II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 46

# P#tersburg.
Leiger Naueste Nachrichter
K
Oscar Straus=Premierenabend im Neuen Theater.*] Oscar
Straus, der bekannte, erfolgreiche Operettenkomponist, wagte gestern
den Sprung auf die Opernbühne. Seine „Venus im Grünen“ frei¬
lich, die hier gestern ihre Uraufführung erlebte und wohl nicht ohne Ab¬
sicht als Reserve an den Schluß des Abends gestellt war, rechnen wir
nicht zur Oper. In ihren Adern fließt unverfälschtes Operettenblut,
und der Geist, der sie beherrscht, ist der prickelnde, schmachtende, lüsterne,
bis zur Frivolität lüsterne Geist des modernen Wiener Walzers. Diese
Verkleidungs=, oder besser Entkleidungsposse — wir hätten sie Rudolf
Lothar, dem Textdichter von „Tiefland“, gar nicht zugetraut! — ent¬
hält Bühnensituationen, die ihre Wirkung niemnals verfehlen werden,
und musikalisch eine Reihe dankbarer Schlager, ja in der famosen
Gavotte des Fierrabras und der Giulietta ein Duett von wirklichem
Opernrang. Pserhofers Text „Colombine“, der den Selbstword
eines zum Diebe gewordenen Monte Carlo=Spielers durch eine ein¬
deutig realistische Szene im Operettenstil zwischen der Frau des
Spielers und dem Baron vorbereitet und den Stoff dann symboli¬
sierend ins Tragische wendet, bot dem Operettenkomponisten Straus Ge¬
legenheit, von dem schlüpfrigen Parkett der Halbwelt aufzusteigen zu
wirklich dramatischen Regionen. Der Aufstieg ist ihm geglückt: mit
dem Augenblick, wo der Spieler zum ersten Mal die
Bühne betritt, wandeln sich die spielerischen Klänge in dra¬
matisch bedeutsame Tonsprache, und die unheimliche Spannung
weicht nicht wieder von diesen Tönen, bis der tödliche Schuß den qual¬
vollen Lebenserinnerungen ein Ende macht, die den Spieler in den
letzten Minuten wie greifbare Wirklichkeit, aber ins Phantastische und
Symbolische gesteigert, umschweben. Der Vorzug dieses Opernein¬
akters beruht auf seiner unaufhaltsamen Steigerung aus dem Spiele¬
rischen ins Pathetische und Unheimlich=Dramati che und seinem sinnen¬
fällig packenden Schluß. Gerade diese Qualitätei ließ „Der tapfere
Cassian“, wenigstens in der gestrigen Auffül lung, vermissen. Den
in Stimmung und Sprache hochinteressanten Text hat ein Dichter von
Rang, Arthur Schnitzler, geschrieben, von dem zufällig am selben
Abend im Schauspielhause ein neues Werk hirauskam. Die Zeitstim¬
mung, die volkstümliche Strophe des 17. Jehrhunderts, der natura¬
listisch knappe, von Sentimentalität noch unberührte Stil jener Tage
ist ausgezeichnet getroffen. Aber die Charakterisierung der beiden
männlichen Hauptfiguren ist nicht eindeutig und klar, wurde es zum
wenigsten nicht in der gestrigen Aufführung. Das Wort, mit dem der
Kriegersmann Kassian im Zweikampf den Studenten Martin den töd¬
lichen Stoß versetzt: „Du wärst was geworden, Martin! — Schade!“
scheint zugleich das Urteil des Dichters über den lebensdurstigen Jun¬
gen einzuschließen, dem in der Liebe und dem Spiel das Glück blüht,
solange er nur sein Leben einsetzt, der aber alles verliert, sobald
er ruchlos auch die Geliebte aufs Spiel setzt. Dies entscheidende Wort
ging in der Hitze des Gefechts gestern für den Hörer verloren.
