Telephon: Amt IX, No. 13485
Berliner Literarisches Bureau
G. m. b. H.
Berlin S. W./8, Wilhelm=Straße Nr. 127.
Päris e London e New-Pork.
Ausschnitt
aus folgender Zeitung bezw. Zeitschrift:
#
Berliner Tageblatt, Berlin.
aAMAA
001 4
19 9 0
Vier Dremièren.
Deutsches Theater.
„Trugbild“
Schauspiel in vier Aufzügen von Georges Rodenbach.
„Der Duppenspieler“
Studie in einem Aufzuge von Arthur Schnitzler.
F. E. Da Otto Brahm gestern wiederum den Göllern öpferte, deren
Tempel er einst zertrümmern half, hatte er weniger Glück als mit
Maeterlingks „Monna Vanna“ Georges Rodenbachs neblig kränk¬
liches Schauspiel, Trugbild“ wurde abgelehnt. Sehr höflich abgelehnt;
kaum, daß ein leises Gekicher bei den Stellen hörbar wurde, die in
diesem seltsamen Werk hart an der Grenze des unfreiwillig Komischen
balanzieren.
Von Rodenbach und seinen Werken war vor wenigen Tagen
schon an dieser Stelle die Rede. Es darf als bekannt
gelten, daß das Schauspiel aus einer Novelle entstanden ist.
bei
Den zarten Flügelstaub der epischen Dichtung hat es
der Umwandlung wie üblich verloren; das Feine ist
grob oder schattenhaft geworden; eine künstlich eingefügte
Nebenfigur ohne eigenes Gepräge lähmt die Teilnahme für
die Hauptfiguren; der innere Schrecken der Erzählung wird am
Schluß zu einem Theatercoup, der halb lärmend gruselig,
halb lächerlich ist. Nur mit dem Interesse, mit dem wir
ein nervenpathologisches Lehrbuch durchblättern mögen, sehen wir den
Helden, der sich tief in die zärtliche Erinnerung an sein verstorbenes
Weib eingesponnen hat, fünf lange Jahre hindurch und nun das voll¬
kommene Ebenbild der Toten in einer leichtfertigen Tänzerin findet. Dem
gesunden Ange des Zuschauers wird zugemutet, mit dem kranken
Auge dieses Mannes diese scheinbare Aehnlichkeit zu sehen
und all die Erschütterungen mitzufühlen, die das Trugbild
in seiner Seele erzeugt. Vergebens. Wir bleiben sehr
kalt. Wir sehen nur eine freche Dirne, die einen dummen
und ohnmächtigen Menschen nasführt. Unser Gefühl gehört eher dem
dreisten Mädel, die nach Leben und Liebe dürstet, und den trüben
Gesellen verspottet. Der tragische Abschluß ist so sicher, daß es nur eine
Frage der Bühnenökonomie ist, ob er am Ende des dritten Aktes oder erst
des vierten eintritt. Der halb wahnsinnige Mann wird ganz wahnsinnig
werden. Er wird diese Frau töten, die ihn völlig entmannte und
seine Pietät gegen die Tote vergiftete. Wenn er dann den sorgsam
gehüteten Zopf der Toten dazu benutzt, die unwürdige Nach¬
folgerin zu erdrosseln, so entsteht auf der Bühne jener Anblick, von
dem ich andeutete, daß er die Angstuerven ebenso reizt wie das
Zwerchfell.
So hinterläßt das Stück einen häßlichen Mißgeschmack. In dem
Wirbel von Stimmungen, den es erzeugt, fühlen wir wohl, wie dem
Werke selbst die gesamte Stimmung fehlt. Auf dunkelste Romantik,
die sogar mit Geistererscheinungen arbeitet, ist greller Zotenrealismus
gepappt. Und nur eines ist einseitig, aber es ist nicht gut. Das ist
die Sprache, die — wenigstens in der Uebersetzung des Herrn Siegfried
Trebitsch — gleichmäßig banal ist, mag sie sich nun in die Schatten
mystischer Vorstellungen verlieren, oder kecke Dämchenart zu charak¬
terisieren versuchen. Nur selten, daß uns ein gehaltvoller Gedanke
in dieser abgegriffenen Wortmünze ausgezahlt wird.
