II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 454

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Zwischenspiel von Arthur Schnißlen
Schnitzler nennt seine Komödie Zwischenspiel. Was
dem Komponisten das Zwischenspiel bei seinen Opern und
Liedern ist, der übergang zwischen großen Szenen und
Strophen, das ist in ähnlichem Sinne hier im Leben einer!
Künstlerehe ein Zwischenspiek: das Geschehnis zwischen
großen Erlebnissen, das die Verbindung von großen
Lebensperivden darstellt. Was ist in unserem Leben nicht
alles Zwischenspiel! Auch Kapellmeister Adams und seine
Gattin, die Opernsängerin, erfahren es an sich. Sie sind
in ehrlicher Liebe vor den Altar getreten, der künstlerische
Beruf hat sie jahrelang auseinandergeführt, ein jedes hat
seiner Kunst gedient, dann haben sie sich wieder vereinigt
und können sich doch nicht wiederfinden; durch ihre Seelen
aeht eine Flut von Disharmonien, die sie sich selbst herauf¬
beschwören. Eifersüchteleien werfen den ersten falschen
Tou in den Akkord ihres Lebens. Die Eheleute, Komponist
und Sängerin, die der Harmonie dienen, sind im Leben
und Zusammensein so unharmonisch. Sie zerren sich förm¬
lich in einen Strudel von Mißtönen und meiden den
Wohlklang, zu dem sie so sehr befähigt scheinen. So treiben
sich die beiden Menschen auseinander, die sich im Grunde
anziehen. Und man kann, wenn man Idealist ist, nur
darin eine Befriedigung erkennen, daß sich beide vielleicht
wiedervereinen werden, daß die Trennung also nur ein
Zwischenspiel war.
Das Stück, das mehr psychologische Abhandlung als
Drama ist, hat drei große Fehler: im ersten Akt versteht
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man den Mann nicht, im zweiten Akt versteht man die
Frau nicht, und im dritten Akt versteht man alle beide nicht.
Dabei ist das Stück mit einer großen Liebe gearbeitet,
mit einer Ernsthaftigkeit, die neue und feine Kunst¬
wirkungen erstrebt; es ist ein Werk voll gesellschaftlicher
Kultur; die Reden überraschen oft durch ihren hohen Ge¬
halt, die Ausmalung der Verhältnisse einer Künstlerehe
ist sehr reizvoll; aber immer wieder müssen die Gespräche
die Handlung ersetzen, immer wieder werden aus dem
Feuilleton statt aus dem Leben die Motive geholt, sodaß
das Ganze wohl übersein, spitzfindig und erklügelt er¬
scheint, aber der Ausgang nun und nimmer befriedigen
kann. Es liegt in dem Stück ein gemachter Tiefsinn; die
Schwierigkeiten, mit denen die
Personen zu kämpfen
haben, werden bei weitem übertrieben; schattenhafte Be¬
denken müssen kommen, verzwickte Schachzüge werden ge¬
macht, wo eine einfache, klare, natürliche Empfindung sehr
leicht den Weg ins Freie fände. Und doch, auch bei
Menschen mit so übertrieben spitzfindigen Gefühlen wäre
eine herzhafte Komödie noch möglich, wenn der Dichter
eins nur hätte: die lachfrohe Überlegenheit über seine Ge¬
stalten, wenn er wesensverwandt mit ihnen wäre, oder
wenn er, als echter rechter Dichter, zugleich ein paar
Stufen über ihnen stünde. Schnitzler aber sieht seine Ge¬
stalten viel zu feierlich an, er merkt gar nicht, wie Worte
und Sitnationen in diesem Stück förmlich nach dem über¬
legen waltenden Satiriker verlangen, er ist dagegen blind,
wie alles zu einem günstigen Ausgang drängt; Schnitzler
behandelt die Personen wie kostbare Elsenbeinfiguren,
denen beileibe kein Zierat abgebrochen, keine lächerliche
Marle angehängt werden darf: er will seine Figuren zu
einem tragischen Ausgang führen. Das Stück ist von
einem in seine Kunstart und seine Gestalten verliebten“
Dichter geschrieben. Das gibt ihnen wohl eine Zeitlang
die Süßigkeit, die sanfte Melancholie, den vornehmen Glanz
ihres Wesens. Aber zuletzt raubt es dem Stück die Lebens¬
wahrheit.
Bei der Lektüre nimmt sich das Stück viel härter und
ungefüger aus, bei der Aufführung gewinnt es, vieles er¬
scheint abgeschliffener, sympathischer. Nur zu breit ist das
Ganze, und dadurch wirkt es etwas lähmend, aber es
fesselte doch und hielt die Anteilnahme der Zuhörer wach.
Jedenfalls verhalfen die vielen Feinheiten des Dialogs
und die ausgezeichnete Aufführung (Regie Ernst Lewinger)
dem Werke zu einem Erfolg.
Überrascht hat Theodor Becker als Komponist
Amadens Adams. Er hat einen grüblerisch schwankenden
Menschen, der hald mit verblüffender Naivität, bald mit
törichter Hilflosigkeit der Mutter seines Jungen gegen¬
übersteht, zu geben und sand den Ton so schlicht und
natürlich, mit einer Trefssicherheit, die zu besten Hoff¬
nungen für den Künstler auch auf diesem Gebiete berechtigt.
Ebenbürtig stand ihm Hermine Körner zur Seite,
die Adams' kluge, weltgewandte, ihren Gatten liebende“
Frau darzustellen und wie Nora von ihm zu gehen hat.
Ihr feinnügnciertes Spiel, das jede Gedankenfolge und
jede Herzensregung andeutet, fesselte in hohem Maße.
Prachtvoll spielte Lothar Mehnert den gesund denken¬
den, in sich ausgeglichenen Dichter, den ein goldener, mit
amüsantem Spott übergossener Humor das Leben leicht
nehmen läßt. Sein samoses Spiel zog sich wie ein leuchten¬
der Heiterkeitsfaden durch die Akte. Ein ganz hervor¬
ragendes Spiel entfalteten Alice Verden als ver¬
führerische Schöne, Alexander Wierth als gut¬
mütiger Kavalier, Klara Salbach als die resolute
Hausfrau und Freundin, die das Herz auf dem rechten
Fleck hat. Es wäre unrecht, der kleinen Liebeslind
nicht zu gedenken, die den jungen Adams so sicher spielte.
So retlete das prächtige Einzel= und Zusammenspiel — dage
vielleicht um einige Grade noch zu schwer und tragisch ge¬
nommen wurde — die Komödie Schnitzlers vor der Gleich¬
gültigkeit des Publikums.