box 2373
18. Der einsane Nen
hingeben? Nein! So ließ er Gabriele im Stiche, die boten überaus fein individualisierte Gestalten. Herr
Wegerath heiratete. Nach zehn Jahren erfährt ex, daß Reicher hingegen als Julian Fichtner schien uns nicht
der Sprößling dieser Ehe, die in ungetrübtem Glück sich ganz den Intentionen des Dichters zu entsprechen. Fichtner
abspinnt, sein Sohn sei. Weitere dreizehn Jahre sind) soll ein Charmeur sein — aber gerade diesen Zauber der
Persönlichkeit vermißte man in dem Interpreten der Rolle.
verstrichen. Felix, so heißt der Sohn, ist jetzt ein
Frau Else Lehmann huschte in einer Episodenrolle
dreiundzwanzigjähriger, schmucker Uhlane. Diesem Sohne,
vorüber, die sie mit entzückendem Humor und erquicklicher
der kürzlich seine Mutter verloren, enthüllt Fichtner das
Gemütsinnigkeit ausstattete. Marco Brociner.
Geheimnis seiner Geburt. Er beschönigt nichts. Er allein
war der Schuldige. Er war es, der das arme Mädchen
betrog und verriet. Warum er es getan? Aus dem gleichen
Motiv, das Goethe dazu trieb, die elsässische Pfarrers¬
tochter zu verlassen. Egoismus der großen Künstlernatur.
Und dabei pocht er leise an das Herz des jungen Mannes.
Nun aber erfährt er, daß die physiologische Tatsache der
Vaterschaft nichts bedeutet, daß die Vaterschaft nur durch
jene Liebe erworben wird, die rastlos sorgt und wacht,
Stunde für Stunde. Tag für Tag, Monate und Jahre
hindurch. Sein Sohn wendet sich von ihm. Jetzt ist er
auch als Mensch bankerott. Und nun erst ist es auf seinem
Lebenswege still und einsam für immer.
Das Stück ist eigentlich aus. Schnitzler schien jedoch
seine Grundidee durch dieses eine Beispiel nicht eindringlich
genug illustriert. Er variierte daher sein Hauptmotiv in
zwei anderen Gestalten des Schauspieles. Ebenso wie dem
Maler Fichtner, ist auch dem Dichter Sala Leben und
Kunst zerronnen. In beiden Fällen die gleiche seelische
Struktur. Nur daß Sala überdies mit einem Todeskeime
behaftet ist. Der merkwürdigste Kasus ist aber Johanna,
die Tochter, die wirkliche Tochter Wegeraths, der, nebenbei
bemerkt, Direktor der Akademie der bildenden Künste ist.
Johanna ist Sala und Fichtner ins Weibliche trans¬
poniert. Eine Hysterikerin, die alles Schöne und alles Ge¬
meine im Leben auskosten will. Ein Weib ohne Herz, ohne
Gemüt, aber mit einer glühenden, krankhaft erregten
Phantasie. Darum erscheint ihr Sala als Ideal eines
Mannes. Das ist ja ein schönheitssüchtiger Aesthet, der
auch alle Perversitäten des Lebens aus dem Grunde kennt.
Diesem Manne gibt sie sich willenlos hin. Dann geht sie
F.
ins Wasser. Das Motiv, das sie zum Selbstmorde drängt,
ist nicht recht klar. Man muß, um es zu ergründen,
Zeichendeuterei treiben. Johanna weiß, daß Sala dem
1 Tode geweiht ist. Sie hat mit ihm in einem flüchtigen
Rausche die Schonheit des Lebens ausgeschlürft. Was kann
ihr das Dasein noch bieten? Sie wirft es von sich.
Was ist der Sinn des Ganzen? Will Schnitzler den
gealterten Don Juan zeigen? Ihn vorführen, wie er aus¬
schaut, wenn seine Lust ausgetobt, wenn er vergebens um
einen Funken echter, ehrlicher Liebe bettelt, und die trost¬
Aose Erkenntnis in ihm aufdämmert, daß seine Lebens¬
weisheit zu Schanden geworden? Man darf diese Frage
Gasspiel des Telkng-Thealer###
bejahen und dabei dem Stücke noch eine andere Deutung
(Theater an der Wien.)
geben. Dr. Reumann, eine Figur im Schauspiel, sagt:
er Mal: „Der einsame Weg.“ Schauspiel in fünf
„Eine Lüge, die sich so stark erwiesen hat, daß sie den
Akten von Artbur Schnlssler.)
