II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 301

theater ein Schauspiel, betitel „Der Ruf des
Lebens“ zur Verfügung gestellt und hat die erste
Aufführung vergangene Woche Samstag statt¬
gefunden. Es soll keine Voreingenommenheit gegen
den gewiß höchst begabten Dichter Arthur Schnitzler
sein, wenn wir auf Ihre Zuschrift um unsere An¬
sicht über dieses Stück antworten, und zwar kurz
und lapidar mit der Bezeichnung: es war ein
großer Dreck!
Direktor Schlenther hat Glück. Wie hätten
sich die „sachverständigen“ Kritiker gefreut.
wenn dieser moderne Unsinn im Burgtheater¬
zur Aufführung gelangt wäre, um dann ihre Ge¬
hässigkeit gegen Direktor Schlenther einmal moti¬
viert ausdrücken zu können. Freilich steht noch die
Frage aus, ob man gegen Bruder Schnitzler den
Mut aufgebracht hätte, den man gegen Schlenther
aufbringt. Tatsache ist aber, daß ein so ödes,
von Widersprüchen gespicktes Schau¬
spiel wohl seit Bestand des Deutschen
Volkstheaters noch nicht aufgeführt
wurde.
Abgesehen von dem geradezu zur Schau ge¬
stellten Massenmord, den dieses Stück beinhaltet,
muß man staunen, daß ein Poet von der Be¬
deutung Schnitzlers auf einer erstklassigen Bühne
so viel Unsinn bekunden darf. Es ist höchst un¬
logisch, eine Tochter zur Mörderin ihres Vaters
werden zu lassen, wenn sie durch 10 Tropfen
Schlaftrunk denselben angestrebten Zweck erreicht
hätte. Abgesehen davon, daß es ja ein Unsinn
ist, eine Tochter ununterbrochen zur
Krankenpflegerin zu zwingen, da die Natur
eines jungen Mädchens höchstens zwei Nächte den
Schlaf zu bekämpfen imstande wäre und daher alle
Bosheit selbst des giftigsten Kranken gegenstands¬
los sein müßte.
Die zweite Unmöglichkeit, um uns gelinde
auszudrücken, ist der Umstand, daß ein Oberst ein
Regiment überhaupt nich irgendwo selbständig
hin dirigieren kann und dazu gar noch mit der
Bestimmung, daß kein einziger zurückkehren dürfe.
Die Bestimmung, wo ein Regiment im Kriegsfall
Aufstellung zu nehmen hat, trifft der Korps¬
kommandant und der Brigadier und der
Oberst hat sich dorthin zu stellen, wohin er
befohlen wird. Und wenn man auch noch so
viel Heldenmut beim Militär wünscht, einen Mut,
der gar keinen anderen Zweck hat, als ein
Regiment bis zum letzten Mann aufzu¬
reiben, nur deshalb, weil den Oberst seine Frau
betrügt, den duldet man selbst in der dis¬
zipliniertesten Armee nicht.
Die Lächerlichkeit des Stückes aber fort
gesetzt bildet die Figur der tuberkulosen Katharina,
welche sich wahnsinnigen Ausschweifungen hingibt,
weil sie einen unerträglich faden Forstadjunkten
nicht zum Manne erhält.
Ein Moderner, wie Arthur Schnitzler,
der sollte seinem Auditorium nicht derlei Dinge
bieten, weil, wenn sich solche Abscheulichkeiten in
Wirklichkeit einmal ereignen sollten, gewiß kein
Grund vorhanden ist, das Publikum auf der Bühne
damit zu quälen, denn es ist weder aus der
tuberkulosen Katharina, noch aus der ungetreuen
Oberstensgattin ein Schluß für ein richtiges Ver¬
halten zu ziehen und so war das ganze ein ver¬
lorener Abend. Die Schauspieler wußten mit ihren
Rollen nichts anzufangen, das Publikum murrte
wirklich, nur die Kritik, welche diesmal in keine
Lobeshymnen ausbrechen konnte, wand sich geschickt
mit den üblichen geistreichen Bemerkungen durch
drei oder vier Akte durch und die „Sachver¬
ständigen“, welche Schlenther wegen Aufführung
eines solchen Stückes gesteinigt hätten, schwiegen,
weil ihr Mut nur dazu ausreicht, einen Mann zu
bekämpfen, dessen Enifernung von gewisser Seite
gewünscht wird.
Alles in Allem genommen, ist „Hargundl am
Bach“ ein epochales Meisterwerk gegen die neueste
Mißgeburt Arthur Schnitzlers.
Telephon 12.801.
D.

„UBSENVEN
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschhitt aus:
19067
Rante Blätter, Wien
CCSE
Aus dem Reich der Schminke.

(Deutsches Dolkstheater.) Man bekommt
hier wieder literarische Passionen, seitdem man
sieht, daß mit der Literatur bessere Geschäfte
zu machen sind, als mit den französischen Zoten.
Dieser Geschmacksänderung des Publikums
danken wir die geradezu hervorragende Auf¬
führung von Schnitzlers „Ruf des
Lebens“ einem Stücke, das wegen seiner tiefer¬
liegenden Schönheiten, seiner schwer verständlichen
Mystik bisher an keiner Bühne aufgeführt wurde.
Merkwürdigerweise hat das Publikum, das zum
großen Teile den inneren Wert der Arbeit
nicht erkennt, es nicht einmal versucht, sich der
Macht der Dichtung zu entziehen und hat sich
willig dem Zauber der Szeue hingegeben. Eine
mächtige Hilfe fand Schnitzler in der Darstellung,
die alle hervorragenden Kräfte des Hauses be¬
schäftigte. Durch diese glänzende Interpretation
gelingt es, jede einzelne Rolle in einwandfreier,
künstlerisch unübertrefflicher Weise herauszu¬
bringen und dadurch dem Publikum das Ver¬
ständnis zu erleichtern. Die Rolle der Marie
wurde von Frl. Hannemann in der ihr eigenen
träuenreichen Trauer wirksam gegeben. Allein
Frl. Paula Müller hätte aus dieser wirklich
großartigen Rolle nicht nur mehr zu machen
gewußt, sondern uns die Gestalt auch menschlich
näher bringen können Frl. Müller mußte sich
statt dessen mit der Rolle der Katharina be¬
gnügen, die sie sehr scharf und treffend zu charak¬
terisieren wußte, besonders die Sterbeszene spielte
sie in überwältigender Weise. Frl. Marberg
hatte nicht viel mehr zu tun, als gut auszu¬
sehen und das tat sie. Von den Herren war
Herr Kramer entschieden der Beste. Herr
Kutschera gab sich zwar redliche Mühe, konnte
aber den Sinn seiner Gestalt nicht erfassen und
Direktor
blieb deshalb stets unglaubhaft.
Weisse fand eine ihm direkt auf den Leib ge¬
schriebene Rolle, die er mit bekanntem Erfolg
gab. Auch Herr Edthofer kannte sich diesmal
nicht recht aus, während Herr Homma die
Figur des alten Moser, eine wahre Pracht¬
leistung, schuf. In der ganzen Aufführung lag
zwar kein einheitlicher Zug, es fehlte an allen
Ecken an dem nötigen Verständnis, aber es
waren so viele prächtige Einzelleistungen da und
es ist vor allem das Werk eines echten Dichters,
so daß es ein lauter und ehrlicher Erfolg war.