II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 108

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18. Der einsane Neg
rakteren und Temperamenten voneinander und
von andern wohl unterschieden, dürfen sie doch
beide den Professor Rubek als Ahnherrn an¬
sprechen. Beide klagen in Reue über ein ver¬
lorenes Leben; beide blicken über das Dasein
wie über ein Schlachtfeld hin, auf dem ihr
Künstleregoismus traurige Siege erfochten hat.
Das Künstlertum ist ihnen menschlich unfrucht¬
bar gewesen; allein werden sie den Weg gehen
müssen, der von der Lebenshöhe ins dumpfe
Alter hinabführt. Wie Rubek waren diese
Künstler schuldbeladene Männer. Sie waren
„ohne Kraft und ohne Willen und voll Abso¬
lution für alle ihre Handlungen und alle ihre
Gedanken“. Die Selbstentfühnung durch Offen¬
heit macht sie nicht freier oder besser. Sie
müssen ihren dunklen Weg zu Ende gehen.
Beide hätten angesichts ihres Bankrotts wohl
noch einen Weggenossen haben können; aber
die verwandten Geister entgleiten ihnen wie
Schatten.
Der Maler Julian Fichtner findet seinen
Sohn; in der bittersten Stunde seines Lebens
muß er ihm Aufklärung schaffen über seine und
der verführten Mutter Schuld; aber er bleibt
unentlastet vor seinem Kinde und muß fühlen,
„daß man sehr wenig für einen Menschen ge¬
tan hat, wenn man nichts weiter tat, als ihn
in die Welt setzen.“ Der Sohn nimmt in kühler
Erschütterung Kenntnis von dem Fakium, daß
er die Zufälligkeit der Geburt einem anderen
verdanke, als dem, den er in herzlicher Zunei¬
zieht
gung bisher Vater genannt hat; er
Dr. Max Goldschmidt
Be¬
es aber vor, nicht den rechtlichen
griff der Vaterschaft anzuerkennen, son¬
Bureau für
ge¬
dern seinem gesunden Gefühl zu
Zeitungsausschnitte
nügen und dankbar an der Seite dessen
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
zu bleiben, der zwar nicht sein Erzeuger, aber
doch im Geiste und in der Wahrheit sein Vater
eigene Korrespondenten.
gewesen ist. Und der Dichter und Weltmann
Telephon: III, 3051.
Berlin N. 24.
Stephan von Sala findet im traurigen Herbste

seines Lebens noch die stürmische Liebe eines
jungen Mädchens, der, wie einst ihrer sün¬
Ausschnitt aus
zu verbreiten höher
digen Mutter, Glück
stand als „schuldlos sein“ aber er konnte
diese seine letzte Freundin wohl ge¬
winnen, aber er kann sie nicht halten; er ist
leidend und dem Tode geweiht; das ahnt das
Berliner Zeitung
Mädchen bis zur Gewißheit, und weil sie sich
für des Daseins Häßlichkeiten nicht geschaffen
fühlt, so schlägt sie die dargebotene Ehe aus
und zieht einen jungen Tod langem Mitleiden
vor. Ueber dieses Opfer kommt der Mann nicht
16. 2. 04
mehr hinweg. Die Figur des Mädchens übri¬
gens wird weder dem Zuschauer noch dem Leser
des Buches völlig klar. Es ist ein Geschöpf mehr
der Reflexion als der Anschauung.
Schnitzlers Einsamer Weg.
Der Bruder dagegen ist eine Erscheinung,
die durchaus in der Wirklichkeit steht; eine reine,
(Erste Aufführung am Deutschen
schöne, warme Ephebengestalt von geraden Emp¬
Theater.)
findungen und anständigen Gesinnungen. Er
In die Jahre gekommen, sucht der Mensch
gehört zu dem neuen Geschlecht, das „mehr
und Dichter Schnitzler eine neue Art der Welt¬
Haltung und weniger Geist“ hat als die rück¬
und Menschenauffassung; er sieht den Lauf der
sichtslosen Künstler=Genießer. Dabei ein Mensch
Dinge aus gemessener Ferne, wertet die Er¬
von einer überaus zarten Organisation der
scheinungen nicht nach dem, was sie sind, son¬
Nerven, sehr suggestiv und reagierend auf bloße
dern nach dem, was sie bedeuten, fragt nach
Zeichen und halbe Töne: die Entdeckung seines
und
dem ethischen Verhältnis von Leben
wirklichen Vaters erlebt er, ohne daß eigentlich
Künstlerschaft und gibt melancholische, aber
ein Wort zu fallen braucht, ganz aus der
nicht hoffnungslose Antwort; er selbst hat ein
seelischen Anschauung eines Bildes heraus, das,
Stück Leben überwunden.