Herr Sauer und Herr Hofmeister, Hedwig Pauly und
Luise v. Prellnitz sprachen, dem Wesen des Stückes gemäß, wie
aus Gräbern, dumpf, beängstigend, schließlich ermüdend. Irene
Triesch war vortrefflich in der künstlerischen Bändigung, die sie
ihrer mit allen gemeinen Instinkten gesegneten Tänzerin zu teil
werden ließ.
Auch in einem Röllchen des vorangehenden Einakters von Arthur
Schnitzler „Der Puppenspieler“ war Fräulein Triesch
sehr fein gewesen. Schnitzler versucht die Charakterstudie eines Ent¬
gleisten zu geben. Die Sache entwickelt sich schwerer und mühevoller
als es sonst die Art des Wieners ist.
Georg Merklin ist eine gescheiterte Existenz, mit eigenm
Willen gescheitert, weil er sich zu hoch dünkt
ür
die Pflichten des Alltags. Mit den Ansprüchen eines
Genies, ohne sein Können, hungert er nun, nachdem seine
Hoffnungen auf großen Dichterruhm zerstieben mußten. Er sättigt sich
von der Bewunderung seiner eigenen Person und hält sich auf¬
recht durch das selbstbetrügerische Gefühl, mehr zu sein als alle
anderen. So meint er, mit den Menschen wie mit Puppen spielen
zu können. Aber er muß erfahren, daß er in einer wichtigen Stunde
seines Lebens nur selbst die Puppe eines kleinen, dummen Mädchens
war. Die Erkenntnis macht ihn nur auf Momente weich. Seine
prahlerische Ichphilosophie verhärtet i wiederum schnell.
Von dem speziell Schnitzlerschen Humor, dieser liebenswürdigen!
weichen Satyre, hat der Einakter nur wenig. Das Tragi¬
komische der Hauptfigur ist nicht entdeckt; wir kommen nicht zu
jenem Lächeln, das uns so leicht menschliche Schwächen verzeihen
läßt. Herr Bassermann, so ausgezeichnet er in der Maske
und in vielen Einzelheiten war, unterstrich noch diesen Fehler seines
Dichters. Er nahm die Rolle zu ernst und düster. Recht frisch war
Herr Iwald, der zum munteren Kontrast einen im Philisterglück
schwelgenden satten Künstler zu geben hatte.
Der Beifall nach diesem Einakter war ziemlich dünn.
ist. Für die Ausstattung des Rodenbachschen Stückes
hatte das Deutsche Theater den belgischen Maler Fernand
Khnopff herangezogen. Man sieht, und man sieht mit Freuden,
daß Herr Reinhardt, der als erster Theaterdirektor bildende Künstler!
in den Dienst der Bühne stellte, Schule macht.
Wie weit die Mitarbeit Khnopffs gegangen ist, weiß man nicht
genau. Von Bedeutung ist sie nur für das Bühnenbild des nächtlichen
Brügge geworden, das wirklich sehr schön war. In diesem Stück der
„toten Stadt“, mit den ragenden Bäumen im Vordergrund und dem
von ihnen eingerahmten Blick auf die alten Häuser jenseits des
Kanals, war die Stimmung einer nebligen Mondnacht so wirksam zum
Ausdruck gekommen, wie es nur immer auf einem Bilde möglich wäre.
In der feintönigen Umgebung standen die Figuren, besonders die
Frau mit dem gelbbraunen Mantel, wie in Pastell hingewischt. Es
kam da zu Effekten, die man den Mitteln der Bühne nicht zugetraut
hätte. Freilich spielte ein Florvorhang mit, der, weil er das Ver¬
ständnis der Worte erschwert, immer etwas Mißliches hat und besser
fortbleibt.
Die Interieurs waren sehr geschmackvoll und standen weit über
denen, die man sonst hier zu sehen gewohnt ist. Aber von der
Phantasie eines eigenartigen Künstlers ließen sie nichts spüren, sie
waren nicht besonders für diese Vorgänge erdacht. Namentlich der
„verstaubte Empiresalon“, das „Heiligtum der Erinnerungen“, zeigte
zuviel frische Tapezierersorgfalt.
Schade, daß das Deutsche Theater Kosten und Mühe einer un¬
gewöhnlichen Ausstattung gerade an dieses verlorene Stück gesetzt hat.
Wenn es eines Beweises bedürfte, daß das Bühnenbild die Stimmung
nur unterstützen, aber nicht wecken kann, so ist er an dem gestrigen
Abend geliefert worden.