Und was es aus dem tapferen Kassian machen sollte, ein unheimliches
das wurde dem
Kraftgenie oder einen burlesken Aufschneider, —
Publikum ebenfalls nicht klar. Straus' Musik zu diesem Schnitzler
ist einfach und sehr stimmungsvoll in den Strophenliedern, phan¬
tasievoll dramatisch in den Würfelszenen. Das Orchesterkolorit (Flöte,
Cembalo) verwertet glücklich und in eigener Weise, das Zeitbild
Schnitzlers musikalisch ergänzend, Klänge und Klangmittel aus alten
Tagen. Der Komponist selbst leitete am Dirigentenpulte die Auf¬
führung seiner Opern, von denen der Kassian wohl noch einer sorg¬
fältigeren Vorbereitung bedurft hätte. Die Regie führte Dr. Loewen¬
feld. Unter den Gesangsdarstellern ragten Herr Kase (Bajazzo,
Fierrabras), Herr Schroth (Baron Harlekin, Martin), Frl. Flad¬
nitzer (Colombine, Giulietta) und Frl. Sanden (Viola) mit vor¬
züglichen Leistungen hervor. Dem Kassian eine überzeugend einheit¬
liche Verkörperung zu geben, gelang trotz seines prächtigen Gesanges
Herrn Lüppertz nicht. Frl. Bartsch zeigte als Sophie Natur
und Empfindung, aber weniger Gesangskunst. Das Publikum nahm
Colombine und die Venus im Grünen warm auf, dem tapferen Kassian
Dr. Detlef Schultz.
gegenüber regte sich eine Opposition.

— — P.A
Telephon 12.801.
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* „UDSLIVER
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P.
eipziger“ agolatt
Ausschnitt aus:
vom J-MR 1
Theater und Konzert.
Leipzig, 31. Oktober.
Neues Cheater.
Zum ersten Male.
Drei musikalische Eina#ter von Oscar Straus.
„Colombine“, Text (nach Erich Korns gleichnämiger Bajazzade) von
Arthur Pserhofer.
„Der tapfere Kassian“, Text von Arthur Schnitzler. Uraufführung.
„Benns im Grünen“, Text von Rudolf Lo#hfführung.
In den Tagen des Ueberbrettls ist Oscar Straus bekannt ge¬
worden. Seine szenischen Duette vom „lustigen Ehemann“ und der
„Haselnuß“ machten damals Furore. Wahrscheinlich wäre Straus beim
Ueberbrettl geblieben, wenn — das Ueberbrettl geblieben wäre. Warum
es nicht blieb, hat Hans Heinz Ewers, einer der Gründer, ausführ¬
lich erzählt. So ging Straus auf das Gebiet Offenbachs. Gemächlichen
Sing= und Tanzweisen ließ er spottende Burlesken folgen: „Die luftigen
Nibelungen" und „Hugdietrichs Brautfahrt". Dann mischte er Be¬
bagliches und Satirisches und schrieb den „Walzertraum“ — bisher sein
Haupterfolg. Weiter kam — wieder mit hervorstechend satirischem Ein¬
schlag — „Der tapfere Soldat“, die Erinnerung an Shaws „Men and
Arms“. Und nun kommt „Der tapfere Kassian“, ein Singspiel,
dessen Buch von Arthur Schnitzler stammt, es kommt zugleich das Scherzspiel
„Venus im Grünen“, Text von Rudolf Lothar, dem Librettisten Eugen
d'Alberts, und beide Einakter, die gestern im Neuen Theater ihre Urauf¬
führung erlebten, wollen eine (ebenfalls einaktige) Erstlingsarbeit von
Straus mit ins Schlepptau nehmen, die Bajazzade „Colombine“, die Arthur
Pserhofer nach dem gleichnamigen, auch in Leipzig nicht unbekannten Stück
von Erich Korn für den Komponisten zurechtgemacht hat — damals, als
das Ueberbrettl seine hoffnungsreiche Zeit hatte und wohl für die Perspek¬
tive eines intimen Theaters. Daß Straus dies Frühwerk jetzt wieder,
dazu als „Oper“ herausstellt, erscheint nicht gut getan. Zeigt es doch den
Komponisten noch ganz als einen theatralischen Anfänger, der unsicher in
der Berechnung szenischer Wirkungen ist, ja, sogar seinen Librettisten
mißversteht. Denn wo Pserhofer witzige, geschliffene Verse gibt, da holt
Straus malte Lyrik herbei, die Figuren, die doch in einer gewissen Ver¬
bindung mit der alten Commedia dell' arte gedacht sind, deshalb nach
scharfen musikalischen Umrissen dringend verlangen, werden von einer durch¬
aus undramatischen Musik umwoben, und selbst für den szenischen Schlu߬
trick hat Straus nicht die rechte Kraft aufzuwenden. Harlekin, der ein
strapazierter Viveur sein soll, Colombine, die Unbedenkliche, die Verführe¬
rische und Verführbare, Bajazzo, der in der neuen Zeit empfindsam ge¬
worden ist, sein Unglück nicht mehr erträgt, sondern sich eine Kugel vor den
keine dieser Gestalten erhielt von Straus musikalische
Kopf schießt
Charakteristik.