Frieden eines Hauses tragen kann, ist mindestens so ver¬
Maler Julian Fichtner wbandert einsam auf
ehrungswürdig wie eine Wahrheit, die nichts anderes ver¬
benswege dahin. Aber diese Einsamkeit ist mit
möchte, als das Bild der Vergangenheit zu zerstören, das
Liebesepisoden reich durchwoben. Fichtner ist ein
Gefühl der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der
er, schönheitssüchtiger und gemütsloser Lebens¬
Zukunft zu verwirren“. Was hier ausgesprochen wird, ist
also kein taumelnder Genußling, der blind¬
die Grundidee in Ibsens „Wildente“ und diese Idee leuchtet
Lehre des Epikuräers Horaz folgt: Carpe diem!
auch aus dem „Einsamen Weg“ hervor. Nirgends steht
as dir der Tag bringt! Er genießt aus dem
nämlich Schnitzler so unter dem Banne des nordischen
ber mit Bedacht und kluger Auswahl und hält
Dramatikers wie hier. Das ist der Unsegen dieses Werkes.
e Augen offen, um sich ja nicht zu verlieren. Sich
So reich auch dieses Schauspiel an poetischen Schön¬
das heißt durch ein Weib für immer
heiten ist, so schimmert uns doch eindringlich die fremde
heiraten. Davor
n lassen. Das heißt
Ibsensche Rüstung entgegen, die der Dichter trägt. Zunächst
ihm. Wozu heiraten, so lange es
in der technischen Struktur. Die Vorgeschichte lastet wuchtig
und Bräute anderer gibt? Die lockt man
auf dem Stücke, erdrückt es und läßt es nicht aus sich selbst
Man belügt und betrügt. Dutzendmenschen lassen
heraus frei aufatmen. In jeder bedeutenden Szene springen
durch moralische Skrupel beirren. Fichtner lacht
Erinnerungen auf, erwacht Totes, wird Vergangenes und
landläufige Moral. Als vollendeter Individualist
Frauenseelen mit der gleichen Unschuld, mit der Vergessenes aufgerollt. Am tiefsten offenbart die Ibsensche
Prägung die Gestalt der Johanna, die auch dem
btier das Blut seines Opfers schlürft. Also
hlikum völlig unklar blieb. Man muß allerhand mystische
ein Don Juan, der in seinen Mußestunden den
KSLET
18. Der einsane Nen
hingeben? Nein! So ließ er Gabriele im Stiche, die boten überaus fein individualisierte Gestalten. Herr
Wegerath heiratete. Nach zehn Jahren erfährt ex, daß Reicher hingegen als Julian Fichtner schien uns nicht
der Sprößling dieser Ehe, die in ungetrübtem Glück sich ganz den Intentionen des Dichters zu entsprechen. Fichtner
abspinnt, sein Sohn sei. Weitere dreizehn Jahre sind) soll ein Charmeur sein — aber gerade diesen Zauber der
Persönlichkeit vermißte man in dem Interpreten der Rolle.
verstrichen. Felix, so heißt der Sohn, ist jetzt ein
Frau Else Lehmann huschte in einer Episodenrolle
dreiundzwanzigjähriger, schmucker Uhlane. Diesem Sohne,
vorüber, die sie mit entzückendem Humor und erquicklicher
der kürzlich seine Mutter verloren, enthüllt Fichtner das
Gemütsinnigkeit ausstattete. Marco Brociner.
Geheimnis seiner Geburt. Er beschönigt nichts. Er allein
war der Schuldige. Er war es, der das arme Mädchen
betrog und verriet. Warum er es getan? Aus dem gleichen
Motiv, das Goethe dazu trieb, die elsässische Pfarrers¬
tochter zu verlassen. Egoismus der großen Künstlernatur.
Und dabei pocht er leise an das Herz des jungen Mannes.
Nun aber erfährt er, daß die physiologische Tatsache der
Vaterschaft nichts bedeutet, daß die Vaterschaft nur durch
jene Liebe erworben wird, die rastlos sorgt und wacht,
Stunde für Stunde. Tag für Tag, Monate und Jahre
hindurch. Sein Sohn wendet sich von ihm. Jetzt ist er
auch als Mensch bankerott. Und nun erst ist es auf seinem
Lebenswege still und einsam für immer.
