II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 262

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Erfolg berann aber nicht darüber täuschen, daß
ein recht schwaches, Stück ist, das der früher so pro¬
es
duktive Autor nachslängerer Pause wieder von sich gegeben
hat. Und um dem Publikum wieder einmal etwas sagen zu
können, hat Herr Schnitzler außerdem noch eine
so gründliche Umkrempelung seiner bisherigen Individualität
vorgenommen, daß er kaum wieder zu erkennen war. Seine
Freunde — und sie haben sich alle eingefunden — konnten
aber dadurch nicht aus der Fassung gebracht werden. Wenn das
Stück anonym aufgeführt worden wäre, hätten sie es
wahrscheinlich in Grund und Boden gezischt; weil sic aber
den Autor kannten, rauschte eine Flut von Beifall auf die
Bühne nieder, wie wir ihn in solcher Reichlichkeit schon
lange nicht zu konstatieren Gelegenheit hatten. Schnitzler,
einer der Allermodernsten, arbeitet diesmal mit Mitteln, die
*sodalt und abgebraucht sind, daß sie, wenn sie ein anderer
anwenden würde, wahrscheinlich als verstaubtes dramatisches
Rüstzeug einer längst vergangenen Zeit verlacht werden würden.
Mit dem Titel „Der Ruf des Lebens“ steht die Handlung
in dem allergrassesten Gegensatze. Jeder der drei Akte endet
mit dem sich auf offener Szene ereignenden Tode eines der
Hauptdarsteller, außerdem hören wir von einem Selbst¬
morde und zu allem Ueberfluß wird auch noch ein ganzes
Kürassierregiment in den Tod geschickt, weil es dem Autor
so gefällt. Den Ruf des Lebens nenut Schnitzler den Durst
nach dem Genusse, der insbesondere den befällt, der durch
die Verhältnisse zur Enthaltsamkeit gezwungen wird.
Ein junge. Mädchen (Fräulein Hannemann) bring
(Herr
seine Jahre damit hin, einen alten Vater
Homma) zu pflegen, der der Tochter jed
freie Stunde, jedes harmlose Vergnügen neidet
Der Alte ist einst Rittmeister gewesen und nahm dann der
Abschied. Er trägt die Schuld, daß sein Regiment, die
blauen Kürassiere, in einer entscheidenden Schlacht schmählick
geflohen ist. Der Ruf des Lebens hat ihn damals zun
Feigling gemacht. Das heiße Blut treibt das Mädchen for
aus der Krankenstube, aber der Alte versperrt die Türe
die in die Freiheit führt. Da gießt ihm die Tochter in da¬
Glas Wasser, das er verlangt, das ganze Fläschchen de
Schlaf bringenden Tropfen, die der Arzt verordnet hat
so daß er tot hinsinkt. Nun eilt sie fort in die Kaserne, zu
dem jungen Offizier, der sie in einer einzigen durchtanzter
Nacht lieben gelernt hat. Der junge Leutnank (Herr
) gehürt dem „blauen“ Regimente an, das
Kram
einstens seine Fahne schändete und das jetzt, da es soeben
auf den Kriegsschauplatz abgeht — das Stück spielt um die
Mitte des vorigen Jahrhundertes — beschlossen hat, auf
einem verlorenen Posten zu kämpfen, um das bemakelte
Ehrenschild wieder rein zu waschen. Das heißt, man weiß
wgar nicht so genau, ob es eine solche Schuld wirklich gegeben
hat, die Regimentsgeschichte führt darüber nichts Genaues
an. Der Oberst (Herr Weisse) will es haben, da߬
er und seine Leute dem Tode geweiht werden. Er ist von
der Untreue seiner Frau (Fräulein Marberg) über¬
zeugt, ohne zu wissen, wer ihr Geliebter ist. In der Nacht
vor dem Abmarsche entdeckt er ihn in dem Leutnant, von
dem schon die Rede war. Die Frau Oberst hat sich zu dem
jungen Offizier geschlichen, um ihn zu bereden, seine Pflicht
zu vergessen, und die beiden werden durch den durch das
Fenster eindringenden Kommandeur überrascht. Die ehe¬
Pistolenschuß des
streckt ein
brecherische Frau
der Leutnant muß
eisersüchtigen Gatten nieder,
sich noch vor dem Morgengrauen selbst erschießen. Vorher
genießt er aber noch ein letztes Liebesglück in den Armen
des Mädchens, das seinen Vater tötete, um dem Rufe des
Lebens zu folgen und das in dem Alkoven der Offiziers¬
wohnung Zeugin alles desser war, was sich dort abspielte.
