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19. Der Ruf des Lebens
Telephon 12801.
55
„OBSERVEI,
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
1, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Buds est, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis. New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus
ukunft, Berlin
-3. 3. 1905
vom:
Nach der Tragoedie das Satyrspiel. „Der Ruf des Lebens, Schauspiel
in drei Akten von Arthur Schnitzler.“ Von dem feinen Künstler also, der uns
den „Schleier der Beatrice“ und „Lebendige Stunden“ gab. Der rechte Ton ist
nicht leicht zu finden. Im ersten Aktvergiftet ein geiles Frauenzimmer den kran¬
ken Vater, um in der Nacht neben einem Lieutenant zuliegen. Im zweiten Akt
knallt, im Kasernenzimmer dieses Lieutenants, ein Oberst, der vorher den
Mann von Eisen gemimt hat, seine Frau nieder, weil sie, immer mit dem¬
selben glücklichen Lieutenant, die Ehe gebrochen hat. Da die hysterische Mör¬
derin die Geschichte hinter einem Vorhang belauscht hat, kann sie mit ihrem
Buhlen rasch noch ins Bett. Sie kommt von der Leiche des Vaters und findet
ihn vor dem noch nicht erkalteten Leib der Geliebten; aber im Bettchen ists
warm. Zwischen dem zweiten und dritten Akt erschießt sich zuerst der doppelt,
dann ein einfach geliebter Lieutenant und ein Fabelkürassierregiment jagt in
den Opfertod. Im dritten Akt stirbt, ander Schwindsucht, wie sichs gehört,
eine Prostituirte, die sich für Opheliens Base ausgeben möchte, die Mörderin
g sich im rauerkleid und im Mariyrglanz und scheint nach der einen Nacht
(der Lieutenant war auch gar zu strapazirt) keinen Hunger nach Männerfleisch
mehr zu spüren; und ein philosophischer Doktor versichert, daß eine Frau auch
leben kann, ohne zu morden und Hure zu werden. Einem Forstadjunkten ist
während all des Geredes das Herz im strammen Heldenleib gebrochen.
Der rechte Ton ist nicht leicht zu finden. Soll ich einfach sagen, daß ich
selten Erbärmlicheres, Widrigeres und zugleich Langweiligeres auf einer Bühne
sah? Wozu? Herr Schnitzler hat sich offenbar ja einen Spaß gemacht. Aus
schiemelnden Resten und ranzigen Feuilletonphrasen ein Ragout angerichtet:
zu sehen, ob die sich garso modern, sachverständig, verwöhnt Dünkelnden auch
diesen eklen Fraß herunterschlängen, wenn auf der Speisekarte eine berühmte
Firma steht. Der Direktor des Lessingtheaters war natürlich mit im Karne¬
valsgeheimniß; und Beide sind nun froh, daß ihre Kundschaft die Probe be¬
standen und vernehmlich gerülpst hat. Nur Herr Rittner war für die Schnurre
nicht zu haben. Er zeigte, als Forstadjunkt, daß der Einfall, öffentlich seinen
Beruf zu prostituiren, ihn zur Scham, nicht zur Fröhlichkeit stimme. M. H.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: M. Harden in Berlin. — Verlag der Zukunft in Berlin.
Druck von G. Bernstein in Berlin.
Telephon 12801.
„OBSERVER‘
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: Die Gegenwart, Berlin
-3. 3. 7306
vom:
Schnitzlers „Ruf des Lebens“
Es ist ein Gefühl des Schmerzes, das mich befällt, da ich hier
über das Schnitzlersche Drama das sagen muß, was, wenn man ehr¬
lich ist, einzig darüber gesagt werden kann. Ein Gefühl des
Schmerzes, weil ich einst an Schnitzler hing (und noch immer hänge),
an Schnitzler, diesem besten und verstehendsten Menschen= und Seelen¬
kenner unter den modernen Dichtern; weil ich an ihm hing mit tausen)
Hoffnungen, davon nun viele, viele allgemach gestorben sind. Es muß
gesagt werden: Der „Ruf des Lebens“ ist böseste Theatralik mit einem
starken Stich ins Hintertreppen=Romanhafte, böse, böse. Ich schäme mich um
Schnitzlers willen die Unmöglichkeit auf Unmöglichkeiten häufende Fabel
des Stückes, dieses dramatisirten, mit den größten Effecten arbeitenden
Schauerdramas zu erzählen. Was nützt es, daß in die unglaubliche
„Handlung“ jene verstehenden Schnitzler=Worte eingestreut sind und sie
umhüllen (bisweilen freilich ein wenig zu stark „raisonnirend“) jene
Schnitzler=Worte, die in unsere Seele gleiten wie die tröstende Hand
des wissenden Arztes über die fieberheiße Stirn des Kranken. Sie
lassen es uns nur um so schmerzlicher empfinden, daß Schnitzler solch
„Theaterstück“ schreiben konnte. Er muß wenig wahre Freunde haben,
und sicherlich ist Brahm ihm nicht ein wahrer Freund. Der „Ruf des
Lebens“ hätte nimmermehr aufgeführt werden, geschweige denn im
„Lessing=Theater“ zu Berlin. Wenn solche Schauspieler wie die
Großen des Lessing=Theaters so wenig mit ihren „Rollen“ anzufangen
— wissen, so sichtlich mit verhaltener — oder (wie Rittner) offenbarer —
Unlust spielen, wie diesmal, muß es böse um ein Stück bestellt sein.
Ich will Schnitzler wünschen, daß sein Drama nirgends wo anders
aufgeführt werde. Denn ich hänge noch immer mit herzlicher Ver¬
ehrung an dem Dichter der „Liebelei", des „Sterbens“ und des
„Anatole“
A. In.
19. Der Ruf des Lebens
Telephon 12801.
