II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 49

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17.3. Zun Krossen Wurste1
hat Direktor Jarno für deren Einquartierung im Lustspieltheater Sorge getr
Dort wird dem Publikum gegenwärtig ein Einakter von Erich Korn zugem
der an Unflätigkeit des Dialoges nichts zu wünschen übrig läßt. Der A
hat diese Geschmacklosigkeit seiner Feder „Mamzell Courasche“ genannt
dazu den erläuternden Untertitel „Ein Bild aus dem Dreißigjährigen Kri
gewählt. Die Heldin ist eine Soldatendirne, ein ebenso heldenmütiges wie
derbtes Ding, das eine bewegte Vergangenheit auf den Feldern der Ehre
Die jüngste Neuheit der Josefstädter Bühne nennt sich „Philipp der Gute“.
Unehre hinter sich hat. Der Fechtmeister Spertini ist tapfer genug, dieses A
ist von Paul Gavault und Georges Berr verfaßt und von Benno Jacobsen
trotz seiner bewegten Vorlebensgeschichte in den Hafen einer soliden Ehe gel
übersetzt und verdorben worden. Der deutsche Translator hat das französische
zu wollen, und Mamzell Courasche ist ihm dafür grenzenlos dankbar —
Original in die Länge gezogen und durch zahlreiche Berliner Kalauer verunstaltet.
einem Worte — die Ehe hat alle Aussicht auf ein sittliches Ende. Doch
Die Fabel der Franzosen ist nicht übel: Der Rechtsanwalt Philippe Ardelot, von
häusliche Unglück schreitet schnell. Am Hochzeitsabend wettet der junge
seiner Mitwelt „der Gute“ genannt, gewährt einer ihm völlig unbekannten
mit einigen betrunkenen Regimentskameraden, daß er sein Wib vor
Dame, die bei einem großen Straßenaufzug ohnmächtig wurde, in seiner Wohnung
schlagen werde. Gesagt, getan. Aber der Fechtmeister hatte die Rechnung
mitleidigen Unterstand. Das Mitleid ist überhaupt die hervorstechendste Eigen¬
seine bessere Hälfte gemacht, die läßt sich nicht ohneweiters angesichts
schaft seines untadeligen Charakters, er besitzt ein ausnehmend weiches Herz, das
uniformierten Freunde prügeln, sondern sticht dem jungen Gatten zur S#
mit besonderer Wärme für unglückliche Frauen und Mädchen empfindet. Aber
für den unlauteren Wettbewerb den spitzen Degen in die Brust und en
wohlgemerkt: alles in Ehren — es ist wirklich nur Mitleid, so unwahrscheinlich
damit den peinlichen Zwischenfall, der überdies durch einen Schwarm
diese Triebfeder bei einem auf den Jarnoschen Bühnen aufgeführten Franzosen¬
üppigsten Derbheiten verunziert wird. Das beklagenswerte Fräulein Helm,
schwanke auch scheinen möge. Durch diese ungewöhnliche Menschenfreundlichkeit
die Titelrolle aufgehalst wurde, entledigte sich dieser undankbaren Aufgabe
gerät Monsieur Ardelot in allerlei peinliche Fatalitäten, ganz besonders bei seiner
Temperament und Intelligenz, dessenungeachtet vermochte sie das sicht
Frau, denn Philipp der Gute ist trotz seiner humanen Prinzipien verheiratet,
Mißbehagen des Publikums nicht zu bannen. Erfreulicher als dieses Mitten
ja die häuslichen Zwiste lassen sogar eine förmliche Scheidung von Tisch und
waren der Beginn und der Schluß des vorwöchentlichen Premisrenabends
Bett befürchten, die aber schließlich dank der Vorsehung nicht zu stande kommt,
Praterbühne. Die von Paul Lindau bearbeitete Satire „Fahrt über den Si
denn der Vorhang fällt über ein versöhntes Ehepaar. Die Josefstädter Bühne
von Lucian, dem geistreichsten Causeur der römischen Kaiserzeit, fand trotz i
hat viele kurzweiligere Pariser Schwänke gesehen wie jenen der Herren Gavault
offenbaren Bühnenuntauglichkeit eine freundliche Aufnahme; ungleich lebhc
und Berr, aber immerhin verlohnt es sich der Mühe, den guten Philipp Marans
aber wurde der witzsprühenden Komödie „Zum großen Wurstl“ von A
von Angesicht zu Angesicht zu sehen, denn die Rolle des zartfühlenden Advokaten
Schnitzler applaudiert. Die liebenswürdige literarische Satire auf das The
zählt zu den besten Leistungen dieses köstlichen Schauspielers, der diesmal bewies,
und seine Leute, auf Publikum, Schauspieler und Autoren, die als willen
daß sein Humor auch ohne die gewohnten und gewöhnlichen Zweidentigkeiten zu
Puppen über die Bühne stolpern, übte starke Wirkung; freilich blieb man
wirken vermag. Der neue Schwank ist nicht sittenrein, aber weit züchtiger ver¬
sarkastische Witz über die Bühnenwelt nur den Eingeweihten verständlich, inde
anlagt wie die meisten seiner Vorgänger. Um die Zote für die Zeit ihrer Aus¬
hat Schnitzler auch für den Laien, der nie hinter die Kulisse guckt, eine st
weisung aus dem achten Wiener Gemeindebezirke nicht unterstandslos zu lassen,
liche Schar geistreicher Gedanken vorrätig. Leider stand die Darstellung n
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