der Reue ist der Preis für
Ein Leben der Trauer
die Wonne weniger flüchgen Stunden. Aber auch die
Base des Mädchens (Fräulein Müller), die an un¬
heilbarer Lungenschwindsucht leidet, wird ein Opfer des
Rufes des Lebens. Die dem Tode Verfallene glaubt, die
wenigen Jahre, die ihr gegönnt sind, rastlos ausnützen
zu sollen, sie flieht daher das Haus der Mutter, wirft sich
der Zügellosigkeit und dem Laster in die Arme und kehrt
erst zurück, als es ans Sterben geht. Es wäre verlockend,
das hohle, mit pathetischen Phrasen theatralisch aufgedonnerte
Stück in seiner ganzen Nichtigkeit zu zeigen. Es würde sich
auch lohnen, mit dem Autor über die Auffassung zu rechten,
die er in bezug auf Soldatenehre zur Diskussion stellt. Dem
gestrigen Premierepublikum ist das alles nicht zum
Bewußtsein gekommen, es hat sich für den Autor
und sein Werk erklärt, trotzdem ihm nicht einmal
der Vorzug der Originalität zuzuerkennen ist, denn es steig
uns der Moderduft verschiedener alter, längst abgetane¬
Bühnenwerke in die Nase und wir werden gleichzeitig an
„Rosenmontag“ und „Zapfenstreich“ erinnert, ja selbst da¬
„Greichen“=Motiv des alten Goethe klingt uns entgegen
Die Darstellung war eine vortreffliche. Die Dami¬
Hannemann, Müller und Thaller sowie d
Herren Homma, Kramer, Kutschera, Weiss¬
und Klitsch verdienen uneingeschränktes Lob. —ei—.
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vom 1 2 DFz 1909
Theater und Bunst.
Denisches Volfscheater. Seitdem das Burgtsnater sin¬
interessant geworden, lei# dor allem in diesem Hause an
manchen Abenden jene erregunde und erregte Ermartung einer
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#uhörerschst, die auf einen Dichter wartet.
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daß er alle Revolverspannungen und Todeseffekte fallen läßt,
um schließlich mit seiner reinsten lyrischen Stimme zu reden.
Ein Spannungsdrama, das mit einem Gebet aufhört!...
Versteht sich, daß dieses Dichterwort noch gelassen gewürdigt
werden soll. Die Aufführung im Volkstheater wurde bejubelt.
Je zarter das Schauspiel wird, desto matter freilich wurden die
Zuschauer. Fräulein Müller hatte den größten schauspieleri¬
schen Erfolg; plötzlich hörte man Opheliatöne von ihr. Sehr#
schön, sehr innig und stark war Fräulein Hannemann. Ins
einer Mitterwurzer=Rolle versagte — man muß es deutlich
sagen — Herr Weisse ganz. Dergleichen sollte er nicht auf

seine Schultern nehmen.
Teiephon 12.801.
„ODSLIIVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertrefungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Gnellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus Prazer Tagespost, Graz
13 12. 1909
Abendblatt
vom:
Schnitzlers Der Ruf des Lebens. Im Deutschen
Volkschealer Im Wien erzielte Schnitzlers Ruf des
Lebens besonders nach den ersten beiden Akten Erfolg.
Dec Autor und die Hauptdarsteller Homma, Kramer,
Weisse und Hannemann wurden oft gerufen. Das Stück
ist in der vorigen Saison in Prag mit achtungsvollem
Erfolg gegeben worden, ohne aber eine bedeutendere
Anzahl von Wiederholungen zu erzielen.