55
„OBSERVEI,
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
1, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Buds est, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis. New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus
ukunft, Berlin
-3. 3. 1905
vom:
Nach der Tragoedie das Satyrspiel. „Der Ruf des Lebens, Schauspiel
in drei Akten von Arthur Schnitzler.“ Von dem feinen Künstler also, der uns
den „Schleier der Beatrice“ und „Lebendige Stunden“ gab. Der rechte Ton ist
nicht leicht zu finden. Im ersten Aktvergiftet ein geiles Frauenzimmer den kran¬
ken Vater, um in der Nacht neben einem Lieutenant zuliegen. Im zweiten Akt
knallt, im Kasernenzimmer dieses Lieutenants, ein Oberst, der vorher den
Mann von Eisen gemimt hat, seine Frau nieder, weil sie, immer mit dem¬
selben glücklichen Lieutenant, die Ehe gebrochen hat. Da die hysterische Mör¬
derin die Geschichte hinter einem Vorhang belauscht hat, kann sie mit ihrem
Buhlen rasch noch ins Bett. Sie kommt von der Leiche des Vaters und findet
ihn vor dem noch nicht erkalteten Leib der Geliebten; aber im Bettchen ists
warm. Zwischen dem zweiten und dritten Akt erschießt sich zuerst der doppelt,
dann ein einfach geliebter Lieutenant und ein Fabelkürassierregiment jagt in
den Opfertod. Im dritten Akt stirbt, ander Schwindsucht, wie sichs gehört,
eine Prostituirte, die sich für Opheliens Base ausgeben möchte, die Mörderin
g sich im rauerkleid und im Mariyrglanz und scheint nach der einen Nacht
(der Lieutenant war auch gar zu strapazirt) keinen Hunger nach Männerfleisch
mehr zu spüren; und ein philosophischer Doktor versichert, daß eine Frau auch
leben kann, ohne zu morden und Hure zu werden. Einem Forstadjunkten ist
während all des Geredes das Herz im strammen Heldenleib gebrochen.
Der rechte Ton ist nicht leicht zu finden. Soll ich einfach sagen, daß ich
selten Erbärmlicheres, Widrigeres und zugleich Langweiligeres auf einer Bühne
sah? Wozu? Herr Schnitzler hat sich offenbar ja einen Spaß gemacht. Aus
schiemelnden Resten und ranzigen Feuilletonphrasen ein Ragout angerichtet:
zu sehen, ob die sich garso modern, sachverständig, verwöhnt Dünkelnden auch
diesen eklen Fraß herunterschlängen, wenn auf der Speisekarte eine berühmte
Firma steht. Der Direktor des Lessingtheaters war natürlich mit im Karne¬
valsgeheimniß; und Beide sind nun froh, daß ihre Kundschaft die Probe be¬
standen und vernehmlich gerülpst hat. Nur Herr Rittner war für die Schnurre
nicht zu haben. Er zeigte, als Forstadjunkt, daß der Einfall, öffentlich seinen
Beruf zu prostituiren, ihn zur Scham, nicht zur Fröhlichkeit stimme. M. H.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: M. Harden in Berlin. — Verlag der Zukunft in Berlin.
Druck von G. Bernstein in Berlin.
Telephon 12801.
„OBSERVER‘
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: Die Gegenwart, Berlin
-3. 3. 7306
vom:
Schnitzlers „Ruf des Lebens“
Es ist ein Gefühl des Schmerzes, das mich befällt, da ich hier
über das Schnitzlersche Drama das sagen muß, was, wenn man ehr¬
lich ist, einzig darüber gesagt werden kann. Ein Gefühl des
Schmerzes, weil ich einst an Schnitzler hing (und noch immer hänge),
an Schnitzler, diesem besten und verstehendsten Menschen= und Seelen¬
kenner unter den modernen Dichtern; weil ich an ihm hing mit tausen)
Hoffnungen, davon nun viele, viele allgemach gestorben sind. Es muß
gesagt werden: Der „Ruf des Lebens“ ist böseste Theatralik mit einem
starken Stich ins Hintertreppen=Romanhafte, böse, böse. Ich schäme mich um
Schnitzlers willen die Unmöglichkeit auf Unmöglichkeiten häufende Fabel
des Stückes, dieses dramatisirten, mit den größten Effecten arbeitenden
Schauerdramas zu erzählen. Was nützt es, daß in die unglaubliche
„Handlung“ jene verstehenden Schnitzler=Worte eingestreut sind und sie
umhüllen (bisweilen freilich ein wenig zu stark „raisonnirend“) jene
Schnitzler=Worte, die in unsere Seele gleiten wie die tröstende Hand
des wissenden Arztes über die fieberheiße Stirn des Kranken. Sie
lassen es uns nur um so schmerzlicher empfinden, daß Schnitzler solch
„Theaterstück“ schreiben konnte. Er muß wenig wahre Freunde haben,
und sicherlich ist Brahm ihm nicht ein wahrer Freund. Der „Ruf des
Lebens“ hätte nimmermehr aufgeführt werden, geschweige denn im
„Lessing=Theater“ zu Berlin. Wenn solche Schauspieler wie die
Großen des Lessing=Theaters so wenig mit ihren „Rollen“ anzufangen
— wissen, so sichtlich mit verhaltener — oder (wie Rittner) offenbarer —
Unlust spielen, wie diesmal, muß es böse um ein Stück bestellt sein.
Ich will Schnitzler wünschen, daß sein Drama nirgends wo anders
aufgeführt werde. Denn ich hänge noch immer mit herzlicher Ver¬
ehrung an dem Dichter der „Liebelei", des „Sterbens“ und des
„Anatole“
A. In.