Das Stück ist eigentlich aus. Schnitzler schien jedoch
seine Grundidee durch dieses eine Beispiel nicht eindringlich
genug illustriert. Er variierte daher sein Hauptmotiv in
zwei anderen Gestalten des Schauspieles. Ebenso wie dem
Maler Fichtner, ist auch dem Dichter Sala Leben und
Kunst zerronnen. In beiden Fällen die gleiche seelische
Struktur. Nur daß Sala überdies mit einem Todeskeime
behaftet ist. Der merkwürdigste Kasus ist aber Johanna,
die Tochter, die wirkliche Tochter Wegeraths, der, nebenbei
bemerkt, Direktor der Akademie der bildenden Künste ist.
Johanna ist Sala und Fichtner ins Weibliche trans¬
poniert. Eine Hysterikerin, die alles Schöne und alles Ge¬
meine im Leben auskosten will. Ein Weib ohne Herz, ohne
Gemüt, aber mit einer glühenden, krankhaft erregten
Phantasie. Darum erscheint ihr Sala als Ideal eines
Mannes. Das ist ja ein schönheitssüchtiger Aesthet, der
auch alle Perversitäten des Lebens aus dem Grunde kennt.
Diesem Manne gibt sie sich willenlos hin. Dann geht sie
F.
ins Wasser. Das Motiv, das sie zum Selbstmorde drängt,
ist nicht recht klar. Man muß, um es zu ergründen,
Zeichendeuterei treiben. Johanna weiß, daß Sala dem
1 Tode geweiht ist. Sie hat mit ihm in einem flüchtigen
Rausche die Schonheit des Lebens ausgeschlürft. Was kann
ihr das Dasein noch bieten? Sie wirft es von sich.
Was ist der Sinn des Ganzen? Will Schnitzler den
gealterten Don Juan zeigen? Ihn vorführen, wie er aus¬
schaut, wenn seine Lust ausgetobt, wenn er vergebens um
einen Funken echter, ehrlicher Liebe bettelt, und die trost¬
Aose Erkenntnis in ihm aufdämmert, daß seine Lebens¬
weisheit zu Schanden geworden? Man darf diese Frage
Gasspiel des Telkng-Thealer###
bejahen und dabei dem Stücke noch eine andere Deutung
(Theater an der Wien.)
geben. Dr. Reumann, eine Figur im Schauspiel, sagt:
er Mal: „Der einsame Weg.“ Schauspiel in fünf
„Eine Lüge, die sich so stark erwiesen hat, daß sie den
Akten von Artbur Schnlssler.)
Frieden eines Hauses tragen kann, ist mindestens so ver¬
Maler Julian Fichtner wbandert einsam auf
ehrungswürdig wie eine Wahrheit, die nichts anderes ver¬
benswege dahin. Aber diese Einsamkeit ist mit
möchte, als das Bild der Vergangenheit zu zerstören, das
Liebesepisoden reich durchwoben. Fichtner ist ein
Gefühl der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der
er, schönheitssüchtiger und gemütsloser Lebens¬
Zukunft zu verwirren“. Was hier ausgesprochen wird, ist
also kein taumelnder Genußling, der blind¬
die Grundidee in Ibsens „Wildente“ und diese Idee leuchtet
Lehre des Epikuräers Horaz folgt: Carpe diem!
auch aus dem „Einsamen Weg“ hervor. Nirgends steht
as dir der Tag bringt! Er genießt aus dem
nämlich Schnitzler so unter dem Banne des nordischen
ber mit Bedacht und kluger Auswahl und hält
Dramatikers wie hier. Das ist der Unsegen dieses Werkes.
e Augen offen, um sich ja nicht zu verlieren. Sich
So reich auch dieses Schauspiel an poetischen Schön¬
das heißt durch ein Weib für immer
heiten ist, so schimmert uns doch eindringlich die fremde
heiraten. Davor
n lassen. Das heißt
Ibsensche Rüstung entgegen, die der Dichter trägt. Zunächst
ihm. Wozu heiraten, so lange es
in der technischen Struktur. Die Vorgeschichte lastet wuchtig
und Bräute anderer gibt? Die lockt man
auf dem Stücke, erdrückt es und läßt es nicht aus sich selbst
Man belügt und betrügt. Dutzendmenschen lassen
heraus frei aufatmen. In jeder bedeutenden Szene springen
durch moralische Skrupel beirren. Fichtner lacht
Erinnerungen auf, erwacht Totes, wird Vergangenes und
landläufige Moral. Als vollendeter Individualist
Frauenseelen mit der gleichen Unschuld, mit der Vergessenes aufgerollt. Am tiefsten offenbart die Ibsensche
Prägung die Gestalt der Johanna, die auch dem
btier das Blut seines Opfers schlürft. Also
hlikum völlig unklar blieb. Man muß allerhand mystische
ein Don Juan, der in seinen Mußestunden den
KSLET