darstellend seine junge Mutter, ihm von dem
Der alternde Ibsen wies den Weg. Das
Genossen ihrer Schuld dargereicht wird. Er
große Abrechnungsdrama „Wenn wir Toten
ist sittlich nicht mehr vom Stamme dieses
erwachen“ schuf die Grundlage für die Schnitz¬
Mannes, er steht mit seinen Gedanken und
lerschen Stimmungen. Ein jugendliches Ge¬
Gefühlen auf dem Boden des guten Menschen,
schwisterpaar wird von tragischen Schicksalen
der sein Erzieher und Behüter war: das aber ist
erreicht: aber die eigentlichen Helden sind doch
die ahnungslose, kindliche Seele, die mitten
zwei Künstlermenschen, zwei Spieler in der Le¬
im Betruge sitzt und die Welt mit herrlicher
benskomödie, die sich immer so gut das „Stich¬
Selbstlosigkeit umfängt. (Ibsen hat von diesen
wort zu geben“ wußten und darum voreinander
die Masken fallen lassen dürfen. In den Cha= Menschenbildern etliche gezeichnet; aber man
kann hier nicht wohl von einer „Nachahmung“
sprechen: denn die Figur ist bei Schnitzler nicht
Begriff geblieben, sondern leibhaftig geworden.
Ibsen hat Schnitzler nur gelehrt, solche Men¬
schen zu sehen.) Auch ein Künstler, aber keiner
von den Stürmern; ein Pflichtmensch, klein
von Geist, doch groß durch seine Güte; ge¬
macht zu „betreuen“ und gescheiterte Existen¬
zen in seine Arme zu nehmen. Einer, der die
Liebe hat, d. h. „für jemand andern auf der¬
Welt sein kann“. Von diesen beiden prächtigen
Gestalten, geht das belebende und aufrichtende
Licht aus, das in die pessimistischen Irrungen
und Wirrungen dieser Familientragödie fällt.
Einsame und büstere Wege zogen Frau, Tochter,
Freunde. Und es ist eine feine Wendung, daß
der Weg jener beiden nicht einsam sein wird.
Jeder von ihnen hat einen Menschen und ein
Ziel, für das er leben kann. Und so scheinen sie
nicht nur Vater und Sohn, sie sind es auch.
Den neuen Stil hat Schnitzler in seinem dich¬
terischen Sehvermögen und in seinem ehrlichen
Künstlenwillen, noch nicht ganz aber im
dramatischen Ausdruck gefunden. Das Stück
hat als Stück zu viel epische Strecken; das
Bild ist zu flächig, und einzelne Partieen davon
zerfließe und verschwimmen überdies vor der
anschauenden Phantasie. Die Dialoge sind oft
zu breit und zu ausruhend: sie fördern geistigen
Reichtum, den man sehr gern genießt: aber der
Dichter vergißt zuweilen, daß sie nur Mittel zu
einem dramatischen Zweck sein sollten. Uebrigens
hat die Darstellung mit Glück versucht, lebhaf¬
tere und stärkere Lichter aufzusetzen: sie war
voll Wert und Bedeutung. Herr Rittner spielte
von den beiden Künstlern die temperament¬
vollere Natur, Herr Bassermann den müden
frivol erscheinenden Mann, der die edlen Wal¬
lungen hat, doch in Selbstironie sich ihrer
schämt, der das Leben nicht nur mit Worten
leicht bewertet, sondern auch am Ende durch
die Tat. Herr Sauer und Herr Stieler —
die reife Güte und die jugendliche heitere Men¬
schenliebe. Frau Lehmann gab die Episoden=
figur einer früheren Schauspielerin, die als
die gar nicht egoistische Freundin der Egoisten
zeitweilig in die Ereignisse eingreift: eine
lebensfreudiges und gutherziges Wesen, auf das
die Melancholie der Kameraden wohl Schatten,
aber nicht bleibende Schatten werfen kann.
J. E.
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