II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 255


Keper
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quollenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus
Jaterr. Velks Zeitung, Wie!
12 12.1909
vom:
Theater und Kunst.
Deutsches Volkstheater. („Der Ruf des
Lebens“, Schauspiel in drei Aufzügen von Artur
Schnitzler.) — Man hat gestern Artur Schnitzler sehr
wnede mit Beifall überschüttet, unzähligemale
fmußte er dem Rufe auf die Bühne folgen — aber es war
mnicht der Ruf des Lebens, das etwa seinem neuen Stücke
beschieden wäre. ... Es kann einen Dramatiker sicherlich
locken, die Gewalt des Lebens, die unüberwindliche
Kraft der Lebenssehnsucht bildnerisch in den Bühnen¬
rahmen spannen zu wollen. Der Instinkt zum Leben ist
wohl der stärkste im Menschen und wirft sicherlich rück¬
sichtslos alle Hindernisse zur Seite. Aber über eine gewisse
Grenze, die durch inveterierte Gefühle festgelegt ist, geht
selbst dieser Ruf des Lebens nicht hinaus. Und diese
Grenze überschreitet Schnitzlers Schauspiel „Der Ruf
des Lebens“ in einer alles ethische und ästhelische
Empfinden herausfordernden Weise. So schrill, so bar
jeder melodischen Harmonie und jedes menschlichen Lautes
klingt der wahre Ruf des Lebens nicht. Von so
orgiastischer Trunkenheit erfüllt ist das wahre,,
das normale Leben nicht und darauf kommt
es wohl an. Von unmöglichen Voraussetzungen
ausgehend, gelangt Schnitzler durch eine Kette falscher
Folgerungen zu einem Schluß, der in schiefen Bildern und
seichten Philosophemen sich ergeht. Um ein halbwegs denk¬
bares Milien für die qualvollen Vorgänge zu schaffen,
wird biese ganze romanhafte Geschichte in die Mitte des
vorigen Jahrhunderts verpflanzt. Wie aus einer neu¬
Kromantischen Ballade klingt die Mär von den blauen
Kürassieren, die um eine Schuld feiger Flucht zu fühnen,
die ihre Vorfahren vor 30 Jahren auf sich geladen,
beschließen, in dem soeben ausgebrochenen Krieg bis zum
letzten Mann zu kämpfen und zu fallen. Was aber wie
der Eidschwur der Totenkopfhusaren in den deutschen
Freiheitskriegen anhebt, verläuft wie eine blutrünstige
Schauerballade im Stil des „Glöckners von
Aus der deutschen Ballade
Notre Dame“
von Ehre und Treue wird eine literarisch
aufgedonnerte Boulevardkomödie mit allen Greueln und
Foltern der d’Enneryschen Folterkammer, aufgeputzt mit
der widerlich=süßlichen Sentimentalität eines Coppée. Es
ist ein Schauspiel in drei Sterbeakten. Und was für
qualvolles, knalleffektliches Sterben. Im ersten Akt gibt
die Tochter dem kranken Vater (man bittet den Hinweis
auf Goethes Gretchen zu vermeiden!) einen so ausgiebigen
Schlaftrunk, daß er tot zusammenbricht. An der noch
warmen Leiche vorüber eilt sie zum Stelldichein mit ihrem
blauen“ Leutnant. Der hat es aber mit der jungen Frau
des alten Obersten gehalten, die ihn zu letzter Stunde
noch besucht. Der Oberst überrascht das Paar und knallt die
Frau nieder. An der Leiche der früheren Geliebten vorüber
eilt der Leutnant mit dem liebesgierigen Mädchen in die
Liebesnacht hinaus und dort tollt diese Base in heißer
Liebeslust und erst nach einem Jahre kehrt sie verwüstet
nach Hause, um zu sterben. Nein, und trotz dem Beifall
von starken Freundeshänden, nochmals nein: Der Ruf
des Lebens ist nicht bloß der Ruf nach der Brautkammer,
wie es das neue Schauspiel des Herrn Schnitzler hart
und brutal zeichnet. Zum Schluß freilich wird alles
umgedeutet: Was sich seinen=Trieben folgend noch kurz
vorher herrisch aufgetan, übergeht ins Larmoyante, in
salbungsvoller Pathetik schwelgend ... Es braucht nicht
eigens betont zu werden, daß auch dieses Werk die Vor¬
züge des Schnitzlerischen Dialogs hat, viele geistvolle
Worte aufweist ... Die Künstler des Deutschen Volks¬
theaters sind dem Dichter nichts schuldig geblieben.
Käthe Hannemann bot ein ergreifendes
Bild verstörter Jugend. Sie war von wundervoller Echt¬
heit in dem müden Ton der Dulderin und der Extase des
„Süßen Mädels“. ... Neben ihr Direktor Weisse, der
den Oberst Cast überlegen, mit einer zornigen Ironie
und Höhe gab. Paula Müller spielt namentlich die
Sterbeszene mit Tönen, die wie aus fernen Welten herüber¬
klingen, Herr Kutschera den Raisonneur des Stückes
mit warmer Eindringlichkeit. Bleiben noch mit allen Ehren
Frau Thall#e und Fräulein Marberg, Homma,
Kramend Klitsch zu nennen, die dem peinlichen
Stück zukkinem äußeren Erfolg verhalsen. Aher ein langes
Lebenwird der 9ef des Lebens wohl dac icht habep.

Telephon 12.801.
Dt.
„OUSERVER
4 österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Aussohnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
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in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
nagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
Quellenangabe ohne Gowähr).
Ausschnitt aus
Wrastter Zeitung. Wien
12 12. 1909
vom:
Theater und Kunst.
Deutsches Volkstheater. Seitdem das Burgtheater un¬
interessant geworden, lebt vor allem in diesem Hause an
manchen Abenden jene erregende und erregte Erwartung einer
empfangsbereiten Zuhörerschaft, die auf einen Dichter wartet.
„Der Ruf des Lebens“ von Arthur Schnitzler ist
eine Dichtung und ein Theaterstück! Als Dichtung ist sie mit
jenen pantheistischen Stimmungen geschmückt, die Schnitzlere
edelste und eigenste Regungen sind. Als Theaterstügkist
dieses Schauspiel geladen mit Spannungen und Kontrasten,!
die dem Techniker Schnitzler alle Ehre machen. Aber es
ist charakteristisch für die Noblesse dieses Schriftstellers,
daß er alle Revolverspannungen und Todeseffekte fallen läßt,
um schließlich mit seiner reinsten lyrischen Stimme zu reden.
Ein Spannungsdrama, das mit einem Gebet aufhört!...
Versteht sich, daß dieses Dichterwort noch gelassen gewürdigt
werden soll. Die Aufführung im Volkstheater wurde bejubelt.
Je zarter das Schauspiel wird, desto matter freilich wurden die
Zuschauer. Fräulein Müller hatte den größten schauspieleri¬
chen Erfolg; plötzlich hörte man Opheliatöne von ihr. Sehr
chön, sehr innig und stark war Fräulein Hannemann. In
einer Mitterwurzer=Rolle versagte — man muß es deutlich
sagen — Herr Weisse ganz. Dergleichen sollte er nicht auf:
seine Schultern nehmen.
st. 6r.