Im „tapfern Kassian“ strebt einer, der kein Starker ist, der in der Enge
glücklich war, dort in Spiel und Liebe gewann, hinaus ins Weite, strebt
einem dämonischen Weibe zu. Tu tritt ihm ein Größerer entgegen, der
„tapfere Kassian“ eine Art Uebermensch, dem keine Gefahr verderolich wird,
eine Art Vampyr, der an sich reißt, was ihm naht. Und er nimmt dem
andern im Würfelspiel Hab und Gut, nimmt ihm das Liebchen, das, ent¬
flammt von des Uebermachtigen Größe, aufjauchzt, nimmt dem Gegner, da
Zweikampf entbrennt, auch das Leben. Die Stimmung ist mystisch, die
Basis, darauf die Gestalten stehen, scheint unterhöhlt, erzittert leise, von
dämonischen Kräften bewegt. Als Phantom tritt der Kassian in die Hand¬
Aung, als Phantom wirft sich auch der Schatten einer wilden Tänzerin
herein. Dem dunklen Glockenton, den Schnitzler anschlug, hat Straus nur
schwache Resonanz zu geben vermocht. Er hält sich an den Begriff „Sing¬
spiel“ stützt sich, freilich meist zu simpel, auf volksliedmäßige Elemente
und ist leider auf den unglücklichen Gedanken gekommen, als Orchester¬
instrument ein Klavier mit heranzuziehen. Wollte er dadurch das Milieu
des 17. Jahrhunderts (in dieses ist die Handlung gerückt) kennzeichnen?
Aber auch ästhetisch ist, bedenkt man die Eigenart der Schnitzlerschen Dich¬
tung, die Zuhilfenahme des Klaviers ein Unding.
Auf seinem Gebiete bewegte sich Straus, als er „Venus im Grünen“
schrieb. Er hat damit eine Operettenbluette geliefert, die man sich gefallen
lassen kann, mag die Musik auch nichts weniger als originell sein und
keineswegs das Beste darstellen, was Straus gelungen ist. Aber da auch
Rudolf Lothar nur skizzierte, in Karnevalslaune, zum Faschingsspaß —
warum hätte Straus sich mehr den Kopf zerbrechen sollen? Man belachte
dies Stücklein, darin etwas Räuberulk und etwas Laszivität aufgestapelt
sind: es hatte den unbestrittensten Erfolg des Abends. Soweit Oscar
Straus gestern siegte (auch Opposition regte sich), war es aber doch nur ein
Pyrrhussieg, obwohl der Komponist selbst dirigierte. Kurz sei noch der
Mitwirkenden gedacht. In „Colombine“ suchte Herrn Kases Energie
einiges dramatisches Leben zu entfachen. Im „tapfern Kassian“ verdienten
die Herren Lüppertz und Schroth ein Lob, Frl. Bartsch wenigstens
keinen Tadel. In „Venus im Grünen“ zeigten die Damen Sanden und
Fladnitzer sowie Herr Schroth hübsche Leistungen, Herr Kase ent¬
Um die Inszenierung hatte sich Herr Oberregisseur
wickelte Komik.
Felix Wilfferodt.
. Loewenfeld bemüht.