S 3
18. DerNeg
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
München-Augsburger Abendzeitung
& 1. Juni 1927
H. W. G. Münchner Schauspielhaus. Arthur?
(Schnitzlers Schauspiel „Der einsame
Weg“ ist anläßlich des Bassert ann=Gastspiels
neu einstudiert worden. Das Stück atmet jene
eigentümliche Schwermut des Herbstes, die gerade
von österreichischen Dichtern so häufig dargestellt
wird und deren nachdenklicher Reiz mehr in der
Milieu= und der Menschenbeschreibung als im rein
Dramatischen zu finden ist; deshalb liegt auch die
Bedeutung des „Einsamen Weges“ in der von
Schnitzler meisterhaft festgehaltenen Stimmung
und in novellistischen Zügen, die freilich zum
Zartesten und Tiefsten gehören, was ihm gelungen
ist. Alle diese Menschen, die ein Leben ohne Liebe
gelebt haben und nun, da die Blätter sinten, mit,
dem Schauer der Einsamkeit ihren Weg vollenden,
sind vom Dichter mit den Farben der typisch öster¬
reichischen Melancholie angelegt, und er schreibt
nicht umsonst Wien als Schauplatz der Handlung
vor. Es mag an den Ferien liegen, daß es der
Aufführung nicht gelang, diese Wienerische Atmo¬
sphare anzudeuten; das Ganze blieb — eben als
Ganzes — zu hart und zu verstandesmäßig. Daß Al¬
bert Bassermann in der Rolle des Stephan von
Sala Bedeutendes und schließlich Erschütterndes
zu geben hatte, ist bei diesem großen Künstler
selbstverständlich; Else Bassermann, in der Rolle
der alternden Schauspielerin Irene, kam der ur¬
sprünglichen Stimmung sehr nahe. Stück und Dar¬,
stellung verfehlten ihren Eindruck nicht.
box 23/5
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BER N4
Teleion: Norden 3051
Ausschnitt aus
Bayerischer Kurier, München
2 7 Juni 1927
Theater.
Schauspielhaus. Schnitzlers „Einsamer Weg“
ist vielleicht des Dichtees privatester, zartester Aus¬
druck, innerlich schwingend . . . und ... verflüchtend.
Die Gegenwirkung auf diese sich ins eigene Ich zurück¬
ziehende Schwingungswelt bleibt heute gänzlich aus.
Wir suchen einen Gemeinschaftsweg und =ausdruck,
einen alle bindenden, nicht lösenden, die Grenzen die¬
ser Daseinsform befestigenden, elementaren Rhyth¬
mus. Am Anfang und Ende des einsamen Wegs (der
vergangenen Epoche) steht das Nichts, der Tod. Das
Leben ist ein berauschendes Nichts, der Tod ist ein
Nichts. In der Mitte liegt ein Sichgehenlassen, ein#
trostloses Dahintreiben; gleichgültig, ob der Sinnen¬
rausch fremdes (Frauen=)leben zerstört (Fichtner), ob
(männliches) Ich vom Du in schöngeistigem Aestheti¬
zismus sich sorgsam distanziert (Sala), oder diese Da¬
seinsform vereinsamt durch alles reuende, überemp¬
findliche Schonung fremder Individualität (Reu¬
mann). Das Dionysische wie Apollinische trägt sich im
gleisnerisch geglätteten weichen Asphaltgewande der
Wiener Großstadt, feinnervig zwar und ebenso ster¬
bensmüd wie ferne dem metaphysischen Trost und
Ursinn. Warum darf man nie diese Schnitzlersche
Romantik, dieses Melancholieumspültsein als etwas
Positives werten, was vielleicht den Menschen im
weiten Land des Jenseits verankern möchte? Nein;
hinter diesen impressionistischen Reizen und sprach¬
lichen Bildern liegt Ohnmacht, Schwäche des Nicht¬
glaubens, Nichtglaubenkönnens, eines weltmännischen
Kokottentums. Statt Dichtung haben wir hier (Welt¬
manns) Literatur. Statt Schicksal ästhetisch garnier¬
ten Hohlraum Leben und Tat verspielender Genü߬
linge.
Und immer wieder belästigt uns Bassermann da¬
mit. Der Künstler bewegt sich rückläufig. Er gibt
den Herrn von Sala. Er gibt den Charakter nicht als
künstlerisch geformtes Sein, er gibt nicht die Substanz,
sondern mosaikartig virtuos nebeneinander gesetzte
charakteristische Eigenheiten. Eine nicht mehr zu
goutierende Darstellungsart, deren Besonderheiten
(wie Raunzen oder Krächzen, Schnarren mit der
Nasé) sogar mit einem ästhetischen Naturalismus
nicht mehr zu vereinigen sin. Die übrige Vorstellung
bte unter Stoeckels Regie einen retardierenden Im¬
pressionismus und stand im Niveau eines provinziel¬
len Sommertheaters mit verschiedentlichen Fehl¬
O. F. Sch.
besetzungen.
