten im Felde oft die An¬
Papier, die ausgezeichnete Künstlerin, die seit Jahren herzliche Freund¬
forderung heran, sich mutig berauszuhauen — wie es ihm ein Moment
schaftsbande mit der Familie Wagner verknüpfen. Sie setzte sich in ihrer
der Eingebung vorschreibt. Davon wissen auch einige Damen des Hof¬
Wohnung in der Frankenberggasse hin und sendete folgendes Tele¬
operntheaters zu erzählen, die an der jüngsten Aufführung der
gramm ab:
„Walküre“ beteiligt waren.
„Siegfried Wagner
„Hojotoho! Hojotoho! Heiaha! Heiaha!“ rufen die Walküren zum
Hamburg
Beginn des dritten Aktes vom Felsberg herab. Aber es dauerte ziemlich
Stadttheater.
lange, ehe das Publikum diesmal den Walküren=Ruf vernahm. Der dritte
Bin hocherfreut über den großartigen Erfolg Deies jüngsten
Akt wollte nicht beginnen — so lange währte die Zwischenpause.
Werkes! Darum tausend herzliche Glückwünsche!
Was war geschehen? Man denke nur: Eben sollte das Zeichen zum
Deine alte Rosa von der Frankenberggasse.“
Aufziehen des Vorhanges gegeben werden, die Walküren lagerten sich
Die Depesche kam ganz richtig im Hamburger Stadttheater an —
möglichst bequem in der Felsenhöhe — da bemerkte der Inspiztent, daß
allein Frau Papiel wunderte sich, daß sie nicht einmal eine Dankeskarte
nur sieben Walküren auf die Bühne gekommen waren. So oft er auch
vom jungen Wagner erhielt, obgleich schon einige Tage seit der Absendung
zählte, der arme Inspizient, er konnte nur bis auf die Zahl 7 kommen.
der Depesche vergangen waren. Endlich kam die Aufklärung. Denn vor¬
Eine Dame fehlte also. Es war eine der wichtigsten Walküren, Helm¬
gestern erhielt die Kunstlerin ihre eigene Depesche mit dem amtlichen Ver¬
wige, die von Frau Felser gesungen werden sollte. Vergedlich suchte
merk zurück: