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20. Zuischenspiel
— ——
Von den Wiener Theatern 190506.
II.
Pirektor Schleuther scheint den Dorwurf, daß er die Wiener Literatur heimatlos mache
J und nach Berlin vertreibe, endlich entkrften zu wollen. Schnitzler, Bahr, Schönherr
4rücken im Novitätenplan hintereinander auf, und es scheint fast, als würde die Kunst
von den Wienern bestritten werden, indes das Geschäft von auswärts bezogen wird. Ich glaube
aber, daß man sich im Burgtheater bald überzeugm wird, daß die Kunst auch ein Geschäft sein
kann, und daß es durchaus nicht absolut notwemig ist, uuliterarische Stücke zu geben, um die
Kassen zu füllen. Einstweilen nämlich macht Schntzlers „Zwischenspiel“*) ebenso sehr aus¬
verkaufte Häuser wie Schönthans „Klein Dorrit“ Mich über dieses letztere Theaterstück zu
äußern, enthebt mich gottlob der angenehme Umstand, daß darüber in diesen Blättern anläßlich
der Dresdner Dremiere bereits alles Nötige (VIII. Jahrgang, Heft 2, Dag. 85) gesagt wurde.
Die Aufführung am Wiener Burgtheater war zu unserm Heile mehr im Geiste Dickens ge¬
halten, als im Sinne Schönthans. Thimig war als Dorrit sehr ergötzlich, wenngleich ich mir
diese Rolle von Hartmann noch ganz anders gespielt denken kann. Das Seigneuriale Hart¬
manns geht Thimig völlig ab, und gerade der Kontrast zwischen der Würde, die Dorrit sich gibt,
und die er hat, und dem Milien des Schuldgefängnisses, in dem er sich bewegt, ist die reichste
*) Buchausgabe, Vertag S. Fischer, Berlin 0905.
Quelle der Komik im Roman wie im Stück. Dafür aber schwamm Thimig im letzten Akte, der
unverfälschter Schönthan ist, im lustigsten Hossenelement und man konnte viel und herzlich über
ihn lachen. In diesem Akte kommt auch kein ganz kleines, sehr putziges Uegerlein vor, das
hinter der kleinen Dorrit, die nun ein millionenreiches Fräulein geworden ist, einhertrabt, den
Parasol trägt, ganz wie das Negerlein im „Struwwelpeter“, und in unsagbar komischer Weise
den Zrlinderhut abnimmt. Wer über das Kerlchen nicht lacht, ist ein Griesgram, den man gar
nicht ins Theater lassen sollte. Wenn ich Direktor wäre, ich hätte mir diesen Treffer nicht ent¬
gehen lassen. Daß man aber drei Akte lang auf das Negerlein warten muß, ist bitter. Diese
Wartezeit werde ich Schönthan lange nicht vergessen. Frau Rettr war als Klein Dorrit aller¬
liebst. Mie Paganini auf einer Saite, so wäß sie mit einem Ton zu spielen. Aber er hat so
süßen Klang, daß man sich manchmal sogar der Monotonie freut.
Ich muß ApthuxAnitzler um Entschuldigung bitten, daß ich sein Stück abermals in
einem Atem mit Schonthans „M##=Dorrit“ nenne. Aber der Erfolg der beiden Werke bei der
Premiere war sehr ähnlich. Das Publikum blieb beide Male unentschieden. Erst ein späteren
Aufführungen trugen die Signatur des Sieges. Es scheint also, daß es in Wien ebensoviel un¬
literarische wie literarische Menschen gibt und daß beide Parteien einige Zeit brauchen, bis sie
ihre eigene Meinung erkennen.
Man hat in den letzten Tagen Schnitzler sehr oft den stärksten Wiener Dramatiker genannt.
Das ist er gewiß. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß er ein starker Dramatiker=ist. Er ist
kein Mann mit dramatischem Biceps, ja es scheint beinahe, als ob ihm der kräftige dramatische
Zug, der Effekt (man muß ja mit Effekt nicht immer einen bösen Tadel verbinden) unspmpathisch
wären. Seiner zarten, verträumten Art entspricht derbes Zufassen und Zupacken nicht. Und je mehr
er sich zum Lebensweisen läutert, desto mehr weicht er dem, was man im guten oder im schlechten
Sinne „Theater“ nennt, aus. Er schiebt es mit vornehmer, ässiger Gebärde bei Seite. Seine
Kunst mit den leise mitklingenden melancholischen Untertönen, mit der Sordine der Resignation,
durchzittert von Zweifel und Fragen, aufgelöst in einer Lebensscheu, die im Grunde genommen
doch nur der Sehnsucht nach Leben entspringt, ist weicher Anmut vall. Aber es ist stets eine
Anmut in Moll. Der Durakkord des Dramatikers wird immer seltener bei ihm. Es ist, als
würde der Hhi'““ ph, der träumend seine Themen variiert, den Bühnenmann immer heftiger ver¬
drängen. Schnitzlers Philosophie aber ist Liebesphilosophie. Don der Frau geht seine ganze
Kunst aus, von ihr spricht sie unaufhörlich, von ihrem Duft ist sie durchtränkt, ihr Herz regelt
seines Herzens Schlag. Schnitzler ist der geistvollste Erotiker, den Wien je hervorgebracht hat.
Und wenn Speidel von Bauernfeld gesagt hat, daß Wien sich in ihm einen Schnabel wachsen
ließ, so kann man von Schnitzler sagen, daß aus seinem Munde die Wienerstadt spricht, wie sie
liebt und küßt. Unsere ganze Literatur hat keinen größeren Liebesdichter.
Eines ist seltsam: Schnitzler ist mit seinem Witz und seinem Humor zum Lustspieldichter
geboren. Er möchte sich aber zum Tragiker erziehen. So ist auch das Problem des „Zwischen¬
spiel“ eine glänzende Lustspielidee. Der Dichter aber will den Scherz seines Einfalles nicht gelten
lassen und bemüht sich eifrig, schweren Ernst in einen Fall zu legen, über den wir am liebsten
mit dem weltüberlegenen Doeten herzhaft lachen möchten. Der Kapellmeister Amadeus Adams
ist mit der Opernsängerin Cäcilie Ortenberg vermählt. Die Ehe lockert sich. Amadeus hat eine
kleine Liebelei mit einer Schülerin, einer pikanten Gräfin, die gewiß mehr Calent zur Geliebten
als zur Sängerin hat, und Frau Cäcilie läßt sich von einem Fürsten Sigismund den Hof machen.
Da beschließen die beiden Ehegatten, die ihren Bund auf Wahrheit begründet haben, einander
völlige Freiheit zu gewähren. Sie knoten das Eheband auf, sie trennen sich als Mann und
Weib — aber die Kameradschaft zwischen den mehr künstlerisch als menschlich verwandten Na¬
turen soll bestehen bleiben. Und was geschieht nun? Amadeus hat das kleine Abenteuer mit
der Gräfin so rasch überwunden und verwunden wie auch andere Abenteuer gleichen Kalibers.
Das sind Erlebnisse, die nur seine Haut berühren und kaum seine Seele streifen. Cäcilie aber er¬
lebt in Berlin, wo sie gastiert, seelische Berührungen, ohne sich körperlich etwas zu vergeben.
Sie ahnt Kommendes; eine Liebe, die versinken, eine, die aufsteigen könnte. Sie entfernt sich,
der Freiheit wiedergegeben, viel mehr von ihrem Gatten, als er von ihr, der seine Freiheit als
Männchen und nicht als Persönlichkeit genießt. Und als Täcilie nach Wien zurückkehrt, treibt
20. Zuischenspiel
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Von den Wiener Theatern 190506.
II.
Pirektor Schleuther scheint den Dorwurf, daß er die Wiener Literatur heimatlos mache
J und nach Berlin vertreibe, endlich entkrften zu wollen. Schnitzler, Bahr, Schönherr
4rücken im Novitätenplan hintereinander auf, und es scheint fast, als würde die Kunst
von den Wienern bestritten werden, indes das Geschäft von auswärts bezogen wird. Ich glaube
aber, daß man sich im Burgtheater bald überzeugm wird, daß die Kunst auch ein Geschäft sein
kann, und daß es durchaus nicht absolut notwemig ist, uuliterarische Stücke zu geben, um die
Kassen zu füllen. Einstweilen nämlich macht Schntzlers „Zwischenspiel“*) ebenso sehr aus¬
verkaufte Häuser wie Schönthans „Klein Dorrit“ Mich über dieses letztere Theaterstück zu
äußern, enthebt mich gottlob der angenehme Umstand, daß darüber in diesen Blättern anläßlich
der Dresdner Dremiere bereits alles Nötige (VIII. Jahrgang, Heft 2, Dag. 85) gesagt wurde.
Die Aufführung am Wiener Burgtheater war zu unserm Heile mehr im Geiste Dickens ge¬
halten, als im Sinne Schönthans. Thimig war als Dorrit sehr ergötzlich, wenngleich ich mir
diese Rolle von Hartmann noch ganz anders gespielt denken kann. Das Seigneuriale Hart¬
manns geht Thimig völlig ab, und gerade der Kontrast zwischen der Würde, die Dorrit sich gibt,
und die er hat, und dem Milien des Schuldgefängnisses, in dem er sich bewegt, ist die reichste
*) Buchausgabe, Vertag S. Fischer, Berlin 0905.
Quelle der Komik im Roman wie im Stück. Dafür aber schwamm Thimig im letzten Akte, der
unverfälschter Schönthan ist, im lustigsten Hossenelement und man konnte viel und herzlich über
ihn lachen. In diesem Akte kommt auch kein ganz kleines, sehr putziges Uegerlein vor, das
hinter der kleinen Dorrit, die nun ein millionenreiches Fräulein geworden ist, einhertrabt, den
Parasol trägt, ganz wie das Negerlein im „Struwwelpeter“, und in unsagbar komischer Weise
den Zrlinderhut abnimmt. Wer über das Kerlchen nicht lacht, ist ein Griesgram, den man gar
nicht ins Theater lassen sollte. Wenn ich Direktor wäre, ich hätte mir diesen Treffer nicht ent¬
gehen lassen. Daß man aber drei Akte lang auf das Negerlein warten muß, ist bitter. Diese
Wartezeit werde ich Schönthan lange nicht vergessen. Frau Rettr war als Klein Dorrit aller¬
liebst. Mie Paganini auf einer Saite, so wäß sie mit einem Ton zu spielen. Aber er hat so
süßen Klang, daß man sich manchmal sogar der Monotonie freut.
Ich muß ApthuxAnitzler um Entschuldigung bitten, daß ich sein Stück abermals in
einem Atem mit Schonthans „M##=Dorrit“ nenne. Aber der Erfolg der beiden Werke bei der
Premiere war sehr ähnlich. Das Publikum blieb beide Male unentschieden. Erst ein späteren
Aufführungen trugen die Signatur des Sieges. Es scheint also, daß es in Wien ebensoviel un¬
literarische wie literarische Menschen gibt und daß beide Parteien einige Zeit brauchen, bis sie
ihre eigene Meinung erkennen.
Man hat in den letzten Tagen Schnitzler sehr oft den stärksten Wiener Dramatiker genannt.
Das ist er gewiß. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß er ein starker Dramatiker=ist. Er ist
kein Mann mit dramatischem Biceps, ja es scheint beinahe, als ob ihm der kräftige dramatische
Zug, der Effekt (man muß ja mit Effekt nicht immer einen bösen Tadel verbinden) unspmpathisch
wären. Seiner zarten, verträumten Art entspricht derbes Zufassen und Zupacken nicht. Und je mehr
er sich zum Lebensweisen läutert, desto mehr weicht er dem, was man im guten oder im schlechten
Sinne „Theater“ nennt, aus. Er schiebt es mit vornehmer, ässiger Gebärde bei Seite. Seine
Kunst mit den leise mitklingenden melancholischen Untertönen, mit der Sordine der Resignation,
durchzittert von Zweifel und Fragen, aufgelöst in einer Lebensscheu, die im Grunde genommen
doch nur der Sehnsucht nach Leben entspringt, ist weicher Anmut vall. Aber es ist stets eine
Anmut in Moll. Der Durakkord des Dramatikers wird immer seltener bei ihm. Es ist, als
würde der Hhi'““ ph, der träumend seine Themen variiert, den Bühnenmann immer heftiger ver¬
drängen. Schnitzlers Philosophie aber ist Liebesphilosophie. Don der Frau geht seine ganze
Kunst aus, von ihr spricht sie unaufhörlich, von ihrem Duft ist sie durchtränkt, ihr Herz regelt
seines Herzens Schlag. Schnitzler ist der geistvollste Erotiker, den Wien je hervorgebracht hat.
Und wenn Speidel von Bauernfeld gesagt hat, daß Wien sich in ihm einen Schnabel wachsen
ließ, so kann man von Schnitzler sagen, daß aus seinem Munde die Wienerstadt spricht, wie sie
liebt und küßt. Unsere ganze Literatur hat keinen größeren Liebesdichter.
Eines ist seltsam: Schnitzler ist mit seinem Witz und seinem Humor zum Lustspieldichter
geboren. Er möchte sich aber zum Tragiker erziehen. So ist auch das Problem des „Zwischen¬
spiel“ eine glänzende Lustspielidee. Der Dichter aber will den Scherz seines Einfalles nicht gelten
lassen und bemüht sich eifrig, schweren Ernst in einen Fall zu legen, über den wir am liebsten
mit dem weltüberlegenen Doeten herzhaft lachen möchten. Der Kapellmeister Amadeus Adams
ist mit der Opernsängerin Cäcilie Ortenberg vermählt. Die Ehe lockert sich. Amadeus hat eine
kleine Liebelei mit einer Schülerin, einer pikanten Gräfin, die gewiß mehr Calent zur Geliebten
als zur Sängerin hat, und Frau Cäcilie läßt sich von einem Fürsten Sigismund den Hof machen.
Da beschließen die beiden Ehegatten, die ihren Bund auf Wahrheit begründet haben, einander
völlige Freiheit zu gewähren. Sie knoten das Eheband auf, sie trennen sich als Mann und
Weib — aber die Kameradschaft zwischen den mehr künstlerisch als menschlich verwandten Na¬
turen soll bestehen bleiben. Und was geschieht nun? Amadeus hat das kleine Abenteuer mit
der Gräfin so rasch überwunden und verwunden wie auch andere Abenteuer gleichen Kalibers.
Das sind Erlebnisse, die nur seine Haut berühren und kaum seine Seele streifen. Cäcilie aber er¬
lebt in Berlin, wo sie gastiert, seelische Berührungen, ohne sich körperlich etwas zu vergeben.
Sie ahnt Kommendes; eine Liebe, die versinken, eine, die aufsteigen könnte. Sie entfernt sich,
der Freiheit wiedergegeben, viel mehr von ihrem Gatten, als er von ihr, der seine Freiheit als
Männchen und nicht als Persönlichkeit genießt. Und als Täcilie nach Wien zurückkehrt, treibt