*
Berliner Literarisches Bureau
G. m. b. H.
Berlin S. W./8, Wilhelm=Straße Nr. 127.
Päris e London e New-Pork.
Ausschnitt
aus folgender Zeitung bezw. Zeitschrift:
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Berliner Tageblatt, Berlin.
aAMAA
001 4
19 9 0
Vier Dremièren.
Deutsches Theater.
„Trugbild“
Schauspiel in vier Aufzügen von Georges Rodenbach.
„Der Duppenspieler“
Studie in einem Aufzuge von Arthur Schnitzler.
F. E. Da Otto Brahm gestern wiederum den Göllern öpferte, deren
Tempel er einst zertrümmern half, hatte er weniger Glück als mit
Maeterlingks „Monna Vanna“ Georges Rodenbachs neblig kränk¬
liches Schauspiel, Trugbild“ wurde abgelehnt. Sehr höflich abgelehnt;
kaum, daß ein leises Gekicher bei den Stellen hörbar wurde, die in
diesem seltsamen Werk hart an der Grenze des unfreiwillig Komischen
balanzieren.
Von Rodenbach und seinen Werken war vor wenigen Tagen
schon an dieser Stelle die Rede. Es darf als bekannt
gelten, daß das Schauspiel aus einer Novelle entstanden ist.
bei
Den zarten Flügelstaub der epischen Dichtung hat es
der Umwandlung wie üblich verloren; das Feine ist
grob oder schattenhaft geworden; eine künstlich eingefügte
Nebenfigur ohne eigenes Gepräge lähmt die Teilnahme für
die Hauptfiguren; der innere Schrecken der Erzählung wird am
Schluß zu einem Theatercoup, der halb lärmend gruselig,
halb lächerlich ist. Nur mit dem Interesse, mit dem wir
ein nervenpathologisches Lehrbuch durchblättern mögen, sehen wir den
Helden, der sich tief in die zärtliche Erinnerung an sein verstorbenes
Weib eingesponnen hat, fünf lange Jahre hindurch und nun das voll¬
kommene Ebenbild der Toten in einer leichtfertigen Tänzerin findet. Dem
gesunden Ange des Zuschauers wird zugemutet, mit dem kranken
Auge dieses Mannes diese scheinbare Aehnlichkeit zu sehen
und all die Erschütterungen mitzufühlen, die das Trugbild
in seiner Seele erzeugt. Vergebens. Wir bleiben sehr
kalt. Wir sehen nur eine freche Dirne, die einen dummen
und ohnmächtigen Menschen nasführt. Unser Gefühl gehört eher dem
dreisten Mädel, die nach Leben und Liebe dürstet, und den trüben
Gesellen verspottet. Der tragische Abschluß ist so sicher, daß es nur eine
Frage der Bühnenökonomie ist, ob er am Ende des dritten Aktes oder erst
des vierten eintritt. Der halb wahnsinnige Mann wird ganz wahnsinnig
werden. Er wird diese Frau töten, die ihn völlig entmannte und
seine Pietät gegen die Tote vergiftete. Wenn er dann den sorgsam
gehüteten Zopf der Toten dazu benutzt, die unwürdige Nach¬
folgerin zu erdrosseln, so entsteht auf der Bühne jener Anblick, von
dem ich andeutete, daß er die Angstuerven ebenso reizt wie das
Zwerchfell.
So hinterläßt das Stück einen häßlichen Mißgeschmack. In dem
Wirbel von Stimmungen, den es erzeugt, fühlen wir wohl, wie dem
Werke selbst die gesamte Stimmung fehlt. Auf dunkelste Romantik,
die sogar mit Geistererscheinungen arbeitet, ist greller Zotenrealismus
gepappt. Und nur eines ist einseitig, aber es ist nicht gut. Das ist
die Sprache, die — wenigstens in der Uebersetzung des Herrn Siegfried
Trebitsch — gleichmäßig banal ist, mag sie sich nun in die Schatten
mystischer Vorstellungen verlieren, oder kecke Dämchenart zu charak¬
terisieren versuchen. Nur selten, daß uns ein gehaltvoller Gedanke
in dieser abgegriffenen Wortmünze ausgezahlt wird.