18. DerNeg
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
München-Augsburger Abendzeitung
& 1. Juni 1927
H. W. G. Münchner Schauspielhaus. Arthur?
(Schnitzlers Schauspiel „Der einsame
Weg“ ist anläßlich des Bassert ann=Gastspiels
neu einstudiert worden. Das Stück atmet jene
eigentümliche Schwermut des Herbstes, die gerade
von österreichischen Dichtern so häufig dargestellt
wird und deren nachdenklicher Reiz mehr in der
Milieu= und der Menschenbeschreibung als im rein
Dramatischen zu finden ist; deshalb liegt auch die
Bedeutung des „Einsamen Weges“ in der von
Schnitzler meisterhaft festgehaltenen Stimmung
und in novellistischen Zügen, die freilich zum
Zartesten und Tiefsten gehören, was ihm gelungen
ist. Alle diese Menschen, die ein Leben ohne Liebe
gelebt haben und nun, da die Blätter sinten, mit,
dem Schauer der Einsamkeit ihren Weg vollenden,
sind vom Dichter mit den Farben der typisch öster¬
reichischen Melancholie angelegt, und er schreibt
nicht umsonst Wien als Schauplatz der Handlung
vor. Es mag an den Ferien liegen, daß es der
Aufführung nicht gelang, diese Wienerische Atmo¬
sphare anzudeuten; das Ganze blieb — eben als
Ganzes — zu hart und zu verstandesmäßig. Daß Al¬
bert Bassermann in der Rolle des Stephan von
Sala Bedeutendes und schließlich Erschütterndes
zu geben hatte, ist bei diesem großen Künstler
selbstverständlich; Else Bassermann, in der Rolle
der alternden Schauspielerin Irene, kam der ur¬
sprünglichen Stimmung sehr nahe. Stück und Dar¬,
stellung verfehlten ihren Eindruck nicht.
box 23/5
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BER N4
Teleion: Norden 3051
Ausschnitt aus
Bayerischer Kurier, München
2 7 Juni 1927
Theater.
Schauspielhaus. Schnitzlers „Einsamer Weg“
ist vielleicht des Dichtees privatester, zartester Aus¬
druck, innerlich schwingend . . . und ... verflüchtend.
Die Gegenwirkung auf diese sich ins eigene Ich zurück¬
ziehende Schwingungswelt bleibt heute gänzlich aus.
Wir suchen einen Gemeinschaftsweg und =ausdruck,
einen alle bindenden, nicht lösenden, die Grenzen die¬
ser Daseinsform befestigenden, elementaren Rhyth¬
mus. Am Anfang und Ende des einsamen Wegs (der
vergangenen Epoche) steht das Nichts, der Tod. Das
Leben ist ein berauschendes Nichts, der Tod ist ein
Nichts. In der Mitte liegt ein Sichgehenlassen, ein#
trostloses Dahintreiben; gleichgültig, ob der Sinnen¬
rausch fremdes (Frauen=)leben zerstört (Fichtner), ob
(männliches) Ich vom Du in schöngeistigem Aestheti¬
zismus sich sorgsam distanziert (Sala), oder diese Da¬
seinsform vereinsamt durch alles reuende, überemp¬
findliche Schonung fremder Individualität (Reu¬
mann). Das Dionysische wie Apollinische trägt sich im
gleisnerisch geglätteten weichen Asphaltgewande der
Wiener Großstadt, feinnervig zwar und ebenso ster¬
bensmüd wie ferne dem metaphysischen Trost und
Ursinn. Warum darf man nie diese Schnitzlersche
Romantik, dieses Melancholieumspültsein als etwas
Positives werten, was vielleicht den Menschen im
weiten Land des Jenseits verankern möchte? Nein;
hinter diesen impressionistischen Reizen und sprach¬
lichen Bildern liegt Ohnmacht, Schwäche des Nicht¬
glaubens, Nichtglaubenkönnens, eines weltmännischen
Kokottentums. Statt Dichtung haben wir hier (Welt¬
manns) Literatur. Statt Schicksal ästhetisch garnier¬
ten Hohlraum Leben und Tat verspielender Genü߬
linge.
Und immer wieder belästigt uns Bassermann da¬
mit. Der Künstler bewegt sich rückläufig. Er gibt
den Herrn von Sala. Er gibt den Charakter nicht als
künstlerisch geformtes Sein, er gibt nicht die Substanz,
sondern mosaikartig virtuos nebeneinander gesetzte
charakteristische Eigenheiten. Eine nicht mehr zu
goutierende Darstellungsart, deren Besonderheiten
(wie Raunzen oder Krächzen, Schnarren mit der
Nasé) sogar mit einem ästhetischen Naturalismus
nicht mehr zu vereinigen sin. Die übrige Vorstellung
bte unter Stoeckels Regie einen retardierenden Im¬
pressionismus und stand im Niveau eines provinziel¬
len Sommertheaters mit verschiedentlichen Fehl¬
O. F. Sch.
besetzungen.