II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 58

Wu
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POSS
17.3. Zum giesen barstel
geladen, sich in die besseren Perspektiven zu begeben. Es
zerbrechen würde. Der lange Akt,
erscheint ein Mann im blauen Mantel mit blankem
Behagen über die eigene Existenz
Schwert. Solche „Unbekannte", „fremde Herren",
mit größter Nettigleit, bunt und
„Männer im Mantel“ sind immer eine feine Er¬
niert. Sehr fein spielt Herr Du¬
findung. Sie wirken auf den Sinn der Komödie
hen General, Herr Nerz läßt seine
wie der bei mystischen Angelegenheiten theaterübliche
kapuzinerischen Wortspiele mit großem
Wasserdampf auf die Dekorationen. Konturen verwischend,
Herr Bulß mimt den süßlich¬
das Zuhörerauge störend, aber die Zuhörerphantasie zu
feisterhaft. Ein rechtes „Theaterstück“.
großen Ahnungen aufreizend. Der fremde Mann wickelt
alisches erdacht, um ein Stück Leben
um das Ganze einen nebulosen Flor, hinter dem Dürftig¬
nd Lebendigkeiten erfunden, um ein
keiten wie große Dinge aussehen. Und schließlich findet
eben. Was das Mittel zum Zweck
irgend einer doch eine plausible Erklärung für den Un¬
bekannten, die der Dichter taute de mienx akzeptieren
kann. Ich glaube, im „großen Wurstel“ ist der Mann
en Wurstel“, eine Burleske von
mit dem Mantel die höchste Galtung Kritik, der Blick aus
r. Die satirische Geste dieser feinen
der Vogelperspektive auf sich selbst, die Erkenntnis der
eblicher Spannweite. Sie umschließt
eigenen Grenzen und Bedingtheiten. Wohl dem, in dessen
ichter, das Publikum, das Publikum
Welt dieser Mann nicht erscheint, Fäden mit dem Schwert
die angrenzende Welt. Seid ironisch
durchschneidend, den aufrechten Stolz über die eigene freie
en! Humor in vier, fünf kon¬
Menschlichkeit zur Erkenninis der eigenen zwangvollen
Oder algebraisch, in vier, fünf
Puppenhaftigkeit umknickend.
bungene Klammer, große eckige
Die Schnitzlersche Burleske ist eine riesig sympathische
de Klammer, kleine eckige Klammer,
Arbeit. Der beste Geschmack, Erfindung, Witz, freier Blick,
Keine geringe Kunst, auf den ersten
zeichnen sie aus. Ihre Bitterkeit hat Aroma. Die Publi¬
welches Vorzeichen, Plus oder
kumsleute sind vortrefflich: der Mann mit den wiene¬
n algebraischen Begriff jetzt zukommt.
rischen Ideenassoziation, der Mann, welcher sich nicht
abgehandelt: der Dichter, seine
dupieren läßt, der Mann, der immer seinen guten Kon¬
den, seine Kurzsichtigkeit und seine
takt mit den Geheimnissen des Spiels betont. Sehr nett
ene Großartigkeit und seine gro߬
ist das wienerische Arrangement, und von angenehmer
Ferner wird gezeigt: Der arrangierte
Luftigkeit die Zimmerung des ganzen Scherzspieles. Am
dann der Direktor, diese gräßliche
sichersten glückten die reinen Atelierspässe. Die kleinen Bos¬
Theatermann“ mit gesundem Publi¬
heiten gegen die Methodik der Schnitzlerschen, Bahrschen
noch nicht genug! Es ist auch zu
und anderer Theaterdichtung sind mit Grazie aus dem
chauer und seine gebräuchlichsten
Handgelenk geschleudert. Der Herzog von Larwin gefällt
Idiotische. Und noch nicht genug!
mir am besten: Wie man Charaktere zeichnet, wie man uns
eit dieser ganzen Welt, ihre Enge
einen auf der Bühne als bedeutendenMenschen einredet!
Nichtigkeit notiert. Und noch nicht
Man sagt es einfach und wenn's der Zuhörer nicht glaubt,
der angenagelt, der sich über diese
ruft man Zeugen. Ich denke an den Kapellmeister
nichtige Welt spöttisch hinweglächelt,
Amandus aus dem „Zwischenspiel“, der sich nicht so gut
fillig, nicht auch aktiv als Narr dient.
legitimiert wie der Herzog von Larwin, und dem wir
zug, wird über das Ganze die gewisse
aufs Wort glauben müssen, daß er ein genialer Musiker
gung gemacht, der Ulk mit einem
Oeles gesalbt und der Zuhörer ein= und genialer Mensch sei. Der „Held des Stückes“ ist vor¬
trefflich: die Null, welche aus geometrischen Gründen
immer in den Mittelpunkt der Komödie muß. Der
Räsonneur könnte witziger sein. Sehr glücklich ist dieser
Einfall: der Wurstel als Tod. Ja, diese wienerische Koket¬
terie mit dem Wurstel, wodurch die paupreste Schwere
einer Komödie ins „Leichte“ umgelogen werden soll,
dieses Ausbiegen mit einem wehmütig=ironischen Pas aus
der Sentimentalität ins Ueberlegene, Ewig=Kühle, dieser
ganze zärtliche Tod= Wurstel= Feuilleton=Tiefsinn ist
nicht mir allein längst ein Greuel.
Das „Lustspiel=Theater“ spielt die Burleske höchst
lebendig, flink, wienerisch, lustig. Herr Hofer als Aus¬
rufer ist prächtig; selbst seine Knie drücken sich im Ottak¬
ringer Dialekt heraus. Der „Unbekannte“ des Herrn
Jarno wirkt sehr; Herr Guttmann ist komisch; Herr
Straßni, den man so gern einmal in einer großen
Rolle sehen möchte, ein feiner und aparter Künstler auch
hier. Fräulein Rona besitzt nebst mancherlei Liebreiz
einungemein zart klingendes Organ.
Ich glaube, solche Burlesken, solche selbstironische
Blicke auf den eigenen Scheitel zeigen an, daß die Pro¬
duktion des hellsichtigen Ironikers an einen toten Punkt
gelangt ist. Schöpfer sind verbohrt, verblendet, von fixen
Ideen wie von Gefängnismauern eingekastelt. Es ließe
sich wohl aus dem Leben vieler bedeutender literarischer
Menschen nachweisen, daß sie ironisch und sich=selbst=durch¬
schauend wurden, wenn das Gefühl der Sterilität ihr
Herz bedrückte. Woraus sich Schlüsse auf die schöpferische
Kraft jener ziehen lassen, durch deren ganze Literatur wie
ein Orgelpunkt die ironische Note dröhnt. Wenn ein
Künstler ins Erkennen gerät, ist es immer ein Zeichen,
daß es mit der Intuition hapert. Wo das Darstellen auf¬
hört, setzt die Philosophie ein, wo die Kunst endet, be¬
ginnt die Betrachtung. Und es ist naturgemäß meist eine
ironische Betrachtung, weil sich durch diese das ein wenig
entwerten läßt, was man momentun nicht hat. Es gibt
keinen besseren Trost dafür, daß einem die Geliebte durch¬
gegangen ist, als den, sich an alle ihre Häßlichkeiten und
Lächerlichkeiten zu erinnern. Ironie als Prophylaxe gegen
Trübsinn.
Alfred Polgar.