Herr Sauer und Herr Hofmeister, Hedwig Pauly und
Luise v. Prellnitz sprachen, dem Wesen des Stückes gemäß, wie
aus Gräbern, dumpf, beängstigend, schließlich ermüdend. Irene
Triesch war vortrefflich in der künstlerischen Bändigung, die sie
ihrer mit allen gemeinen Instinkten gesegneten Tänzerin zu teil
werden ließ.
Auch in einem Röllchen des vorangehenden Einakters von Arthur
Schnitzler „Der Puppenspieler“ war Fräulein Triesch
sehr fein gewesen. Schnitzler versucht die Charakterstudie eines Ent¬
gleisten zu geben. Die Sache entwickelt sich schwerer und mühevoller
als es sonst die Art des Wieners ist.
Georg Merklin ist eine gescheiterte Existenz, mit eigenm
Willen gescheitert, weil er sich zu hoch dünkt
ür
die Pflichten des Alltags. Mit den Ansprüchen eines
Genies, ohne sein Können, hungert er nun, nachdem seine
Hoffnungen auf großen Dichterruhm zerstieben mußten. Er sättigt sich
von der Bewunderung seiner eigenen Person und hält sich auf¬
recht durch das selbstbetrügerische Gefühl, mehr zu sein als alle
anderen. So meint er, mit den Menschen wie mit Puppen spielen
zu können. Aber er muß erfahren, daß er in einer wichtigen Stunde
seines Lebens nur selbst die Puppe eines kleinen, dummen Mädchens
war. Die Erkenntnis macht ihn nur auf Momente weich. Seine
prahlerische Ichphilosophie verhärtet i wiederum schnell.
Von dem speziell Schnitzlerschen Humor, dieser liebenswürdigen!
weichen Satyre, hat der Einakter nur wenig. Das Tragi¬
komische der Hauptfigur ist nicht entdeckt; wir kommen nicht zu
jenem Lächeln, das uns so leicht menschliche Schwächen verzeihen
läßt. Herr Bassermann, so ausgezeichnet er in der Maske
und in vielen Einzelheiten war, unterstrich noch diesen Fehler seines
Dichters. Er nahm die Rolle zu ernst und düster. Recht frisch war
Herr Iwald, der zum munteren Kontrast einen im Philisterglück
schwelgenden satten Künstler zu geben hatte.
Der Beifall nach diesem Einakter war ziemlich dünn.
ist. Für die Ausstattung des Rodenbachschen Stückes
hatte das Deutsche Theater den belgischen Maler Fernand
Khnopff herangezogen. Man sieht, und man sieht mit Freuden,
daß Herr Reinhardt, der als erster Theaterdirektor bildende Künstler!
in den Dienst der Bühne stellte, Schule macht.
Wie weit die Mitarbeit Khnopffs gegangen ist, weiß man nicht
genau. Von Bedeutung ist sie nur für das Bühnenbild des nächtlichen
Brügge geworden, das wirklich sehr schön war. In diesem Stück der
„toten Stadt“, mit den ragenden Bäumen im Vordergrund und dem
von ihnen eingerahmten Blick auf die alten Häuser jenseits des
Kanals, war die Stimmung einer nebligen Mondnacht so wirksam zum
Ausdruck gekommen, wie es nur immer auf einem Bilde möglich wäre.
In der feintönigen Umgebung standen die Figuren, besonders die
Frau mit dem gelbbraunen Mantel, wie in Pastell hingewischt. Es
kam da zu Effekten, die man den Mitteln der Bühne nicht zugetraut
hätte. Freilich spielte ein Florvorhang mit, der, weil er das Ver¬
ständnis der Worte erschwert, immer etwas Mißliches hat und besser
fortbleibt.
Die Interieurs waren sehr geschmackvoll und standen weit über
denen, die man sonst hier zu sehen gewohnt ist. Aber von der
Phantasie eines eigenartigen Künstlers ließen sie nichts spüren, sie
waren nicht besonders für diese Vorgänge erdacht. Namentlich der
„verstaubte Empiresalon“, das „Heiligtum der Erinnerungen“, zeigte
zuviel frische Tapezierersorgfalt.
Schade, daß das Deutsche Theater Kosten und Mühe einer un¬
gewöhnlichen Ausstattung gerade an dieses verlorene Stück gesetzt hat.
Wenn es eines Beweises bedürfte, daß das Bühnenbild die Stimmung
nur unterstützen, aber nicht wecken kann, so ist er an dem gestrigen
Abend geliefert worden.
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